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berichte / Antw:2024-11-09 Wien-Rundumadum - Ulrich Teil eins
« Letzter Beitrag von Ulrich am 10.11.2024, 14:51:50 » So emotional
Ich will endlich schlafen! Das gibt´s doch nicht, ich hör die ganze Zeit nur meinen eigenen Puls, dabei habe ich sogar schon was zum Einschlafen genommen, weil ich ja weiß, dass die Nacht vor der Nacht vor dem Lauf schlaftechnisch wichtig ist. Und dann schaff ich es die ganze Nacht nicht, mich zu entspannen. Das gibt es doch nicht. Da bin ich durchaus gut drauf und kann den Lauf jetzt schon kübeln? Ich will einfach nicht wieder wie 2018 unterm Gehen einschlafen. So ein Schmarrn, dabei hab ich mich so auf den Lauf gefreut, wahrscheinlich zu sehr gefreut!
Ungefähr diese Gedanken gingen mir in der Nacht von Donnerstag auf Freitag permanent durch den Kopf. Ich war…. Sicherlich übersteigert … aber verzweifelt, ohne Schlaf den Rundumadum zu bestreiten, wo ich ja weiß, dass ich in den Stunden vor dem Start sicher nicht erholsam schlafe und die kommende Nacht im besten Fall auf der Strecke verbringe.
Und irgendwie steigerte ich mich in den folgenden Stunden in einen Strudel hinein, Heidi tat mir leid, schließlich musste ja auch sie sich auf ihren persönlichen Lauf konzentrieren. Ihr Ziel war ja klar definiert, 10 Jahre in Folge den Rundumadum finishen, ein Streak der bei den Männern nur von 3 Kollegen gehalten wird. Bei den Frauen ist Heidi allein auf weiter Flur.
Ok, ich liege wie ein Häuflein Elend herum, will eigentlich nach Kärnten fahren, um am Tag des Laufes nicht in Wien zu sein, doch auch dazu kann ich mich nicht durchringen. Irgendwie ist mir ein Satz meiner Göttergattin im Kopf… „Start einmal… mach einen Longjog drauf, das Wetter ist einfach zu schön, um drinnen zu bleiben. Du kannst ja jederzeit aussteigen.“
Ja, damit kann ich gut. Ich lauf einmal nach Hütteldorf und überlege dann dort in die S45 einzusteigen, warum nicht?
Dennoch ist meine Stimmung bei der Startnummernabholung unter jeder Sau. Ich will noch schnellstmöglich wieder weg, schade eigentlich, es sind doch so viele Freunde da. Ganz kurz erkundige ich mich, ob ich bei der Steinspornbrücke auch Richtung Ziel abzweigen kann und dann in die 88er Wertung kommen könnte, aber irgendwie passt das nicht. Falls ich soweit kommen sollte will ich lieber noch meine geliebte Lobau erleben und dann aussteigen, als krampfhaft eine Unterdistanz beenden.
Heidi geht noch kurz einkaufen, ich telefoniere mit Bernhard. Am Donnerstag noch habe ich ihm meine Sachen für den vereinbarten Treffpunkt gegeben, heute will ich alles absagen. Na fein. Aber ich schätze Bernhard, er kann das richtig einordnen.
Gut, den nächsten Fehler mache ich um 20 Uhr, als ich mich schon hinlegen möchte. Klar, breche ich meinen Schlafrhythmus dermaßen, kann ich die folgende Nacht auch streichen, aber ich bin einfach müd. Schnell befülle ich noch mehr oder weniger planlos meinen Laufrucksack mit Zeugs und….
wache gegen 23:30 auf. Hey, ich hab sogar geträumt, das ist gut. Ich fühle mich etwas besser.
bis 1 oder halb 2 liege ich wieder wach, dann noch eine kurze Schlafpause bis um 3:45 der Wecker den längsten Tag des Jahres einleitet. Längster Tag? Eigentlich war der doch Vor- und gestern schon, oder?
