Aus Sun und aus Regn
Countdown:
Am Mittwoch vor dem Rennen beginne ich die Wetterprognosen für Triest zu lesen. Sie werden stündlich schlechter. Kurz vor der Abreise sind wir dann bei Regenschauer, Gewitter und Südwind, was im konkreten 80% Gegenwind bedeutet. Na super. Sicherheitshalber werden auch warme Laufsachen eingepackt. Warum tu ich mir das eigentlich an? Als ich am Wochenende davor am Ring gestanden bin um Billy beim VCM anzufeuern, hat mich ihr Mann gefragt, ob das nicht blöd ist wegen eines Marathons nach Triest zu fahren, wo ich doch einen vor der Haustüre habe. Ja eigentlich schon. Gedacht war es ja so, dass ich zwei tolle Sachen verbinden kann. Ein Kurzurlaub mit meiner Frau (ohne Kinder) und Laufen. Als Conny sich dann auch aufraffen konnte, ihren ersten Halbmarathon zu laufen, wir also beide urlauben und laufen wollten, schien das ja noch perfekt. Aber jetzt macht mir das Wetter einen Strich durch die Lauffreude und die aufkommende Nervosität einen Strich durch die Urlaubsfreude.
Wir fahren diesmal mit dem Auto. Bei meinem ersten Besuch in Triest vor drei Jahren sind wir mit dem Schlafwagen angereist, ich denke mir, das wäre jetzt keine ideale Vorbereitung. Am Freitag Nachmittag geht es los. Das Wetter ist noch gut. In Slowenien beginnt es zu schütten und wir fahren drei Stunden im strömenden Regen mit maximal 100 km/h.
„regn regn regn
heast wia hobn scho wieda regn
wird si des regnwetta niemals legn?“
In Triest ist es dann trocken, aber kalt. Wir bummeln durch die Stadt. Der Charme dieser sowohl mediterranen als auch altösterreichischen Stadt hält uns sofort wieder gefangen. Am Hafen ist ein Zeltdorf aufgebaut, die Marathonmesse. Auf der Piazza Unita’ d’Italia wird das Zielgelände aufgebaut. Wir gehen essen. Im Lokal auffallend viele Leute mit High-Tech am Handgelenk, schnellen Schuhen an den Füßen und alle essen Nudeln. Mir scheint, als ob der Marathon von der ganzen Stadt besitz ergriffen hat.
Am nächsten Tag fragen wir, ob es vielleicht möglich ist, am Sonntag das Frühstück eine halbe Stunde früher als vorgesehen zu bekommen, damit wir den Shuttle zum Start nicht verpassen. Die Frühstückschefin erklärt, dass das durch die Geschäftsleitung nicht erlaubt wird. Wir sollen uns aber alle beschweren, vielleicht hilft es ja was. Danach werden die Startunterlagen abgeholt. Alles ist recht gut organisiert. Zuerst stehen wir irrtümlich am Schalter „non competizione“. Der ist aber nur für Teilnehmer an einem 10 km Lauf ohne Zeitnehmung. Wir dürfen weiter zu den wahren Helden. Ein Handzettel mit den letzten Informationen gibt es auch auf deutsch. Ich sauge alles auf. Je genauer ich über die Organisation bescheid weiß, desto ruhiger kann ich werden. Wir erfahren so zB.: „Wenn die Aufregung Ihnen einen bösen Streich spielt, können Sie die mobilen Toiletten, die im Startbereich stehen, benutzen.“ Beruhigend. An einem Stand gibt es Broschüren über „Kärnten läuft“. Wir sprechen die Landsleute an. „Laufen Sie den Marathon?“ „Ja.“ „Mah, kriegt man da kan Durst?“ Ich hoffe, auch am Wörthersee gibt es Verpflegungsstationen.
