"Danke, Elisabeth" oder "Mein erster Marathon"
Eigentlich begann mein erster Marathon schon in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Durch das Herauslegen und Prüfen der Ausrüstung konnte ich zwar meine Nervosität in den Griff bekommen und auch sehr gut einschlafen, jedoch weckte mich etwa eine halbe Stunde später ein Geräusch und ich war wieder hellwach.
Das fatale daran, ich konnte nicht mehr einschlafen und wälzte mich bis vier Uhr von einer Seite auf die andere. Als um 06:00 der Wecker klingelte war ich alles andere als ausgeruht und fühlte mich auch nicht besonders. Auch meine Körpertemperatur war höher als in der Früh üblich. Es stellte sich die Frage was ich tun sollte. Die Abweichung ernst nehmen und auf den Start verzichten?
Bedingt durch die Müdigkeit, dem ewig langem herumwälzen in der Nacht und der doch grenzlastigen Temperatur war ich der Verzweiflung und den Frustrationstränen nahe und beschloss den Marathon vor dem Start aufzugeben. Darum rief ich Elisabeth an um meine Entscheidung zu finalisieren. Dank ihr wurde ich überredet doch noch am Marathon teil zu nehmen und fand mich am Stephansplatz ein. Auf dem Weg zum Donauplex und auch im Startbereich beschäftigte mich nur der Gedanke ob ich auch wirklich gesund genug bin für diese Tortur. So ziemlich jeder durfte sich dann meine Geschichte mindestens einmal anhören und auf den Weg in den Startbereich quasselte ich auch Lichti – der ebenfalls sein Debüt feierte - damit voll. Danke an alle die mich da aushalten “durften”.
Das Kleidersackerl wurde abgegeben und es ging noch einmal auf die Toilette. Ich blieb soweit möglich im Schatten, da es mir immer noch nicht besonders gut ging. Wie viel davon Nervosität und Übernächtigung war, konnte ich beim besten Willen nicht einschätzen. Ich versuchte meine Sorgen zu verdrängen, was nur bedingt klappte. Der Start näherte sich und wir nahmen unseren Platz in der Masse ein.
Der Start war beeindruckend, da ich ähnliches bisher nicht erlebt habe. In Linz bei meinem letzten Halbmarathon war der Start der Läufermassen auf der Autobahnbrücke zwar auch großartig, aber das konnte nicht im entferntesten mithalten mit dem tosenden Applaus der tausenden Läufer der nach dem Startschuß zu hören war. Zu Walzerklängen ging es nun los und ich musste an tänzelnde Pferde denken, ein im Forum geprägter Begriff um die Anspannung im Vorfeld des Marathons zu beschreiben.
Die Stoppuhr wurde gedrückt und es ging los über die Reichsbrücke, vorbei an km1 mit einem tollen Blick am höchsten Punkt der Brücke hinunter auf einen sich vorwärts windenden bunten Lindwurm an Läufern.
Die ersten zwei Kilometer waren mühsam und ich war gelinde gesagt schockiert über meine Pulswerte. Bei einem 6er Schnitt hatte ich plötzlich etwa 83% der maximalen Herzfrequenz. Normalerweise sollte ich bei einem 5:40er Schnitt nur auf 77-78% kommen. Somit war eine Frage vom ersten Moment geklärt, es würde nur langsam gehen.
Die Lassallestrasse liessen wir hinter uns und in der Praterstrasse wurden Beate, Elisabeth und ich von Sake mit einem Liedchen auf dem Lippen überholt. Weiter ging es über die Brücke an der Urania vorbei auf den Ring. Meine Freundin stand am Schwarzenbergplatz und machte ein sehr gelungenes Bild als ich vorbeizog (warum sie dann noch eines von hinten gemacht hat bleibt mir jedoch ein Rätsel). Eigentlich hatte ich geplant hier auszusteigen, aber es ging inzwischen besser als erwartet.
Rund um die Oper war die Hölle los, Zuschauermassen feuerten uns an. Am Knick in die Operngasse stand unsere anfeuernde kasl und danach verpasste ich prompt die erste Labestation. "Siehst", dachte ich mir, "dass ist halt der Unterschied zwischen einen Marathon und einem Halbmarathon. Bei einem Halbmarathon musste man nicht so erpicht auf die Verpflegungsstellen achten."
Ich horchte in mich hinein und stellte fest das es mir soweit ganz gut ging, nur die verpasste Station wurmte mich bei den inzwischen doch schon sehr warmen Temperaturen. Dankenderweise bekam ich von Elisabeth ihr Getränk angeboten. Das rettete mich bis zur nächsten Labestation (km11).
An der Linken Wienzeile entlang am Naschmarkt vorbei, ging es stadtauswärts. Bei km8 hatte die Feuerwehr eine "Dusche" aktiviert, welche vorsichtig – bedingt durch Kontaktlinsen – ausgenutzt wurde. Nach der U6-Brücke trafen wir auf die Wien-heute Kandidaten, welche für den Marathon im Zuge einer Aktion trainiert haben. In der Nähe von Schönbrunn war mehr los als ich angenommen hatte und die Zuschauer trieben einen förmlich über die Matte bei km10. Dann ging es in eine Kurve, linker Hand das Schloss Schönbrunn wieder stadteinwärts.
