A g'mahte Wiesn ... oder so
Pitztal Gletschermarathon - der Name lässt vielleicht vermuten, es handle sich um einen Berg- bzw. Traillauf mit etlichen bergauf Höhenmetern oben am Gletscher. Dem ist nicht so. Es ist ein reiner Straßenlauf mit Start in Mandarfen, im hintersten Eck im Pitztal auf 1.675m, und Ziel in Imst auf 790m. Man durchläuft das ganze Pitztal, wobei laut Veranstalter hierbei ca. 1.200 hm downhill und 600 hm uphill zu bewältigen sind. Die erforderliche Marathondistanz dürfte meinen und Michi's Aufzeichnungen nach ziemlich genau hinkommen. Es ist also nicht ein "irgendwas um die 40km" Lauf, sondern darf sich zumindest der Länge nach als Marathon bezeichnen. Es ist eine kleine Veranstaltung mit diesmal nur 192 Marathonstartern, daneben werden noch ein HM und ein fun-run über 11,2km, beide mit Start in Wenns, geboten. Sehr gut organisiert und Veranstalter/Mitarbeiter alle freundlich und unkompliziert - nach nur einer Teilnahme im Vorjahr (Michi M, ich HM) kennt man sich bereits.
Als ich vor 2 Jahren durch meine bessere Hälfte auf diesen Lauf aufmerksam wurde und das Höhenprofil in kleiner Abbildung studierte, dachte ich noch, das sei a g'mahte Wiesn. Bergablaufen ist ja vergleichsweise easy, da kann man's so richtig rollen lassen ohne sich allzu sehr anstrengen zu müssen ... Nun ja, ein Trugschluss. Gut, dass ich zwischenzeitlich in unserem Forum einiges über downhill-Laufen lesen konnte, dass erfahrenere Läufer wegen der muskulären Beanspruchung zur Vorsicht rieten und dass ich im Training (auch) bergab laufen geübt hatte. So war ich einigermaßen gewappnet und, viel wichtiger, ging mit entsprechendem Respekt an die Sache heran.
Wir sind am Freitag früh nach Mandarfen gereist und haben uns in einem kleinen Appartement, nur zwei Purzelbäume vom Start entfernt, häuslich eingerichtet. Der Marathon startet um 8:00, um 7:30 haben wir den Kleiderbeutel abgegeben, ein paar hundert Meter aufgewärmt und ausgelockert, um 7:45 zurück zur Wohnung wegen dem unvermeidlichen letzten, der Nervosität geschuldeten, Klo-Gang. Um 7:56 die 200m retour zum Start und schon ging es los Richtung Imst. Ja, aufgeregt war ich, natürlich, obwohl im Grunde kein Anlass dazu bestand. Das primäre Ziel war lediglich durchkommen, Zeitziel gab es wegen der relativ langen Verletzungspause im Winter keines. Das sekundäre Ziel, dass ich mich gar nicht laut sagen traute, war, diesen Marathon ohne Gehpausen durchzulaufen. Dieses Ziel erschien mir ziemlich verwegen (oder auch goschert), da's auch einige bergauf-Passagen gibt, die man auf o.g. kleiner Abbildung nicht wirklich erkennt. Eine davon von km 29-31 rauf nach Wenns, zu einem Zeitpunkt, wo einem die Beine schon ordentlich weh tun können und wo ich bisher in schöner Regelmäßigkeit mächtig einzugehen pflegte. Aber diesmal kam einiges anders, als ich es erwartet hatte.
Die Strecke war mir von ein paar Autofahrten Mandarfen - Wenns und dem HM im vorigen Jahr geläufig. Die paar eingestreuten bergauf-Passagen luden mich förmlich ein, die Strecke in Etappen einzuteilen.
Etappe 1 führt vom Start ca. 1,5 km rauf Richtung Gletscherexpress Bahn, es gibt also zum Aufwärmen schon die ersten bergauf-hm bevor's dann viele km abwärts geht. Ich hab mich bemüht, relativ gemütlich rauf zu kommen, nicht zu übertreiben und mir keinesfalls schon in den ersten 10min. krampfige/saure Wadeln zuzulegen (passiert mir bergauf recht leicht). Beim Auslockern am Vortag hab ich festgestellt, dass die Luft da heroben für mich schon ein bissl dünn wird. 1.700m Seehöhe bin ich halt nicht gewöhnt, in dieser Höhe fühlt sich "gemütlich" ein bissl anders an als zu Hause. Nichtsdestotrotz, ich glaube, die laaange 1. Etappe recht gut gemeistert zu haben :-).
Etappe 2 hab ich mit "24km rollen lassen" definiert, auf die hab ich mich gefreut, weil die sollte nicht allzu anstrengend werden. Nun ja, erstes AHA-Erlebnis: bereits nach 11-12km haben sich die Beine bemerkbar gemacht. Auch wenn ich (angeblich) gewappnet war, hatte ich nicht so früh damit gerechnet. Kurz hab ich mir Gedanken darüber gemacht, es war ja noch ein weiter Weg zurückzulegen. Interessanterweise aber verging das Unbehagen recht bald wieder oder ich hab es ausgeblendet oder mich daran gewöhnt - keine Ahnung.