Was ich bis jetzt nicht gefunden habe, ist ein Streckenplan. Im Internet war nur ein Beschreibung nach Straßennamen die Details fehlten aber. Jetzt erfahre ich, dass es einen Plan in der Veranstaltungsbroschüre gibt, die ist aber aus. Ich finde eine letzte Broschüre am Stand der Rettungskräfte. Kein gutes Omen. Der Streckenplan passt aber mit der Straßennamenbeschreibung nicht zusammen. Offensichtlich wurde die Strecke kurzfristig geändert. Also werden die Winkpunkte, die Conny nach dem Halbmarathon aufsuchen kann, wieder geändert. Als es wieder zu regnen beginnt, verziehen wir uns ins Hotel. Wir finden eine Ankündigung, dass das Frühstück für die Marathonläufer vorverlegt wird. Offensichtlich haben sich genug beschwert. Wir inspizieren die Startsackerl. Nudeln, Kaffe, Gatorade, Laufsocken, alles recht ordentlich. Im letzten Moment kommen wir drauf, dass wir die Gratischips der Zeitnehmung fast vertauscht hätten.
Schön langsam werde ich wieder nervös. Ich beschließe, mir jedoch nicht das Theater vom vorigen Jahr anzutun, weil ich WEISS, dass ich gesund genug bin für den Marathon. Zerstreut werde ich weiters, durch unnötige Schaufensterbummel. Am Abend gibt es wieder Nudeln. Da die nur eine Vorspeisenportion sind und ich befürchte, dass sie nicht genügend sättigen, zwinge ich mich noch zu einem Fisch, den ich lustlos hinunterdrücke. Irgendwie schade ums Geld. Es ist kalt und es schaut regnerisch aus.
Wir gehen früh schlafen um halb 12 werde wir von einem Feuerwerk zu Ehren der Marathonläufer geweckt. Gescheit. Danach schlafe ich überraschend gut weiter. Um 6 läutet der Wecker. Ich schaue aus dem Fenster. Blauer Himmel! Ich werde wohl nie ein Regenrennen erleben. Die Stimmung beim Frühstück ist eigenartig. Alle sitzen nur an der vorderen Stuhlkante und zappeln auffällig. Um 7 Uhr geht es zum Bahnhof, wo schon zig städtische Busse warten um die Läufer zum Start nach Duino zu bringen. Ich sehe einen Plan der Strecke, der mit den bisherigen nicht übereinstimmt. Offensichtlich wurde die Strecke kurzfristig noch einmal geändert. Der Bus fährt aus mir nicht bekannten Gründen nicht auf der gesperrten Marathonstrecke den direkten Weg zum Start, sondern einen Umweg über die Berge. Eine dreiviertel Stunde eingezwickt im Bus stehen, der eine kurvenreiche Strecke fährt, ist nicht jedermanns Sache. Meine Magennerven halten.
Als der Bus hält stelle ich erfreut fest, das wir weit über dem Meer sind. Meine Frau erklärt mir, dass sie gerade das Kilometerschild 1 gesehen hat. Die gute Nachricht: Es muss also bergab gehen. Die zweite gute Nachricht: Es gibt Kilometerschilder, was die Laufplanung wesentlich erleichtert. Die schlechte Nachricht: Es ist noch ein Kilometer bis zum Start. Der Wegweiser zum Start zeigt steil bergab. Wir besichtigen den Startbereich und gehen wieder zurück um die Kleider abzugeben. Die versprochenen Getränke im Startbereich sind gerade ausgegangen, ich habe aber aus dem VCM letztes Jahr gelernt und selber was mit. Für die ca. 700 Marathonis und die ca. 1700 Teilnehmer des Halbmarathons („Marathonina“), gibt es vier mobile Toiletten gegen die bösen Streiche der Aufregeung. Der angrenzende Naturpark und so mancher Vorgarten erfüllt aber zum Leidwesen der Ortsansässigen alle Läuferwünsche.
Nun gehen wir wieder zurück zum Start (somit der dritte Kilometer Fußmarsch). Ich trenne mich von meiner Frau, ich darf mich weiter vorne aufstellen. Mein Nachbar spricht mich an, es ist unschwer zu erkennen, dass ich kein Italiener bin, er wundert sich dass ich da bin, da doch vor einer Woche Marathon in Wien war. Ich suche möglichst Schatten und warte. Ein Hubschrauber über dem Startgelände und Applauswellen durch das Startgelände geben mir das richtige Feeling. Nach einer Viertelstunde geht es endlich los.