Ok, ich starte, ich fahr mit Heidi im Taxi zum Start. Seltsam ist es schon, hier entlang jener Skyline zu fahren, die doch im besten Falle den Endspurt am Hubertusdamm gezäumt hätte, aber heuer halt nicht. Macht aber nichts, kommt auch wieder. Diesmal wird es ein längerer Longjog, ich will genießen, will keinen Stress oder Druck. Wir stehen beim Start zusammen, kurze Ansprache, 5,4,3,2,1 Start. Ok, wie mach ich es? … Ich kann ja dann entweder über den Nordsteg nachhause laufen, oder ich biege bei Schönstatt über die Wildgrube ab, spätestens bei Hütteldorf bin ich raus. Kalt ist es, etwas neblig, aber recht windstill. Ich trotte mit Heidi gemeinsam am Hubertusdamm entlang, über den Nordsteg und zum Kahlenbergerdorf. Nur keinen Stress, warum auch? Das ist einer unserer Longjogs, nur läuft Heidi halt dann weiter.
Nase rauf, ich unterhalte ich mit einigen Kollegen, unter anderem auch Tom, der zu den 3 Läufern gehört, die alle bisherigen WRU´s gefinished haben. Er biegt dann kurz beim Klosterwaldfriedhof ab, ich bin aber nicht alleine, habe immer wieder Plauderpartner, die mich den Ausstieg vor der ersten Labe schlicht vergessen lassen. Hier gibt es auch mein Essen, ich kann Iso nachfüllen und gehe die lange Steigung bis incl. Kreuzeichenwiese. Dann wieder lockerer, bis zu den Steinhofgründen. Aber… gut, dass ich das heute nicht ganz durchlaufe. Ich merke dann natürlich die Müdigkeit, mir fehlt Spannung und überhaupt.
Essen sollte ich dennoch. Schon alleine, damit der Rucksack leichter wird. Einmal einen Isoriegel, der kalt noch weit unerfreulicher schmeckt als vorgewärmt…, egal, runter damit. Nun gut, jetzt bin ich ja schon auf den Steinhofgründen, hier merke ich zum ersten Mal meine Müdigkeit. Aber das ist ja egal. Es geht um nichts. Locker suche ich in meinem Rucksack nach Essen, finde aber nichts. Wie gibt es das denn? Ich hab ja Gels und Riegel en masse gebunkert? Blöd, aber macht nichts, ich kann ja im Bahnhof Hütteldorf einkaufen gehen.
Am Bahnhofsvorplatz macht mich mein Streckenabschnittspartner aufmerksam: „Du hast da hinten einen Peeroton -Riegel drinnen. Gut Mann! Danke, der bringt mich dann bis Liesing. Hütteldorf ist doch noch nicht die Endstation, Liesing hat sich schon bewährt.
Von Dagmar erfahre ich, dass Heidi recht knapp an mir dran ist, ich freue mich drüber, dass sie offenbar einen guten Tag hat. Ach, diese Kilometer an der Westeinfahrt sind nicht unbedingt meins, macht aber nix, ich tripple energiesparend entlang und genieße irgendwie das Wetter. Immerhin haben wir leichten Rückenwind. Bei der Stadt des Kindes… links rauf, Ich knabbere an meinem Riegel und gehe… Nur keine Hatz, wozu auch? Ich hab ja auch das Glück, recht flott zu gehen, also kann ich die eine oder andere (naja, eh fast alles) Passage beim Lainzer Tiergarten gehend genießen. Immer noch ist es absurd. Was mache ich hier? Ich genieße einfach den Tag, so ganz ohne Druck. Ich genieße das Wetter, die Bonuskilometer, muss nichts und kann dennoch so lange ich will.
Ich weiß nicht mehr, wann ich meine ersten IPod eingeschalten habe, es muss irgendwann nach dem Schottenhof gewesen sein. Hier aber, beim Anstieg des Dreihufeisenbergs geschieht etwas mit mir. Eine Liederfolge (ich glaub das erste war ein Springsteen) schafft etwas Unglaubliches. Ich steige den Hufeisenberg hinauf, Falco singt „so emotional“ und ich verfalle in ein wunderbares, ein sehr glückliches Runners High. Also beim Gehen. Die Sonne strahlt auf das feuchte Laub, ich bin alleine auf der Strecke und kann einfach nur das machen, was ich liebe. Ich bin unterwegs. Ja, „such an emotional man…“stimmt wieder einmal völlig. Oben dann ein fetziger David Bowie und (hey, das hab ich auch drauf??) https://youtu.be/Z2deqcP7244?si=i0VNnRYDuSTMPKqr
So geht’s die Schotterstraße runter, einfach nur wundervoll und lachend. Nein, noch steig ich nicht aus, das ist heute zu schön. An der Labe treffe ich wieder einmal Stefan, der mich schon seit 2018 jedes Jahr aufmuntert und an Labestellen unterstützt, dieses Jahr mache ich aber etwas neu, ich wechsle nicht meine Shirts, sondern nur die Schuhe. Bisher war ich mit den Parkclaw unterwegs, jetzt riskiere ich ein wenig und laufe ab sofort in den relativ neuen Roadfly, die maximal 100 km auf der Sohle haben. Wow, schon auf den ersten Metern stellt sich Freude ein, das wird gut!
