Graz also. Nicht weit weg, unkompliziert, eine aufgrund der Schuljahre vertraute Stadt. Andererseits eine dünne Starterdecke, aber da überwog die Einstellung, das auch so laufen zu können. Was machen denn die Schnelleren? Richtig, die laufen das alles auch ohne Firlefanz sprich: Mitläufer. Mein Primärziel: sub 02:50, die schönere Lösung sub 04:00/km also 02:48.
Um das nicht zu gefährden, da man ja immer länger als 42,195 km läuft, und meine Uhr/Erfahrung üblicherweise eine Differenz von bis zu 2 sek/km in der Gesamtpace im Vergleich zur offiziellen Zeitmessung aufweist, dachte ich: Zielsetzung 03:58/km. Soweit die Theorie.
Das Wetter schön, der Himmel blau und Wind so wie man das aus Wien aber nicht aus Graz kennt. Start war 10.00 und am Weg vom Hotel dorthin musste ich bereits Acht geben, auf den schattigen Strassenseiten zu gehen da es in der Sonne schon recht warm war - oder wie meine Schwägerin im Zielraum später bemerkt hat: da muss man ja aufpassen, keinen Sonnenbrand zu bekommen. Aufwärmen und einlaufen auch nur mehr im Schatten.
Und dann der Start mit den ersten 4 km zur Südspitze (Sturm Stadion) des zweimal zu bewältigenden Kurses mit Rückenwind und alles leicht bergab. Also super. Ich eiere mit ein paar anderen, deren Ziel offenbar der HM in sub 04:00/km war dahin und genieße die Leichtigkeit des Seins neben ein paar ausgeprägten Kampfnaturen. Die ersten 5 km schön in 03:58. Mit 2 Schleifen geht es dann plus/minus der Mur entlang nach Norden bis zur Kehrtwende bei km 15.
km 5-10 weiterhin 03:58, km 10-15 04:00 (gesamt 03:59). Ich bleibe ruhig und muss auch nicht gleich am ersten Km mit Rückenwind alles wieder gut machen.
Das Feld ist nun dünn und bedeutet in meinem Umfeld ohnehin ausschließlich HM-Starter, die darauf warten eingesammelt zu werden. Wieder zurück Richtung Start wird es erfahrungsgemäß etwas öde. Die Strecke ist fad und das ohnehin quantitativ wie qualitativ kaum existente Publikum verliert sich nochmals. Dazu kommt, dass selbst der Wind zwar seine stete Richtung, nicht aber an Stärke aufgibt. Eher im Gegenteil. Bei all dem - dass dieser Streckenabschnitt fordernd ist, war mir bereits vorab klar - bin ich gefühlt wie in Tempo noch immer sehr zufrieden. Dann geht es zurück in die Innenstadt. Von einem der übersichtlich begabten akustischen Einpeitscher entlang der Strecke, die von einem zur Styria gehörigen unnötigen Radiosender gestellt worden sind, erfahre ich, dass offenbar nur wenige 100m hinter mir die schnellste M-Frau unterwegs ist. Zum ersten Mal erhalte ich den Eindruck, dass irgendwer hinter meinem Rücken da ist und Druck macht. Blick auf die Uhr: Gesamtpace 03:59. Nein, dass kann nicht sein! Jetzt nicht gehen lassen und 1 km später - mit km 20 - passt die 03:58er Welt wieder. 45 sek Guthaben auf die 4 min/km, passt. Also auf zur 2. Runde.
Dass nun die allerallermeisten die Strecke verlassen haben werden war klar und ich war zufrieden einen "Hasen" geschätzt 150m vor mir auszumachen. Dieses Hasen-Szenario würde mir völlig reichen, um ausreichend Zugkraft für den Weg ins Ziel vorzufinden. Wieder mit Rückenwind gen Süden sauge ich mich heran. Nach der Wende kann ich einen Blick auf die Nachfolgenden werfen: waren sie früher eher eine Gruppe sind sie nun aufgelöst und haben deutlich Rückstand zu mir aufgebaut. Brav. Kurz nach der Wende bei km 25 bin ich am schon etwas angeschlagenen Hasen vorbei. km 25: total 03:58. Alles tutti.