Rennen:
Vorgenommen habe ich mir, einen Schnitt von 5:20 zu laufen wenn und solange alles gut geht. Der erste Kilometer ist 6:05, ich weiß nicht ist es das Gedränge oder die Steigung. Danach pendle ich mich auf die gewünschten 5:20 ein. Später werde ich anhand meiner Polar sehen, dass es die ersten vier Kilometer bergauf gegangen ist, insgesamt 50 hm. In Duino sind wenig Zuschauer, die meisten schauen recht verständnislos. Dann endlich beginnt die Küstenstraße und es geht beständig bergab bis zum Schloss Miramar. Später werde ich sehen es sind 100 hm Gefälle auf 10 km. Es läuft super, die Kilometerzeiten fallen auf unter 5:00. Ich weiß aber, dass das nur geborgte Sekunden sind.
Es ist heiß. Die Felsen machen aber ein bisschen Schatten. Ich überlege mir immer, soll ich links laufen, um ein Schattenläufer zu sein, oder Kurven schneiden. Ich entscheide mich für Kurvenschneiden, bin aber damit zumeist allein. Nach 5 Kilometer ist die erste Verpflegung. Ich bin angenehm überrascht. Es gibt Gatorade und Wasser, auch in Flaschen. So kann ich langsam im Weiterlaufen trinken und mit dem Rest Kopf, Arme und Nacken kühlen. Landschaftlich ist es sehr schön, Zuschauer fehlen.
In Miramare treffen wir auf die 10 km Läufer. Läufer ist übertrieben. Es ist mehr ein Wandertag, ein Familienausflug. Spaziergeher, Scooter, Räder, Skater, Kinderwagen, Rollstühle, Hunde, es ist alles unterwegs, die Stimmung ist gut. Zum Glück haben die Läufer eine eigene Spur. Der Kontrast zwischen guter Laune auf der einen und Wettkampf auf der anderen Seite ist aber eklatant. Die nächsten 7 km nach Triest sind eben. Ich befürchte, dass ich nach dem bergab Laufen nun wesentlich langsamer werde, ich kann aber mein ursprünglich geplantes Tempo halten. Ich schaue mich immer um. Anhand der Startnummern erkenne ich, dass ich fast nur unter Halbmarathonläufern renne. Die sind schon sehr angestrengt, ich bin noch locker. Kurz vor der Piazza Unita, werden die Marathonis ausgeleitet. Plötzlich sind nur noch wenige Läufer unterwegs.
„turn around and you will see
de wöd is voi mit noan wia mi“
Wir laufen eine Runde durch den an sonst gesperrten alten Hafen. Am Eingang steht ein Zöllner und beobachtet die Läufer misstrauisch. Vielleicht schmuggeln wir ja was. Bei km 25 komme ich wieder raus und am Ziel vorbei und erlebe den Zieleinlauf des Siegers hautnah mit. Ein Italiener (Adriani Ottavaino) gewinnt vor fünf Kenianern in 2:10:57. Das Publikum tobt entsprechend, ich genieße das. Gänsehaut pur.
Auf der anderen Seite geht’s wieder aus der Stadt hinaus und wir sind wieder so ziemlich allein. Zuerst eine Schleife durch den neuen Hafen (sonst gesperrt, Zöllner). Jetzt wird es zäh, ich nehme mein erstes Gel. Die Schritte sind nicht mehr so rund, ich werde langsamer. Ich denke mir, nun bin ich auch nicht mehr schneller unterwegs als voriges Jahr, in einem Jahr nichts gelernt. (Später werde ich sehen: viele Steigungen, insgesamt 30 hm.) Ich habe aber Vertrauen in mich, dass ich kämpfen kann, einen weiteren Einbruch verhindern. Danach geht es auf einer Stelzenautobahn hoch über dem Industriegelände weiter aus der Stadt hinaus bis km 35. Das Lusthaus sozusagen, nur nicht grün. Ich nutze weiterhin jede Gelegenheit um mich zu kühlen und es bleibt erträglich. Zum Trinken muss ich mich fast zwingen, ich hab keine Lust mehr dazu.