Kurz telefoniere ich mit Heidi, will ihr sagen, dass ich noch nicht aussteige, noch ist es schlicht zu schön hier auf der Strecke.
Pappelteichpark, eine Wandererstrecke, dann aber runter in der Klausen und nach Liesing, Kalksburg etc. Ich laufe, ich bin locker unterwegs. Das ist hier nicht immer der Fall. Heute ist wirklich ein besonderer Tag, ich darf locker überholen, dehne auch ein wenig meine Arme und Beine. Bei einem halbwegs ernsthaften Antreten würd ich mir diese Übungen nicht antun, ich würd sie mir nicht gönnen, aber heute ist es ja egal. An der Stelle, an der ich letztes Jahr aufgehört hatte lache ich fast vorbei. Traildog, Diana und Michi ich trinke ein Spezi, also Bier mit Cola (wie auf der Veitsch) und lache. Bald treffe ich Ahmad, der mich von Alterlaa bis Simmering begleiten wird. Freu mich schon. Ich kann wirklich noch lockerst laufen, aber ich streue ein paar Geh-Meter ein. Ahmad steht genau am Treffpunkt… nur…. Ein wenig zu fesch, ein wenig zu modisch ist der eleganten Winterjacke mit normalen Winter-Straßenschuhen. Äh, du weißt schon, dass wir laufen, oder? Ja, ich hab nur keine langen Sportsachen… Ach Bua!
Egal, ich freu mich sehr, dass er da ist, wir reden ein wenig, aber als ich merke, dass er halt doch unter seiner Jacke schnauft suchen wir noch eine Bushaltestelle und ich verabschiede mich wieder von ihm. Die Umleitung ist extrem gut ausgewiesen, ich finde den Weg auf den Wienerberg ohne Probleme.
Hier möchte ich meine Beine und meinen Allerwertesten ein wenig aktivieren, ein wenig durchbluten und klopfe meine Oberschenkel bzw. meinen Popsch durch. Ich versuche das darauffolgende Gespräch mit einem Laufkollegen wiederzugehen:
„ein bisserl SadoMaso auf der Strecke?“
„ja, schadet nie“
„auch wahr. Bist du katholisch?“
„ja, und sogar 8 Jahre Opus Dei geschädigt (hatte ich zu Schulzeiten)
„ok, das erklärt alles“
(gut den weiteren Verlauf des Gesprächs erspare ich Euch, er drehte sich um die Unarten einer religiös extremistischen schulischen Indoktrinierung in einem Internat.)
Weiter über den Wienerberg, die ersten Staffelläufer rasen an mir vorbei, ich stapfe immer noch im Schweinstrab durch die Gegend und genieße das herrliche Wetter. Ja, Heidi hatte recht, zum zuhause bleiben ist es zu schad. Ich steig nicht vor der Friedhofslabe aus, dazu ist es heut zu schön.
Irgendwas ist heut dann anders… bei der Favoritenstraße laufen wir nicht grad, sondern links versetzt, aber was solls. Gleich bin ich im „Volkspark Laaer Berg“. So viel weiter als ich eigentlich wollte… unglaublich. Nun, ich fühle mich so gut, ich steig noch nicht beim Friedhof aus. Dagmar wartet beim Einlaufkraftwerk auf uns.. dann die Lobau… Wahnsinn. Ich seh heut wahrscheinlich die Lobau!!! Das hätt ich mir nie erträumt (gut ich hab ja auch nicht geschlafen…)
Ok, aber noch bin ich ja auf der Bitterlichstraße, muss lachen, als ich die „Heimkehrergasse“ sehe.. ja so fühle ich mich grad! Ich laufe immer noch, zwar merke ich langsam die Müdigkeit, gut dass ich nicht durchlaufen werde, das würd sonst wohl den Wohlfühlfaktor z´ammhaun, aber ich mach einfach solange bis ich zum ersten Mal zu müde werde weiter….
Grenzweg, Bahnhof, Brücke… Unterführung, dann gleich die Labe… hey, die ist heuer woanders, viel früher! Und.. Was für eine Freude! SuSu und MiSter stehen gemeinsam mit Isabella an der Labe und klatschen. Danke, dass Ihr da seid!