Hier war eine weitere Ausstiegsoption, aber inzwischen lief es im wahrsten Sinne des Wortes.
Endlich war auch meine erste – die bei km5 habe ich ja verfehlt - Labestation erreicht. Ich vermied in das verschüttete Wasser zu steigen um meine Socken nicht zu durchnässen und dadurch die Blasenwahrscheinlichkeit zu erhöhen. Ein Läufer neben mir sprang in vollen Lauf in die Pfütze und ich musste mir auch darum keine Sorgen mehr machen, der Fuss war klatschnass. Nach 2-3 Becher Wasser ging es weiter.
Die Hitze hatte zumindestens in diesem Fall auch etwas gutes, den bald war der Socken wieder trocken. Ich begann nach meiner Schwester Ausschau zu halten, da ich es für an der Zeit hielt das mitgenommene Powergel mithilfe des überreichten Getränks einzunehmen.
Bei km12,5 stand Sie dann auch wie versprochen und gab mir die Getränkeflasche mit auf den Weg. Mit dieser wurde auch gleich das Gel runtergespült und weiter gings über den Gürtel in die Mariahilferstrasse. Ich dachte dort würden viele Zuschauer stehen, aber der Andrang hielt sich in Grenzen. Ein Schild mit der Aufschrift “Trotz Schwitz, Keuch und Schnauf, lauf, Gunther, lauf” stach ins Auge, auch da wir es jetzt schon zum zweiten Mal gesehen hatten. Wie sich herausstellen sollte war das die Familie von Lichti. So klein ist die Läuferwelt manchmal.
Um so näher man dem Ring kam, umso mehr nahm die Anzahl der Zuschauer zu. Hier war die Stimmung schon gewaltig und die Zuschauer feuerten rechts und links an, während die Halbmarathonis bereits von uns abgezweigt wurden und auf den Weg richtung Ziel geschickt wurden.
Nach der Mariahilferstrasse gings mit einem sehnsüchtigen Blick am Heldentor vorbei, am Ring entlang, an der Wechselzone mit den zigHundert Staffelläufer vorbei, in die Lichtensteinstrasse.
Da ich in der Früh meiner Freundin – schon extrem frustriert und mit meinen Nerven völlig am Ende - mitgeteilt hatte, ich würde wahrscheinlich nicht weit laufen und da sie bereits für eine Prüfung unter Zeitdruck stand, sollte sie besser nicht an den ausgemachten Verpflegungspunkten auf mich warten.
Umso größer war die Freude als sie doch bei km 16,5 stand und auf mich wartete. Wieder gabs ein Foto, auch dieses war gut gelungen! Schnell wurde eine Flasche Wasser und ein Powergel aufgenommen, dann ging es auch schon weiter.
Nach der Lichtensteinstrasse, ging es an der Müllverbrennungsanlage und der Wirtschaftsuniversität vorbei, die Spittelauer Lände runter und über den Donaukanal auf die Brigittenauer Seite.
Bei km 21,5 und nach einer HM-Durchgangszeit von 02:09:05 reichte mir meine Freundin die nächste Flasche Wasser. Über die Beschallung erfuhren wir, dass der Sieger bald im Ziel einlaufen würde. "Toll! Der ist fast fertig und ich bin einen Katzenspung über der Hälfte!"
Weiter ging es, die Praterstrasse querend, an der ich noch vor mehr als 2 Stunden bei km4 starke Zweifel an dem Unterfangen Marathon gehägt hatte, die Schüttelstrasse entlang. Etwa bei km 38 – natürlich aus Ihrer Sicht - kam uns Eva-Maria Gradwohl entgegen. Sie hatte den Prater bereits absolviert, uns stand er erst bevor.
Bei der nächsten Labestation in der Lukschgasse ärgerte ich mich ein weiteres Mal, dass so viele Bananenschalen einfach achtlos auf den Boden geworfen wurden. In Kombination mit dem verschütteten Wasser ergab das einen sehr klitschigen Untergrund und man mußte höllisch aufpassen. Nach überstandener Rutschpartie – wobei mir die winterlichen Laufeinheiten auf Eis zugute kamen – ging es die Rustenschacherallee hinauf in den Prater.
Die Kreuzung mit der Hauptalle war der Wahnsinn! Unglaublich viele Leute standen an diesem Knotenpunkt und trieben einen vorwärts. Die erste Kehre dieses "Kleeblattes" wurde absolviert und ich verlor momentan die Orientierung, da die Hauptallee durch die Zuschauer ein völlig neues Gesicht bekommen hatte.
Die Beine waren inzwischen schon etwas schwer und dann tat mir auch noch die rechte Fußsohle weh, genug um mir ein wenig Sorgen zu machen.
Bei der nächsten Wasserstation (km27) schmiss ich mir die nächste Portion Powergel ein und machte mich daran wieder zu Elisabeth aufzuschliessen, die nach vorne abgerissen war.
