„Rennst du auch zum ersten Mal da mit…??!“Seit 2006 bin ich in Lainz dabei. Als Beinahestarter, als Leser von Berichten, als mehr oder weniger sachkundiger Kommentator und nachträglicher Gratulant, sozusagen als Athlet im Geiste. Nur das Selberrennen ist sich irgendwie nie so richtig ausgegangen. Grober Fehler, schweres Versäumnis, gebe ich zu. Seit Sonntag weiß ich auch, was ich mir da seit langem durch die Lappen habe gehen lassen. Aber heuer führt kein Weg dran vorbei. Schon allein als Mosaikstein der gewissenhaften Vorbereitung auf Tirol im Herbst muss der Lainzer Tiergartenlauf auf den Kalender. Sozusagen aus Prophylaxe- und Gesundheitsgründen. Solchen Argumenten kann sich auch die familiäre Wochenendplanung nicht entziehen. Meine Frau kichert seit Samstag Abend in sich hinein, dass ich jedes Mal vor einem Laufbewerb so süß kindisch aufgeregt bin, wünscht sich aber (nachdem ich ihr von hunderten Höhenmetern und kaum lösbaren Orientierungsproblemen erzähle) dann doch ein telefonisches Lebenszeichen, sobald ich ins Ziel gefunden haben sollte.
Der Vorrede knapper Sinn: die Vorfreude war groß, der Respekt vor einer unbekannten und anspruchsvollen Strecke nicht minder. Besonders erfreulich die Wetterlage zum Frühstück – 15 Grad, Sonne und wenig Wind vor dem Küchenfenster lassen feine Bedingungen erwarten. Heidi und Ulrich an der Ecke auflesen, los geht’s mit dem Auto Richtung Novotel. Dort die formlosen Formalitäten erledigen, hydrieren und wieder entwässern, kurzes Aufwärmgehopse in der Sonne – ready for Take Off! Noch ein Ritual, von dem ich bislang nur gelesen habe, die Streckenbeschreibung von Meister Zugriegel, dann geht’s endgültig los.
Die erste Viertelstunde etwa bleibe ich in bekannter (Tschitschi) und neu kennengelernter (cbendl) Gesellschaft. Der Boden ist feucht, weich, aber nicht unangenehm tief, es war glücklicherweise vor dem starken Regen der letzten Tage lang genug heiß und trocken, sodass die Wege nicht zu morastig geworden sind. Carola lässt sich taktisch etwas zurückhängen, Christian entwischt mir während bzw. nach der ersten Labe bei der Autobahn nach vorne aus dem Blickfeld. Naja, werd ihn schon noch irgendwie wiederfinden. „Irgendwie“ war dann überraschend sogar schon recht bald, denn am Dreihufeisenberg wird der Weg wieder etwas breiter, ich hab bei der Auswahl meiner Spur reichlich Glück und komme gut voran, bald hab ich Christian wieder erreicht und zu ihm aufgeschlossen. Weil´s aber gerade so gut rennt, bleibe ich in meinem Rhythmus und riskiere, ihn womöglich gleich wieder aus den Augen zu verlieren. Auf der letzten – schon eher ziemlich knackigen, muss ich sagen – Steigung vor dem Dreihufeisenberg höre ich plötzlich ungewohnte, neue Atemgeräusche links hinter mir. Kurz darauf zischt ein Kerl an mir vorbei, der rennt, als wäre das Rennen oben am Berg bereits zu Ende. Ich muss ihn ziehen lassen, kann aber den Abstand gering halten. Die Mühe lohnt sich alsbald, denn bergab bin ich um einen Ruck schneller, kurz darauf laufen wir gleichauf, was bis ins Ziel mehr oder weniger so bleiben sollte.