Auch die junge Dame an der Labe strahlt wie jedes Jahr, sie macht Fotos, wir scherzen, ich zieh mir endlich einmal trockene Sachen an, bereite mich auf die Dunkelheit vor (Jacke, gelbes Bufftuch und andere Reflektoren) und wandere ein wenig die Straße entlang. Ich trinke einen Schluck Red Bull, esse.. freue…. Und weiter. Was macht eigentlich mein Körper? Nix! Alles passt, nix tut weh. OK, Müd, aber das ist ok.
Ich rufe Dagmar an, bald treffen wir uns (also in ca einer Stunde) bei der Steinspornbrücke.. sie hat meine Stirnlampe für die Nacht (damals dachte ich noch, ich lauf durch) und auch ein paar Leckerlis. Langsam werd ich auch langsamer, also noch langsamer. Ich habe mich schon drauf eingestellt, dann in Essling rauszugehen, es passt so gut für mich, ich liebe die Lobau und hätt mir nie träumen lassen, dass ich sie heute sehen darf.
Ich wechsle meinen IPod, jetzt ist jene Playlist, die mich auf der Veitsch antreibt, die ich auch schon 3-mal beim WRU erleben durfte, Springsteen etc… ihr bringt mich durch die Lobau.
Ach ja, da war ja noch wer. Bernhard wollte ja nach Aspern Nord kommen und mich von da an weiter begleiten. Nein, heute nicht. Aber wie sag ich es ihm?
so 10000% festlegen ist auch blöd.
Freudenau Kraftwerk, Insel, Sonnenuntergang… . Ich schaff sogar noch die Dämmerung in der Lobau, Wahnsinn!!!
ich genieße die Stimmung und freue mich auf Dagmar. Rauf auf die Steinspornbrücke und rüber… zu… äh… wo ist sie?
Da sehe ich ein SMS… sie steckt im Stau. Gibt´s das?
Es ist mir fast egal, ich hab ja keinen Stress und nix vor. Gut, bald wird mir ein wenig frisch, aber ich kann ja in Bewegung bleiben. Telefoniere mit Heidi und schaue mir die Läufer an, die ich dann in der Lobau wieder zurücküberholen darf. Irgendwie lache ich innerlich auch über diese Situation. Ansonsten würde ich wohl dem Rumpelstielzechen gleich tun und im Kreis springen. Heute nicht, nein, heute ist es ein Tag im Grünen.
Nach ca 15 Min biegt Dagmar mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz ein, Stirnlampe, ein paar heiße Kartoffel (DANKE CAROLA FÜR DEN TIPP) und ja, ich hab sogar noch den letzten Rest Dämmerung in der Lobau. Jetzt gehe… nein, immer noch nicht. Ich kann langsam laufen und überholen. Der eine oder die andere vor mir gehen schon, ich darf noch laufen, also trippeln, schleppen, aber es geht noch. Ich hab meine Ziele erreicht, so weit mehr als ich es gedacht habe. Jetzt kann ich dann in Essling raus, wenn ich will. Oder auch jederzeit später in ein Taxi rein oder in die U2 in Apern Nord. So alleine, so still (also außer meine Musik) so friedlich ist es hier. Heute liebe ich die Lobau wirklich und sie ist auch „kürzer“ als sonst. Ein wenig werde ich unentspannt, als ich mitbekomme, dass sowohl Dagmar als auch Bernhard versuchen, mich zu motivieren. Was heißt, ein „wenig“?? Ich bekomm in der Lobau einen Schreianfall… und mach weiter.
So sehr habe ich mich auf die Esslinger Furt gefreut, so toll hab ich mir dieses Finish hier vorgestellt, aber irgendwie hab ich jetzt Stress. Bernhard hat sich inzwischen für Aspern Nord angekündigt, er kommt mir sogar entgegen und würde, wenn ich das will mich dann auch in der U2 begleiten…
Dann waren da auch noch seit ca einem Kilometer die beiden plaudernden Stirnlampen hinter mir. Ich drehe die Musik lauter......
An der Esslinger Labe ziehe ich mich noch einmal um, jetzt ist eine recht dicke Softshelljacke, die ich schon seit 20 Jahren habe dran, ich will nicht frieren und langsam wird es frisch. Auch der Nebel tut sein übrigens.
