Mein witzigster Marathon
Nachdem ich nun etwas Zeit gefunden habe, die meisten Berichte selbst durchgelesen habe – ein pauschales Congrats an alle – und in meinem Kollegen- und Freundeskreis immer das selbe erzählen sollte, habe ich mich nun aufgerafft vor allem für meine (noch) nicht Läufer-Freunde den nachfolgenden Bericht getippt, versehen mit etlichen Fotos, Tabellen und Auswertungen. Falls wer Interesse am kompletten ca. 1 MB pdf-File haben sollte bitte um PN!
Die Vorgaben:
2004, bei optimalen äußeren Bedingungen, etwa 900 Trainingskilometer einigermaßen nach einem sub 4 Std. Plan ergaben meine persönliche Bestzeit von 3 Std. 49 Min.
Im Vorjahr, ebenfalls bei guten Bedingungen, aber nur 600 Laufkilometern „erschnaufte“ ich mir genau 4 Std. samt 29 Sekunden.
Dieses Jahr recht brav die letzten 5 Monate genau 1010 km nach einem sub 3:30 Plan, der allerdings 1500 km in einem halben Jahr vorgeschrieben hätte, heruntergetrabt – fühlte mich vor allem bei den „langen 30ern“ recht gut und freute mich auf den Bewerb, zumindest bis sich die Wettervorhersage immer mehr konkretisierte.
Samstag: Bei der Startnummernabholung im Messegelände treffe ich einen Kollegen meiner Gattin und bei der Kaiserschmarrnparty im noblen Prunksaal des Wiener Rathauses erwischt mich noch Hans-Jörg, ein Amateurfunkkollege mit Freundin, der mich morgen um fast eine Viertelstunde abhängen sollte. Durch die Fotos hier im Forum „überreisse“ ich erst jetzt, dass ich offensichtlich genau einen Tisch neben der Forums-Crew gestanden bin, denn Hans-Jörg konnte ich im Hintergrund eindeutig ausmachen; vielleicht passt es im kommenden Jahr...
Sonntag: Nach obligat schlechter Nacht – ich bin die 42,195 km sicher fünfmal im Halbschlaf durch gelaufen – zeigt der erste Blick aus dem Fenster um 6.00 Uhr leichte Bewölkung. Dieser erste Hoffnungsschimmer auf kühle Temperaturen wird aber sofort durch die Teletextwetterseite zunichte gemacht. Am Start sollen es dann bereits „wunderbar sonnige 18 Grad“ werden.
Das ausgezeichnete Frühstücksbuffet im „Ibis“ kann ich heute leider nicht ausnützen – zwei Buttersemmeln mit Honig und eine Tasse Tee, mehr ist nicht drinnen.
Zeitgerecht geht es mit der U3 zum Stephansplatz und hier kommt leichte Panik auf. Die Rolltreppen schaufeln ununterbrochen Leute im Laufdress zur U1 hinunter und diese „kummt net, und kummt net.“ Üblicherweise 3 Minutentakt, nun 8 Minuten und nach zwei überfüllten Zügen keine Chance auch nur annähernd ins Innere eines Wagens zu gelangen.
Daher „Trick 17“: U1 in die Gegenrichtung genommen und am Karlsplatz relativ locker in die korrekte Richtung wieder eingestiegen. Am Stephansplatz nun von innen die bunte Meute beobachtet, wie sie versucht, die Wagen zu stürmen. Schließlich bummelt die U1 in Richtung „Alte Donau“ bei der UNO-City. Und dort wird uns klar, warum die größeren Abstände derzeit notwendig sind: die Treppen vom Bahnsteig zum Startgelände schaffen die Massen einfach nicht, d.h. man käme vom Zug praktisch nicht auf den Bahnsteig, uff!
Schlussendlich stehe ich doch 15 Minuten vor dem Start in meinem gelben Block, fast direkt unter dem Startaufbau. Nicht gut ausgeschlafen gähne ich in der Hitze der prallen Sonne wie Bode Miller vor einem Abfahrtsrennen. Vor mir nur mehr ein Block und die Elite – Miguel Rios’ „A Song Of Joy“ mit der Begrüßung der 86 Nationen und der Bundeshymne gehen so richtig unter die Haut –Traumstimmung – jeder „läufig“, wie ein nervöses Rennpferd, mir kommen fast die Tränen.
Noch eine Minute: „An der schönen blauen Donau“ und schon die Startsirene. Im gemütlichen Schritt geht es für mich die nächsten 2 Minuten bis zur eigentlichen Startlinie und unter den Klängen des „Donauwalzers“ drücke ich Pulsmesser und Schrittzähler. Die Chips an den Schuhen der Läufer quittieren mit durchgehendem Gezirpe die korrekte Nettozeiterfassung.
„Dichter Verkehr“ der ca. 16000 Starter auf der Reichsbrücke erlauben ein nur sehr konzentriertes Laufen; auf Puls und Zeiten achte ich überhaupt nicht. Erst nach dem Praterstern geht es einigermaßen dahin; auffallend bereits jetzt: recht niedriger Puls, Zeiten passen, könnte noch locker ein paar „Hertz“ dazugeben, schaffe es aber einerseits aufgrund der Läufermassen und andererseits aus unerklärbaren Gründen nicht. Somit lasse ich mich bis zur ersten Labestation mit der Masse mittreiben und bei km 5 bin ich nicht ganz unzuversichtlich, meine geplanten 3:40-3:45 Stunden zu erreichen.
Schüttelstraße aufwärts die Erste: recht gute Stimmung, Musik, viele Menschen feuern an – es ist schon sehr warm und ich komme einfach nicht in meinen Laufrhythmus. Geplante Splits sollten um 5:10-5:20 Minuten sein; sind zu unregelmäßig und es ist einfach „mit Arbeit“ verbunden...