Zum Glück geht’s ja jetzt für ein Weilchen bergab. Beinahe gleichzeitig fragen wir einander: „Rennst hier auch zum ersten Mal?“, in der Hoffnung an jemanden geraten zu sein, der die Tücken der Wegführung im kleinen Finger hat. Tja, leider nicht. Macht aber nicht wirklich was, denn unseren zwei suchenden Augenpaaren entgehen die zahlreichen knallgrünen und roten Punkte sowieso nicht. Es bleibt sogar Zeit für etwas Smalltalk. Manfred, so heißt mein Begleiter, ist 52, rennt seit sieben Jahren, sehr flott übrigens, seine Marathon-PB von 3:03 ist er in Amsterdam gerannt, ein wunderschönes Rennen auf toller Strecke, wie ich erfahre, seine Laufliebe gehört aber dem Wald-, Berg-, Crosslauf. Manche Lieblingsstrecken im Wienerwald teilen wir uns. Jetzt also Lainz: dort vorn am Horizont sehen wir einen Läufer in dunkelblau. Langsam näherkommen. Na schön, schließlich ist das ein Rennen und kein Muttertagsausflug, wir nehmen die Herausforderung an, stellen das Plaudern kurzfristig ein und saugen uns an ihn ran. Etwa beim Laaber Tor haben wir ihn, bei der Verpflegung zieht er uns zwar noch mal davon, weil wir zum Trinken und Kühlen stehen bleiben, aber sei´s drum. Etwa beim Gütenbachtor fällt unsere Zweierpartie dann auch ein wenig auseinander, weil Manfred bergab einfach einen anderen Rhythmus hat als ich, also trabe ich weiter die Forststraße entlang und dann auf Asphalt „dem Blauen“ hinterher. Als ich ihn fast schon wieder eingeholt habe, sehe ich Bekanntes: so orange-rote Punkte auf der Straße. Komisch, was sollen die da? Der Blaue ist schließlich so überzeugend dran vorbeigelaufen… - Plötzlich ein böser Verdacht: vielleicht gar kein Rennteilnehmer, sondern einfach nur so ein Läufer, der sich mit ein paar Wahnsinigen auf ein Hatzerl eingelassen hat? Ich sprinte zu ihm, frage ihn, ob er denn auch mitrennt und so wie ich zum ersten Mal an diesem Rennen… - beide Antworten Ja, OK, wir haben uns also verkoffert, Blick zurück, Manfred biegt gerade gestikulierend und rufend in den Maurer Wald ein – ganz genau dort wo diese komischen Punkte waren. Halb so schlimm. Am folgenden Anstieg hab ich ihn mit Mühe wieder erwischt, der Blaue – Martin aus Tirol, ein nach dem Studium in Wien hängen gebliebener leinwander Kerl – hängt sich dran, hat aber scheinbar keinen perfekten Tag erwischt, denn plötzlich ist er weit hinten und weg.
Wirklich seltsame Straßennamen gibt es rund um Lainz: Heimatschollenstraße oder so ähnlich. Aber allein die Tatsache, dass es möglich ist, neben Laufen und Wegsuchen auch auf solche Nebensächlichkeiten zu achten, ist ein Zeichen dafür, wie gut die Wegmarkierung heuer ist. Veteranen finden das nachher im Ziel direkt fad, aber mich freuts. Legendäre Streckenabschnitte wie Hörndlwald, Sportplatz etc. sind eindeutig zu finden, passt so. Eine willkommene Unterbrechung stellt die letzte Verpflegungsstelle am Adolfstor dar. Wir halten bei km 19, ein Blick auf die Uhr – 1:42 oder so, ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Es wird sich doch nicht etwa unter 2 Stunden ausgehen…? Nein, keinesfalls. Aber vielleicht doch? Warum nicht versuchen? Die Pause wird jedenfalls nicht künstlich in die Länge gezogen, Manfred macht auf der letzten, für mich sehr harten Steigung wieder einmal auf Gemse, ich komm ihm kaum nach, nachher bergab durch den Wald und die Markwardstiege hinunter zittern mir noch ein bisschen die Oberschenkel.
Der Rest, mit Verlaub, ist öd. Im Vergleich auf jeden Fall. Eh schon müd und dann auch noch neben der Autobahn, das ist alles andere als prickelnd. Also nehmen wir die Haxen in die Hände und schauen, dass es bald vorbei ist. Ist es auch. Manfred wird Zweiter seiner Klasse, gratuliere an dieser Stelle!
Rückblickend: Oh. Mein. Gott. Aber hallo! Was für ein geiles, abwechslungsreiches, tolles, anstrengendes, lustiges Rennen!! Was ich mir da Jahre hindurch entgehen habe lassen, ewig schad drum. Das mit den fehlenden paar Sekunden auf den Gratisstartplatz ist komplett wurscht, sowas wäre für einen Erststarter ja fast schon unangemessen, fühl mich weder als Held und schon gar nicht tragisch, sondern reich an Eindrücken und Erlebnissen. Ja, und die Cola/Keks-Jause im Ziel, also die war auch ganz fein. Für so einen Vormittag zahl ich gerne Eintritt. Auch nächstes Jahr.