„Jetzt habt ihr noch einen Marathon!“ meint eine Dame an der Labe… „Nein, ich nicht“
Weiter. Laufend, locker… ich überhole aber sogar. Was mach ich jetzt wirklich noch mit dem angebrochenen Abend? Doch durch? Ich mag aber keinen Stress, ich will mich heute nicht quälen, nicht ver- und nicht zweifeln. Sehr bald kommt mir ein strahlender Bernhard entgegen, ich instruiere ihn ein letztes Mal, mich keinesfalls motivieren zu wollen…. Er meint nur „ich weiß“.. und wir laufen weiter Richtung Aspern Nord.
Diverse mehr oder weniger philosophische Unterhaltungen über Physik, Gott und sonstige Lebenserfahrungen prägen nun die Kilometer bis irgendwo plötzlich die neue Abzweigung in die „Sonnenallee“ führt. Da rechts liegt Aspern Nord, die U-Bahn. Mein Last Exit? Nein, ich kann ja auch noch später raus. Noch nicht.. noch geht’s zu gut.
Irgendwie kommt mir was Absurdes in den Kopf. Es sind noch 30 Kilometer, das ist ein Longjog. Vielleicht ist da doch noch ein Finish denkbar? Egal, mach einfach solang es Spaß macht.
Für Uneingeweihte… es ist UNMÖGLICH, mit Bernhard keinen Spaß zu haben. Er ist ein wandelndes Lexikon und hat ein Potpourri an Geschichten aus dem Leben parat, welches eine jede Distanz in ein Hörspiel verwandelt
Als wir das letzte Mal miteinander beim Rundumadum unterwegs waren, gab es jene legendären Kilometer auf denen Pizzipeter meine Motivation war. Er war manchmal hinter, dann wieder vor mir, ein dauernder Quell des… Ehrgeizes 😉 Schad, dass er heute nicht….
„Ulrich??“ das gibt es ja nicht. Peter und Barbara laufen auf uns auf- Sie sind in der Staffel unterwegs und begleiten und bis zur Gerasdorfer Labe.. ja noch ein wenig weiter. Ach… was solls… dann renn ich den Schaa…. doch ganz durch. Scherzhaft schließe ich zwar nicht aus, am Bisamberg auszusteigen, aber jetzt bei KM 110 lege ich mich fest. Ich werde heute finishen. Heute? Oder Morgen? Also vor oder nach Mitternacht? Wie spät ist es denn überhaupt. Es ist 20:40 als wir an der Labe Gerasdorf ankommen, also habe ich noch über 3 Stunden für 20 Kilometer. Na mal schauen.
Ein leichter Krampf kündigt sich an, aber kein Problem, ich gehe und laufe… bis ich wieder durch ein Lied für ca 5 Minuten zum Laufen genötigt werde, Es ist und bleibt absurd, welchen Einfluss die Musik haben kann. Marchfeldkanal das gleiche Spiel. Meine Endorphine fahren im Ringelspiel und haben eine Hetz, ich auch. Klar, ich gehe, ich laufe, aber ich bin DAAA ich bin wirklich noch DAAAA
ich weiß, was jetzt gleich kommt, bald Linkskurve, dann rauf, durch ein Wäldchen rauf zum Brünner Straße, Mitterhaidenweg und so weiter, ich kenne Euch alle und Ihr seid jetzt für mich da.
Bernhard und ich plaudern weiter während wir die Mitterhaidenweg rauf stapfen. Ein wenig zwickt es in meinem linken Knie, das wars aber auch schon. Ja insgesamt bin ich nicht mehr ganz frisch… ABER GEH:… WIRKLICH??? Durch die Weinberge, dann über die Wiese Richtung Hagenbrunner Straße und zur Labe. Hier will ich nicht zu viel Zeit liegen lassen und auf die letzten 12 ZWÖLF !!!!!!!!!!!!!!!! Kilometer. Erst noch dieses verdammte Kopfsteinpflaster, doch auch hier kann ich recht viel laufen, dann kurz gehen und wieder laufen. Der Boss ( Springsteen, nicht Bernhard) treibt mich an, ich versuche jeden Meter, den ich laufen kann im Laufschritt zu machen, ohne zu übertreiben. Mühlweg, Marchfeldkanal, hier überholen wir noch einen gehenden Kollegen und biegen bald über die kleine Holzbrücke auf den Hubertusdamm ein. Rauf auf die Brücke… ICH BIN DA! ICH BIN AUF JENEN LETZTEN KILOMETERN, die ich im Taxi noch etwas wehmütig betrachtet hatte.