Kilometer 9, bei der Schwedenbrücke überlaufe ich meine Frau; erst im letzten Augenblick geht’s in einer 135° Steilkurve zur „Tränke“. Die Labestation bei km 10 kann ich somit auslassen, ergibt wieder ein Plus von ein paar Sekunden. Nun am Ring endlich Schatten; der Wind stört nicht so, bringt erwünschte Kühlung. Das Wiental hinaus geht zäh: Windböen, absolut kein Schatten, die Sonne brennt unbarmherzig vom Himmel – dafür sind die Zuseher begeistert...
Bei km 15 in der Nähe von Schönbrunn muss ich die Labestation anlaufen, habe meine inzwischen leere Flasche längst weggeworfen. Auch in der Mariahilferstraße, wo es leicht bergab geht und Splits von unter 5 Minuten drinnen sein sollten, läuft es nicht so richtig.
Bei km 19 zweites Treffen mit Barbara und Schwiegereltern. Ich empfange „fliegend“ Flasche Nr. 2 und ein Powergel, das aber einstweilen in der Gesäßtasche verschwindet. Jetzt wird es endlich lockerer: die Halbmarathonis sind zum Ziel am Heldenplatz abgebogen und es wird ruhiger. Ich kann mich nun auf das Laufen konzentrieren und nicht aufs Überholen und siehe da, die Splits sind gar nicht so schlecht. 1 Std. 53 bei der Halbmarathonmarke sind 3 Minuten über meinem Plan – obwohl es etwas zäh geht, fühle ich mich nicht schlecht und liebäugle mit einem negativ Split, d.h. 2. Halbmarathon schneller als die erste Hälfte.
Auffallend rasch geht es die Donaustraße und Schüttelstraße nun zum 2. Mal hinunter, jetzt kann man gegen die Hitze und den Wind nur mehr Schadensbegrenzung machen, ob man will oder nicht, fast jede „Tränke“ ist zu nützen, Kapperl durchnässen und den Kadaver feucht halten, auch mit „Römerquelle“, denn die Isogetränke verkleben ohnedies schon alles...
Km 30, Prater – ehrfürchtig laufe ich durch den magischen Punkt, wo jene 15 Läufer, die alle 24 Wien-Marathons bestritten hatten, ihren tausendsten Wien-Marathon-Kilometer erreichen.
Kurz danach 30 Sekundentratsch mit Barbara während einer „Baumbewässerung“ und schon ist das Happelstadion erreicht. Normalerweise wartet hier der „Mann mit dem Hammer“, den ich in voller Intensität glücklicherweise noch nie so richtig getroffen habe – kann ruhig hinter den Praterbäumen versteckt bleiben! Im Laufforum hat jemand geschrieben „Hirn ausschalten und lauf!“ Genau das tue ich jetzt; ohne viel zu rechnen renne ich einfach, zwar zu langsam, aber ohne Stress genieße ich den Schatten der Praterhauptallee und plötzlich bin ich am Lusthaus – Wende und „homeward bound“. Inzwischen ist es bedeckt geworden und der mäßige Gegenwind bremst zwar etwas aber kühlt fantastisch.
Erste Kalkulation, das ist mir an dieser Stelle schon einmal viel schwerer gefallen: 3 Std. 40 sind abgehakt und wegen ein paar Sekunden sich auf eine persönliche Bestzeit „hinschinden“, das liegt mir heute absolut nicht; sub 4 sollten sich problemlos ausgehen.
Bei km 36 letztes Treffen mit meiner Betreuungscrew und Schüttelstraße die Dritte: ziemlicher Gegenwind, dafür nicht mehr so heiß. Km-Zeiten um 5:45 sind zwar nicht das „Gelbe vom Ei“, dafür ist der Puls für meine Begriffe mehr als im „Grünen Bereich“. Zur Sicherheit ein Powergel eingenommen und letzte Rechnerei, einen kurzen Sprintversuch gebe ich nach einem knappen Kilometer auf und beschließe ab dem Ring den Einlauf nur mehr zu genießen.
Tausende Leute ab dem Schwarzenbergplatz geben ein Feeling wie bei einer Tour de France Bergankunft; absolut ein Wahnsinn: Musik, Applaus, Anfeuerungen, Stimmung pur – „Flamme Rouge“ – nur mehr 1000 m, kann das wirklich sein? Danke "Wien"!
Offensichtlich hatte ich heute vergessen, dass es sich um einen Wettkampf handelt, denn Kräfte sind bei diesem „nur“ Long-Jog noch genügend vorhanden und ich „fliege“ durch das Heldentor die letzten 195 m dem Ziel entgegen, bedanke mich für die Stimmung beim Publikum ebenfalls mit Applaus, grinse trotz mäßigen 3:52:00 in die Kameras der Actionphoto-Leute und bin nach ein paar Minuten mit dem Puls dort, wo ich eigentlich nach einem Marathon um diese Zeit noch nicht sein sollte.
Im Inneren Burghof sind meine „Coaches“ bereits versammelt, es werden die ersten Erfahrungen ausgetauscht; bin angesicht meiner recht guten Verfassung eigentlich sauer – wieso kann ich „Sau mich nicht so quälen“ (wer erinnert sich noch?) ...aber, wann ist heuer im Herbst der Graz Marathon...?
Als fast nur passiv Mitleser seit 2001, auch im „anderen“ Forum – Danke an die Betreiber und alle Aktiven, die mit wunderbaren Tipps immer perfekte Hilfe bieten!
Gerhard, Nr. 6028 - Knittelfeld/Stmk.
P.S.: inzwischen ist das „postmarathonensische Trauma“ wieder abgeklungen und die Freude, es wieder geschafft zu haben, überwiegt - Keep on running!