Etappe 3 war wieder eine recht kurze, nur knapp 1km, dafür wieder mit einigen bergauf-hm, nach meinem Flachländer-Maßstab einigermaßen steil. Hier haben wir drei Läufer überholt, die das Stück gegangen sind. Ich muss zugeben, es war ein tolles Gefühl, hier noch laufen und überholen zu können. Zweites AHA-Erlebnis: die gefürchteten bergauf-km waren gar nicht schlimm, ganz im Gegenteil. Wir empfanden sie vielmehr als willkommene Erholung zum langen Bergablaufen.
Etappe 4 ging 3km bergab bzw. wellig dahin und war ursprünglich als "Ausrasten vor dem nächsten Anstieg" gedacht. Nur hatten wir mittlerweile schon festgestellt, dass die Erholung eigentlich im bergauf liegt. Wurscht, ich hab die Etappe kurzerhand in "nur 3 km bis zur nächsten Erholung" umbenannt.
Etappe 5 führte von km 29 - 31 nach Wenns, die vorletzte nennenswerte Erhebung. Diese hab ich herbei gefiebert. In diesem Bereich kam der sonst übliche Einbruch, Hamburg war ein bissl anders, aber da durfte ich auch "lohnende" Pausen am Klo verbringen. Ich war sowas von gespannt, ob ich diesmal drüber kommen würde und entschlossen, diese "Schwelle" soweit wie möglich nach hinten zu verschieben, vielleicht sogar bis zum Ziel. Die muskuläre Beanspruchung war spürbar, aber hielt sich bis hierher in Grenzen. Es (mein Befinden) ging wellenartig auf und ab, manchmal schmerzten die Beine mehr, dann wieder weniger.
Etappe 6 "Wenns bis km 39": von locker rollen lassen, konnte im weiteren Verlauf keine Rede mehr sein. Dennoch konnten wir noch einige Läufer überholen. Als wir an zwei Burschen vorbeiliefen, meinte einer bewundernd, dass das noch ganz locker aussehe. Ja-ja, täuschen und tarnen! Haxentechnisch war ich zu diesem Zeitpunkt ziemlich hinüber. Das linke Bein fühlte sich von der Hüfte abwärts wie ein Klotz an, steif, mit brennendem Schmerz. Ich hatte das Gefühl, dass es mir demnächst wegknickt. Bei km 36,8 blieb ich kurz stehen und hab das Bein gedehnt und ausgelockert so gut ich konnte. Die Pause dauerte vielleicht 30 Sekunden, dann ging's weiter. Ich hab versucht, betont O-beinig zu laufen, weil so die Schmerzen überschaubar waren. Vor dem letzten km dieser Etappe hatte ich Heidenrespekt, weil der geht ziemlich steil runter. Auf diesem km hatte sich Michi im Vorjahr abgeschossen und die letzten 3km teilweise gehend zurückgelegt. Respekt hin oder her, als ich die km-Marke 38 am Boden sah, wusste ich, ich würde es laufend schaffen, daran gab es nix mehr zu rütteln. Michi ächzte mittlerweile auch schon vor sich hin, aber er hat sich durchgebissen so wie ich. Hätte er nicht vorgeschlagen, gemeinsam mit mir zu laufen (ich wollte das Vorhaben Marathon schon im März stanzen, ohne mich wollte er aber auch nicht teilnehmen) wäre er definitiv schneller gelaufen. Ob er's in seinem (Wunsch-)Tempo hätte durchziehen können, bleibt ungewiss. Er hat jedenfalls gemeint, auf den letzten km wäre ich die treibende Kraft gewesen.
Etappe 7 "Finale": die letzten 3 km werden allgemein als fies bezeichnet, die gehen nämlich wieder leicht bergauf. Mich störte das nicht, zwischenzeitlich war alles besser, als bergab koffern. Bei km 40 hat mich plötzlich, wie aus heiterem Himmel, der Adrenalinrausch gepackt. Ich hab vor mich hin gelacht, die ersten Freudentränen kullerten schon, alle Wehwehchen waren wie weggeblasen - Michi hat's überhaupt nicht gepackt! Mit einer Zeit von 4:12:16 sind wir ins Ziel eingelaufen, ich um 0,2 Sekunden "schneller" als meine besser Hälfte ... wie sich's gehört, würde ich meinen :-)))
Verpflegung: 3 Gels - bei km 15, km 24, km 33, Cola bei km 39, Iso an jeder Labe, außer der letzten, die haben wir links liegen gelassen
Klassenwertung: In der W50 bin ich 7. geworden und somit die Letzt-Platzierte meiner AK - alle anderen sind unter 4h gelaufen
Fazit: Es war mein schönster Marathon bislang. Ich mag die Gegend, ich finde diesen Lauf trotz kleinem Teilnehmerfeld kurzweiliger als einen Städtemarathon, mir taugt das hügelige Auf & Ab (vielleicht liegt mir das auch mehr), wir waren mit idealstem Laufwetter gesegnet (8° beim Start, 14° im Ziel, nur ganz kurz Sprühregen) und ich dürfte mental gut drauf gewesen sein.
Zu meinem sekundären (heimlichen) Ziel: ich bin 4x kurz stehen geblieben, 3x an einer Labe um gschwind das Getränk runterzuschütten (erschien mir zum jeweiligen Zeitpunkt sinnvoller als im Torkelschritt die Hälfte zu verschütten), 1x um mein lahmes Bein wiederzubeleben. Gegangen bin ich diesmal aber keinen Meter, ich betrachte das Ziel somit als erreicht :-)
Den 1.7.2018 haben wir bereits im Terminkalender geblockt, ich denke, da werden wir nochmals laufen. Dann hoffentlich mit adequaterem Training und mehr Kraft in den Beinen.