ICH SEHE HEUTE DIE SKYLINE VON DER STRECKE AUS.
Lange Zeit ist Niemand hier zum Überholen, ich wechsle immer zwischen Geh und Laufschritt, wir unterqueren die diversen Brücken, bis wir dann knapp vor der Brigittenauer Brücke noch eine Gruppe von Fußgängern in Laufgwand sehen. Sehr gut, ich darf doch noch überholen 😉
Ab jetzt wird gelaufen, wie schaut das denn sonst aus? Noch ein paar Meter, unter der Brücke durch, links rein, Feuerwehr… ok, ich geh wieder, es geht doch ein wenig rauf aber ich bin jetzt am letzten Kilometer, ich hab´s ernsthaft geschafft, ich bin durchgelaufen. Wahnsinn.
Runter die Rampe, vorsichtigst über die Stiegen (Pizzipeter, wie konntest Du damals da drüber springen? ) und nach ein paar Kurven ist das Ziel vor mir
ICH SCHREIE, BRÜLLE, BIN unglaublich glücklich, als ich all die Leute von der Organisation, allen voran „Flotschi“ den guten Geist der Finishhalle“ sehe. Peter, Gaelle, Barbara, Tigerhalter Ihr seid alle da und gratuliert, DANKE
18:22, noch vor Mitternacht ist eine Zeit, die absolut nebensächlich und dennoch beachtlich ist.
https://www.flickr.com/photos/146070841@N04/54135130767/in/album-72177720321588477
Epilog:
Im Ziel erfahre ich, dass Heidi offenbar Schmerzen und Probleme haben dürfte, ich rufe sie an, doch verstehe ich sie kaum, was meine Sorgen wachsen lässt. Sie wird niemals aufgeben, doch gescheit… ist das hier und heute nur bedingt.
Nun, die Einzelheiten erspare ich dem interessierten Publikum, jedenfalls schafft sie das Finish zum 10 MAL.
ICH BIN UNGLAUBLICH STOLZ AUF DICH UND LIEBE DICH (auch wenn du einen durchaus beachtlichen Hieb hast, oder vielleicht grad deswegen???)
Ich will endlich schlafen! Das gibt´s doch nicht, ich hör die ganze Zeit nur meinen eigenen Puls, dabei habe ich sogar schon was zum Einschlafen genommen, weil ich ja weiß, dass die Nacht vor der Nacht vor dem Lauf schlaftechnisch wichtig ist. Und dann schaff ich es die ganze Nacht nicht, mich zu entspannen. Das gibt es doch nicht. Da bin ich durchaus gut drauf und kann den Lauf jetzt schon kübeln? Ich will einfach nicht wieder wie 2018 unterm Gehen einschlafen. So ein Schmarrn, dabei hab ich mich so auf den Lauf gefreut, wahrscheinlich zu sehr gefreut!
Ungefähr diese Gedanken gingen mir in der Nacht von Donnerstag auf Freitag permanent durch den Kopf. Ich war…. Sicherlich übersteigert … aber verzweifelt, ohne Schlaf den Rundumadum zu bestreiten, wo ich ja weiß, dass ich in den Stunden vor dem Start sicher nicht erholsam schlafe und die kommende Nacht im besten Fall auf der Strecke verbringe.
Und irgendwie steigerte ich mich in den folgenden Stunden in einen Strudel hinein, Heidi tat mir leid, schließlich musste ja auch sie sich auf ihren persönlichen Lauf konzentrieren. Ihr Ziel war ja klar definiert, 10 Jahre in Folge den Rundumadum finishen, ein Streak der bei den Männern nur von 3 Kollegen gehalten wird. Bei den Frauen ist Heidi allein auf weiter Flur.
Ok, ich liege wie ein Häuflein Elend herum, will eigentlich nach Kärnten fahren, um am Tag des Laufes nicht in Wien zu sein, doch auch dazu kann ich mich nicht durchringen. Irgendwie ist mir ein Satz meiner Göttergattin im Kopf… „Start einmal… mach einen Longjog drauf, das Wetter ist einfach zu schön, um drinnen zu bleiben. Du kannst ja jederzeit aussteigen.“
Ja, damit kann ich gut. Ich lauf einmal nach Hütteldorf und überlege dann dort in die S45 einzusteigen, warum nicht?