„nimm mi mit, lass mi falln, da schmerz duat net weh
de wöd draht si ohne mi“
Obwohl es mir eigentlich nicht mehr so gut geht, überhole ich ständig. Ich sauge mich fast an die Läufer vor mir an. „Der ist nur 50 m vor mir, den hab ich in zwei Minuten.“ Endlich die Wende. Ich nehme mein zweites Gel. Bei der Verpflegung bin ich der einzige der nicht stehen bleibt. Einen Läufer überhole ich ca. fünf Mal. Immer wenn ich vorbei bin, beginnt er wieder wie irre zu laufen um daraufhin wieder zu gehen. Beim letzten Mal hebt er den Arm und fragt er mich irgendwas mit „rosso“ (wundgescheuert?). Als er merkt, dass ich Englisch antworte ruft er mir hinterher: „You are wonderful, beautiful!“ Ich hoffe er meint meinen Laufstil. Dann hat er mich nicht mehr zurücküberholt. Bei km 38 beginne ich nachzurechnen. Sub 3:45 können sich ausgehen, das war eigentlich mein Ziel, alles darunter wäre Utopie. Plötzlich bin ich wieder voll gut gelaunt. Ich gebe Gas, die geilsten Kilometer des Marathons. (Ok, ich gebe es zu, später festgestellt, es geht wieder bergab.)
Bei km 40 steht Conny, der letzte durch die oftmalige Umplanung verbliebene Winkpunkt. Offensichtlich hat sie ihre Halbmarathonpremiere auch gut hinter sich gebracht (als ob ich gezweifelt hätte). Ich bin voll gut drauf und mache Scherze. Positiv überrascht stelle ich fest, dass eine erwartete Schleife durch die Altstadt wegfällt, offensichtlich wurde noch mal umgeplant. Ich setzte zum Zielsprint an und laufe in 3:43:01 ein. Ziel erreicht. 13 Minuten schneller als letztes Jahr!
Ich setzte mich ein paar Minuten hin, bin aber bald wieder auf den Beinen. Conny und ich tauschen Erfahrungen aus. Die Zielverpflegung ist ok, die Medaille ein bisschen grindig. Die Massage erwarte ich nicht. Wir gehen ins Hotel duschen und dann zur Pastaparty (ein Berg Penne). Danach wieder ins Hotel für ein Mittagsschlaferl, danach wieder Essen (Pizza) und das Bier im Ziel. Am nächste Tag beim Frühstück stehen alle schwerfällig auf, wenn sie was vom Buffet holen und gehen ganz langsam. Lustig anzuschauen. Aber eigentlich bin ich schon wieder erstaunlich frisch. Wir kaufen noch den Piccolo, die Triestiener Tageszeitung mit den gesammelten Ergebnissen. Erstmals bin ich bei einem Marathon in der vorderen Hälfte klassiert.
Analyse:
Grundsätzlich zu empfehlen, bis auf Kleinigkeiten war alles in Ordnung. Die Strecke ist einerseits nicht ganz leicht (insgesamt 110 hm), dafür liegt der Start 50 m über dem Ziel, das gleicht sich wieder aus. Vor allem der Halbmarathon gibt auch landschaftlich viel her, Autobahn und Hafenanlagen auf der zweiten Hälfte muss man mögen. Stimmung herrscht nur rund um die Piazza Unita.
Anmerkungen:
Obige Zitate stammen aus:
Willi Resetarits – Stubn-Blues: „aus sun und aus regn“
Die CD hörten wir beim runter und rauf fahren im Auto und ging uns auch die ganze Zeit in Triest im Kopf herum.
Das Buch zur Stadt:
Veit Heinichen: „Gib jedem seinen eigenen Tod“
Wer Donna Leon nicht mag wird auch diesen und die weiteren Fälle des Kommissarios nicht mögen.