Pensionsantritt einer PrinzessinUnd auf einmal ist er da, der 13.4.2014, der Tag, der mich die letzten 20 Wochen durch meinen Trainingsplan begleitet hat….
Aber zuerst die Vorgeschichte:
Der Verlauf der Vorbereitung war, mit Ausnahme von 2 Ruhewochen mit stark reduziertem Umfang sowie einer Woche krankheitsbedingtem Trainingsausfall, eigentlich recht gut verlaufen. Richtig schiefgegangen ist nur die 15er Endbeschleunigung, der HM-Test in Wels war zwar nicht wirklich schlecht, Aussagekraft hatte er allerdings nur wenig.
35er standen bereits ab Dezember auf dem Programm, die Distanz war demnach nicht mehr das Hauptproblem und auch Verletzungen waren zum Glück kein Thema (auch keine Selbstverständlichkeit, vor allem bei diesen Umfängen über so lange Zeit).
Unterm Strich lässt es sich aber jetzt ohnehin nicht mehr ändern. Aus beruflichen Gründen wird sich eine gezielte Marathonvorbereitung über so lange Zeit in Zukunft nur äusserst unwahrscheinlich realisieren lassen, dh es gibt nur diese Chance. Wellness- und Sightseeingmarathons wird es allerdings sicher noch geben, schliesslich muss man für einen E-Pace Marathon ja deutlich weniger trainieren.
Die letzten Tage vor dem Marathon waren geprägt von Ablenkungsversuchen, schliesslich hat man ja ungewohnt viel Zeit, in der man nicht nur nicht trainiert, sondern sich eigentlich ausruhen soll ohne Unmengen an Essen zu vertilgen - garnicht einfach.
Jetzt steh ich da auf den Stiegen vorm Donauzentrum und will eigentlich nicht reden, wie schon in den letzten Tagen bzw. eigentlich immer, wenn mich etwas stresst
Nach gemeinsamem Fussmarsch vom DZ zum Startbereich beginnt auch schon der Ernst des Lebens des Marathonläufers in Form von Startvorbereitungen: trockenen Fleck am Gehsteig suchen, Inhalt des Startsacks feinsäuberlich verteilen und suchen, was man zum Laufen braucht - zum Glück war alles da, entspannt war ich dabei nicht wirklich, zu viele Gedanken kreisen im Kopf
Beim Aufstellen im Startblock dann die übliche Drängerei und vor mir (wiedereinmal) Unmengen von Läufern, denen man optisch nicht ansatzweise einen einzigen KM in 4.xx zutraut, ganz abgesehen von den mitgeführten Überlebensgürteln.
Endlich erfolgt der Startschuss und das Gedränge übersteigt alle meine Befürchtungen - unter 3 Stunden ist für manche, die ich grad überhole, vermutlich die HM-Zielzeit, anders gibt’s das ja nicht.
Die erste Hälfte des ersten KM zeigt die Uhr nicht schneller als 4.40/km an, also schon weit weg vom eigentlichen Plan, die ersten 15km in 4.12 zu laufen und dann zu entscheiden, ob eine Tempoverschärfung Sinn macht.
In der Nebenspur überholt Andreas Vojta gerade das Führungsfahrzeug…
KM2 - wie jedes Jahr wartet am Mittelstreifen jemand, den ich seit dem Kindergarten kenne - und wie vereinbart, steht er auch dieses Jahr dort und feuert mich an, als ginge es um den Gesamtsieg (dabei bin ich zu diesem Zeitpunkt allerhöchstens schnellster Tullner...wenn überhaupt)
Ich versuche mich, trotz wesentlich zu langsamem 1.KM zurückzuhalten und halbwegs diszipliniert weiterzulaufen, was garnicht einfach ist, wenn einem das angeschlagene Tempo leicht von der Hand geht. Die Drängerei im Prater ist unverändert stark, da wir seit dem Eingang mit dem 2. Startblock gemeinsam laufen.
Die ersten Opfer stehen bereits am Rand der Hauptallee und erholen sich, Gels liegen am Boden herum, andere holen die eingesparte Klopause nach… eigentlich wie immer
Wir verlassen den Prater und machen uns auf den Weg in Richtung Urania, bei KM8 liefern Kurt & Elisabeth eine Synchron-Fotoperformance und weiter geht's. Am Ring angekommen dann die 10er Zwischenzeit - immerhin nicht mehr ganz so viel Rückstand, dennoch besteht Aufholbedarf.
Bei KM11 - am Ring sehe mein Schild: "Lauf Prinzessin, wir san ja ned beim Ballet" steht dort auf rosa Untergrund und gut lesbar. Man kann anscheinend nichts mehr geheimhalten…
Am Weg zur Staffelübergabe dann auf der linken Seite ein Fan mit Topfdeckel und Schild. "sehr gut" steht dort (in Schreibschrift) , kurz danach wartet Anna. Mein Rückstand auf den 4.12 Plan wächst weiter, mittlerweile sind es schon 40 Sekunden, der Großteil resultiert aus den zusätzlichen Metern, die von der Autolap des Forerunner bis zur KM Tafel zurückzulegen sind.
Nach 15km darf ich lt. Plan das Tempo beschleunigen - zum Glück geht es eher bergab als bergauf, somit sollte das machbar sein.