]Nächste Etappe: 10 km im Gegenwind nach Norden, kennen wir schon. Ist beim zweiten Mal aber schon bedeutend weniger unterhaltsam. Zum einen ist das bisschen Publikum nach dem HM zum Großteil heimgegangen, zum anderen war offenbar keine Jahreszeit mehr für Hasen. Nichts, null, nada, niente. Von km 25 bis ins Ziel war kein Marathoni mehr für mich in Sichtweite, weder nach vorn noch nach hinten. Alle heiligen Zeiten irgendein schwindliger Staffelläufer kurz vor der Seligsprechung. Ich entschuldige mich für diese Emotionalität, muss es dennoch stehen lassen.
Mit ein bisschen Charakter und Laufstärke steht man da drüber. Ich aber lauf km 25-30 in 04:06, gesamt immer noch sub 04:00 (total 15 sek Guthaben). Nur dass die zweiten 5 km nach Norden in absolut jeder Hinsicht noch drister sind. Dreckslochmarathon. Ich merk jetzt das Aufziehen von Schwäche, bin vollkommen vernünftig so allein im öden Einzugsstraßenidyll und beschließe also, einfach angemessen langsamer zu werden und mich nicht zu verheizen. km 30-35 04:07. Endlich die letzte Wende. Bei mir ist der Saft draußen. Bei km 30 dachte ich noch: nur mehr 2 km dann sind es noch 10 km in 04:00 und das schaffe ich sicher. Bei km 32 ist mir diese Idee schon abhanden gekommen und bei km 35 hat das Überlebensthema alles zu dominieren begonnen. Ich hab so viel rausnehmen müssen, dass das Zeitthema obsolet gegangen ist. Woher der Wind kommt ist inzwischen völlig egal. Und dann! Bei km 36/37, irgendwo im Grazer Nirgendwo, steht auf einmal ein Zuschauer, ein engagierter noch dazu. Es gibt nichts schlimmeres!!! Der sieht endlich einen Läufer und ist auf einmal auf Adrenalin und ruft mir laut zu: du schaffst es, das geht sich unter 3 Stunden aus! Na, mehr braucht´s nicht. Das Leben ist ein Jammertal und ich schlepp mich dahin.
Alle heiligen Zeiten darf ich einen überholen. Was sonst Auftrieb ohne Ende ist kann man in Graz vergessen. Dort ist es nichts wert da es nur Staffelläufer oder im schlimmsten Fall HMs sind. km 36-40: 04:17. Ich messe der Uhr keine Bedeutung mehr bei.
Die letzten 2 km sind wieder in der Innenstadt. Ein wenig Leben kehrt in mir zurück, Ins Ziel komm ich. Richtig rechnen schaff ich nicht mehr. Grobe unscharfe Eindrücke sind es eher beim Blick auf die Uhr bei km 40. Vielleicht geht es sich noch knapp aus. Ich drück aufs Gas, noch nicht voll da 2 km zu lang sind. Schön, ich kann noch beschleunigen. Bei km 41 drück ich weiter drauf, schnauze in der finalen Herrengasse HMs an die die Strecke blockieren. Laufe, laufe und kann das Tempo nicht halten. Die letzten paar hundert Meter laufe ich ins Ziel aus, wissend dass ich drüber aber froh bin, anzukommen. Auf den letzten 20 m denk ich mir: jetzt wo ich nicht am Anschlag bin könnte ich etwas Show fürs Publikum machen. Versuche etwas Posing in den Lauf einzubauen, doch umgehend drohen meine Oberschenkel zu krampfen und ich lasse sofort wieder davon ab. km 41+42: 04:04. km 42-42,2: 04:16. Ich quere glücklich die Ziellinie und werde völlig unerwartet durch Ruths Anwesenheit doppelt belohnt.
Total 02:50:43, pace 04:02:zerquetschte. Wieder PB aber neuerlich am Gral vorbeigeschrammt.
2019 wird alles, aber nicht langweilig.
PS: zum Jammern gibt es natürlich überhaupt keinen Grund. Der Pürzl, 2 Jahre jünger als ich, ist auch alleine gelaufen. In 02:42.