Dennoch ist meine Stimmung bei der Startnummernabholung unter jeder Sau. Ich will noch schnellstmöglich wieder weg, schade eigentlich, es sind doch so viele Freunde da. Ganz kurz erkundige ich mich, ob ich bei der Steinspornbrücke auch Richtung Ziel abzweigen kann und dann in die 88er Wertung kommen könnte, aber irgendwie passt das nicht. Falls ich soweit kommen sollte will ich lieber noch meine geliebte Lobau erleben und dann aussteigen, als krampfhaft eine Unterdistanz beenden.
Heidi geht noch kurz einkaufen, ich telefoniere mit Bernhard. Am Donnerstag noch habe ich ihm meine Sachen für den vereinbarten Treffpunkt gegeben, heute will ich alles absagen. Na fein. Aber ich schätze Bernhard, er kann das richtig einordnen.
Gut, den nächsten Fehler mache ich um 20 Uhr, als ich mich schon hinlegen möchte. Klar, breche ich meinen Schlafrhythmus dermaßen, kann ich die folgende Nacht auch streichen, aber ich bin einfach müd. Schnell befülle ich noch mehr oder weniger planlos meinen Laufrucksack mit Zeugs und….
wache gegen 23:30 auf. Hey, ich hab sogar geträumt, das ist gut. Ich fühle mich etwas besser.
bis 1 oder halb 2 liege ich wieder wach, dann noch eine kurze Schlafpause bis um 3:45 der Wecker den längsten Tag des Jahres einleitet. Längster Tag? Eigentlich war der doch Vor- und gestern schon, oder?
Ok, ich starte, ich fahr mit Heidi im Taxi zum Start. Seltsam ist es schon, hier entlang jener Skyline zu fahren, die doch im besten Falle den Endspurt am Hubertusdamm gezäumt hätte, aber heuer halt nicht. Macht aber nichts, kommt auch wieder. Diesmal wird es ein längerer Longjog, ich will genießen, will keinen Stress oder Druck. Wir stehen beim Start zusammen, kurze Ansprache, 5,4,3,2,1 Start. Ok, wie mach ich es? … Ich kann ja dann entweder über den Nordsteg nachhause laufen, oder ich biege bei Schönstatt über die Wildgrube ab, spätestens bei Hütteldorf bin ich raus. Kalt ist es, etwas neblig, aber recht windstill. Ich trotte mit Heidi gemeinsam am Hubertusdamm entlang, über den Nordsteg und zum Kahlenbergerdorf. Nur keinen Stress, warum auch? Das ist einer unserer Longjogs, nur läuft Heidi halt dann weiter.
Nase rauf, ich unterhalte ich mit einigen Kollegen, unter anderem auch Tom, der zu den 3 Läufern gehört, die alle bisherigen WRU´s gefinished haben. Er biegt dann kurz beim Klosterwaldfriedhof ab, ich bin aber nicht alleine, habe immer wieder Plauderpartner, die mich den Ausstieg vor der ersten Labe schlicht vergessen lassen. Hier gibt es auch mein Essen, ich kann Iso nachfüllen und gehe die lange Steigung bis incl. Kreuzeichenwiese. Dann wieder lockerer, bis zu den Steinhofgründen. Aber… gut, dass ich das heute nicht ganz durchlaufe. Ich merke dann natürlich die Müdigkeit, mir fehlt Spannung und überhaupt.
Essen sollte ich dennoch. Schon alleine, damit der Rucksack leichter wird. Einmal einen Isoriegel, der kalt noch weit unerfreulicher schmeckt als vorgewärmt…, egal, runter damit. Nun gut, jetzt bin ich ja schon auf den Steinhofgründen, hier merke ich zum ersten Mal meine Müdigkeit. Aber das ist ja egal. Es geht um nichts. Locker suche ich in meinem Rucksack nach Essen, finde aber nichts. Wie gibt es das denn? Ich hab ja Gels und Riegel en masse gebunkert? Blöd, aber macht nichts, ich kann ja im Bahnhof Hütteldorf einkaufen gehen.
Am Bahnhofsvorplatz macht mich mein Streckenabschnittspartner aufmerksam: „Du hast da hinten einen Peeroton -Riegel drinnen. Gut Mann! Danke, der bringt mich dann bis Liesing. Hütteldorf ist doch noch nicht die Endstation, Liesing hat sich schon bewährt.