Staffelübergabe: extrem schnelle Läufer überholen, extrem langsame Läufer am 2.Abschnitt sind im Weg, irgendwie komm ich dennoch vorbei. Ich fühle mich nicht sonderlich gut und habe gleichzeitig im Hinterkopf, dass es keine Chance zur Wiederholung in absehbarer Zeit geben wird (die Option LCC im Mai stellt den äußersten Notfallplan dar und wird daher nicht in Betracht gezogen)
Während das Kopfkino am Laufen ist erhöht sich mein Tempo auf knapp über 4.00 - es fühlt sich gut an, drum lauf ich einfach weiter
KM 19 - Richy&Sabine stehen, mit GoPro bewaffnet, auf der Mariahilferstrasse und dokumentieren für die Nachwelt.
Endlich teilt sich beim Museumsquartier die Strecke und ich kann mich in der linken Spur einreihen - von nun an gehören Platzprobleme der Vergangenheit an.
Knapp unter 1.29 beende ich den ersten Halbmarathon, knapp 40s schneller als beim letzten ernsthaften Marathon in der Wachau.
KM 22 - Christoph sitzt am Gehsteig und feuert mich an - noch geht es mir halbwegs gut. Am Weg zum Julius T andler Platz steigt das Tempo, ich möchte es bis zur Friedensbrücke hoch halten um im Fall der Fälle etwas Bonus zur Verfügung zu haben.
KM 24 - Schonwieder Christopg, diesmal kommt er mir entgegen und erzählt mir irgendwas, ich hab nur "Lusthaus" verstanden
24.67km - Ich möchte auf die Uhr schauen um bei KM25 die Zwischenzeit zu kontrollieren, doch der Forerunner ist aus.
Tja, was nun? Für Taktik bleibt in der Situation eh keine Zeit mehr - die Überschlagsrechnung ergab ca 1.10 Vorsprung auf 1.30 für den ersten HM sowie weitere ca 40-50s aus den letzten Kilometern.
Ab nun ging es also in der Oldschool-Variante in Richtung Praterstrasse weiter
Ca KM 27 - wieder im Prater angekommen, trinke ich beim Verpflegungsstand 3 Becher Wasser und gehe währenddessen das Anlaufen fällt schwer, der Vorsprung schwindet
Ab jetzt kenne ich die Strecke sehr gut - sicher kein Vorteil, wenn man eigentlich ins Ziel will
KM 30 - die Schleife zum Stadion - die hatte ich noch aus 2010 in Erinnerung. Ziemlich genau auf Höhe der 30km Tafel steht auf der anderen Seite die 31er Tafel, vorne sieht man gut, wo die Läufer herkommen - leider sieht man nicht alles, die Schleife wurde bis zur Ubahn verlängert und zieht sich unendlich (wenn nicht noch länger), die Kehre ist nach über 30km eine Gemeinheit. Mittlerweile geht’s mir echt nicht mehr gut
KM32 - Georg und Katrin stehen in der Kurve zur Hauptallee, was sie mir zugerufen haben, kann ich nicht sagen
KM33 - nächste Gehpause - Lusthaus - nächste Gehpause
KM35 - Georg und Katrin, zu meiner Verwirrung diesmal auf der anderen Seite, wieder verstehe ich nichts
KM36 - nächste Gehpause
KM37 - Verlassen des Praters, grausame Steigung - Gehpause
Während der Gehpausen regelmäßig die gleichen Gedanken: renn weiter, wenn nicht heute, dann wird das nix mit der Sub3...
KM38 - Unterhaltung mit 2 deutschen Läufern, die 2.59 laufen wollen - das will ich auch, aber geht das heute?
KM39 - auf der Brücke rüber in den 3.Bezirk muss ich auf den Fahrbanteiler aufpassen und gehe wieder
KM40 - Moment der Entscheidung: wieder laufend erkenne ich die erste Würfeluhr - es ist 11.50, direkt vor mir die 40er Tafel, ich habe also 10Minuten für die letzten 2km - ich beschliesse, dass sich das ausgeht. Von nun an renne ich um mein Leben (was die letzte Splitzeit auch beweist). Alles in mir wehrt sich gegen das Tempo, wird aber nicht weiter berücksichtigt, ab jetzt wird gelitten (und das möglichst anständig)
Kurz danach erkenne ich Heidi und Ulrich, wieder verstehe ich nichts
Im Eifer des Gefechts erkenne ich die Tafel für KM 41 nicht, daher kommt mir der Kilometer recht lang vor - wieder bin ich beunruhigt.
Elisabeth steht am Ring und schreit "Dicker, renn!" - was sich wohl die Leute in der Umgebung gedacht haben?
Kurz vor KM42 steht Winfried - ich kann nicht sagen, ob er überhaupt was gesagt hat - ich hätte es ohnehin nicht mehr mitbekommen.
Ich biege ein letztes Mal ab um ins Ziel zu laufen - da gleich der nächste Schock: die eine Uhr zeigt 2.58, die daneben bereits 2.59. Verstanden hab ich es nicht und bin einfach noch schneller gelaufen - mir war nur noch wichtig, so schnell wie möglich ins Ziel zu kommen.
Brutto waren es auf der Uhr 2:59:53, netto 2:59:17 (1:28:56 / 1:30:21) - endlich Läufer, endlich Pensionist