In der Nähe des Pratersterns ging es dann rechts ab, in die Strasse des ersten Mai. Vorab hatte ich einige Geschichten gehört über den Langosgeruch bei km28 und wie sich der auf den durchgerüttelten Magen auswirken kann, aber zum Glück wurde ich davon verschont. Mich störte der typische Imbissbudengeruch nicht weiter. Eher überraschte mich, dass weiter vorne Bier ausgeschenkt wurde und der eine oder andere Läufer sogar zugriff!
Frei nach dem Motto: "Mach nichts was du im Training nicht getestet hast", blieb ich bei Wasser und Iso-Getränk und lief weiter durch den Wurstlprater zurück zur Hauptalle.
Die zweite Kehre des "Kleeblattes" Richtung Stadion wurde bewältigt, gewendet und es folgte sofort die dritte Kehre. Jetzt wurde es interessant, der 32km rückte näher, kurz danach sollte der Punkt sein der bis dato meine längste gelaufene Strecke darstellte. Das Powergel schien Wunder gewirkt zu haben, da es mir auch wieder besser ging und der Fuss nicht weiter schmerzte.
Irgenwo vor km 33 begleitete mich Usul ein Stück und unterstützte mich mit gutem Zureden und ein paar Schlucken Wasser. Das Lusthaus wurde linker Hand umrundet, die Meßmatte fiepte, der Wendepunkt war erreicht.
Elisabeth war etwas abgerissen, ich schaute mich um ob sie wieder aufschliessen konnte. Kurz überlegte ich mir, ob ich mich zurück fallen lassen sollte, aber da ich gerade einen guten Rhythmus gefunden hatte, wollte ich den nicht wieder aufgeben.
Also ging es alleine weiter und der km34 wurde erreicht, wo ich seitens Kasl dankenderweise die nächste Wasserflasche und ein weiteres Powergel zur Verfügung gestellt bekam. Auch dieses wurde gleich verzehrt und es ging über km35 und 36 wieder raus aus dem Prater. Das "Kleeblatt" war somit vollendet.
Die Steigung rauf zur Stadionbrücke nahm ich laufend und übeholte noch mehr gehende Mitstreiter, überhaupt war ich inzwischen als Läufer eine Minderheit. Oben auf der Schüttelstrasse traf mich fast der Schlag, dort stand die Luft und es war eine Gluthitze. Ich blieb mehr oder weniger bei meiner Geschwindigkeit und lief wie in Trance - "weiter, weiter, nur nicht stehenbleiben!" - die Schüttelstrasse stadteinwärts.
Endlich durfte ich bei der Franzensbrücke abbiegen und es ging über km39 auf die Vordere Zollamtsstrasse. Noch eine Wasserstation dann war km40 erreicht, jetzt war es nicht mehr weit! Bei km41 stand dann noch einmal meine Freundin. Da sie lange warten musste hatte ich nicht wirklich damit gerechnet. Sie begleitete mich ein paar Meter mit sehr beschwingten lockeren Schritt um mich anzufeuern und vorwärts zu treiben, irgendwie konnte ich meinen Neid auf ihr lockeres Traben nicht ganz unterdrücken.
Auf dem letzten Kilometer realisierte ich, dass ich nun meinen ersten Marthon wirklich finishen würde und stellte mir die Frage ob ich es mir wieder antun würde. Die Antwort kam schnell – Ja, in der Wachau!
Dann war ich auf den letzten Metern, die letzte Kurve durch das Heldentor auf den Heldenplatz. Rechts und links die Zuschauer, jubelnd, anfeuernd! Mir treibt es die Tränen in die Augen, da vorne ist das Ziel! Dann bin ich auch schon durch und versuche den stoischen Schritt abzubremsen. Beim ausgehen Richtung Zielverpflegung bekomme ich die Medaille umgehängt, keine Gedanken, der Kopf ist leer. Ich schleiche Richtung eingemauerte Heldenstatue und treffe auf Ulrich und Tschitschi. Auf die Frage wie es mir ergangen sei, kann ich nicht wirklich antworten, der Kopf ist immer noch leer und dient scheinbar nur zum Kauen des Apfels dem ich dem Verpflegungsbeutel entnommen habe.
Ich machte mich auch kurz darauf auf, mein Kleidersackerl abzuholen und um mich zwischen den beiden Museen bei der Statue auf die Treppe zu setzen. Auf dem Weg dorthin stellte sich der Bordsteinrand mit seinen geschätzten 5cm als schier unüberwindbare Barriere heraus. Aber auch das konnte gemeistert werden.
Wartend wurde Wasser nachgetankt, während langsam wieder die Lebensgeister zurückkehrten. Dann trifft meine Freundin ein die mich heute so toll unterstützt hatte. Ich bedankte mich für Ihrer Hilfe und die zusätzlichen Wasserrationen, ohne welche ich es wohl nicht geschafft hätte. Es geht nach Hause.
Am Abend sitzen wir in einer sehr gemütlichen grossen "Heldengruppe" im alten AKH zusammen und geben unsere Berichte zum besten. Jedoch sollte ich erst am nächsten Tag wirklich realisieren das der erste Marathon mit 04:28:28 nun geschlagen war und bereits zur persönlichen Geschichte zählt.