Von Dagmar erfahre ich, dass Heidi recht knapp an mir dran ist, ich freue mich drüber, dass sie offenbar einen guten Tag hat. Ach, diese Kilometer an der Westeinfahrt sind nicht unbedingt meins, macht aber nix, ich tripple energiesparend entlang und genieße irgendwie das Wetter. Immerhin haben wir leichten Rückenwind. Bei der Stadt des Kindes… links rauf, Ich knabbere an meinem Riegel und gehe… Nur keine Hatz, wozu auch? Ich hab ja auch das Glück, recht flott zu gehen, also kann ich die eine oder andere (naja, eh fast alles) Passage beim Lainzer Tiergarten gehend genießen. Immer noch ist es absurd. Was mache ich hier? Ich genieße einfach den Tag, so ganz ohne Druck. Ich genieße das Wetter, die Bonuskilometer, muss nichts und kann dennoch so lange ich will.
Ich weiß nicht mehr, wann ich meine ersten IPod eingeschalten habe, es muss irgendwann nach dem Schottenhof gewesen sein. Hier aber, beim Anstieg des Dreihufeisenbergs geschieht etwas mit mir. Eine Liederfolge (ich glaub das erste war ein Springsteen) schafft etwas Unglaubliches. Ich steige den Hufeisenberg hinauf, Falco singt „so emotional“ und ich verfalle in ein wunderbares, ein sehr glückliches Runners High. Also beim Gehen. Die Sonne strahlt auf das feuchte Laub, ich bin alleine auf der Strecke und kann einfach nur das machen, was ich liebe. Ich bin unterwegs. Ja, „such an emotional man…“stimmt wieder einmal völlig. Oben dann ein fetziger David Bowie und (hey, das hab ich auch drauf??) https://youtu.be/Z2deqcP7244?si=i0VNnRYDuSTMPKqr
So geht’s die Schotterstraße runter, einfach nur wundervoll und lachend. Nein, noch steig ich nicht aus, das ist heute zu schön. An der Labe treffe ich wieder einmal Stefan, der mich schon seit 2018 jedes Jahr aufmuntert und an Labestellen unterstützt, dieses Jahr mache ich aber etwas neu, ich wechsle nicht meine Shirts, sondern nur die Schuhe. Bisher war ich mit den Parkclaw unterwegs, jetzt riskiere ich ein wenig und laufe ab sofort in den relativ neuen Roadfly, die maximal 100 km auf der Sohle haben. Wow, schon auf den ersten Metern stellt sich Freude ein, das wird gut!
Kurz telefoniere ich mit Heidi, will ihr sagen, dass ich noch nicht aussteige, noch ist es schlicht zu schön hier auf der Strecke.
Pappelteichpark, eine Wandererstrecke, dann aber runter in der Klausen und nach Liesing, Kalksburg etc. Ich laufe, ich bin locker unterwegs. Das ist hier nicht immer der Fall. Heute ist wirklich ein besonderer Tag, ich darf locker überholen, dehne auch ein wenig meine Arme und Beine. Bei einem halbwegs ernsthaften Antreten würd ich mir diese Übungen nicht antun, ich würd sie mir nicht gönnen, aber heute ist es ja egal. An der Stelle, an der ich letztes Jahr aufgehört hatte lache ich fast vorbei. Traildog, Diana und Michi ich trinke ein Spezi, also Bier mit Cola (wie auf der Veitsch) und lache. Bald treffe ich Ahmad, der mich von Alterlaa bis Simmering begleiten wird. Freu mich schon. Ich kann wirklich noch lockerst laufen, aber ich streue ein paar Geh-Meter ein. Ahmad steht genau am Treffpunkt… nur…. Ein wenig zu fesch, ein wenig zu modisch ist der eleganten Winterjacke mit normalen Winter-Straßenschuhen. Äh, du weißt schon, dass wir laufen, oder? Ja, ich hab nur keine langen Sportsachen… Ach Bua!
Egal, ich freu mich sehr, dass er da ist, wir reden ein wenig, aber als ich merke, dass er halt doch unter seiner Jacke schnauft suchen wir noch eine Bushaltestelle und ich verabschiede mich wieder von ihm. Die Umleitung ist extrem gut ausgewiesen, ich finde den Weg auf den Wienerberg ohne Probleme.
Hier möchte ich meine Beine und meinen Allerwertesten ein wenig aktivieren, ein wenig durchbluten und klopfe meine Oberschenkel bzw. meinen Popsch durch. Ich versuche das darauffolgende Gespräch mit einem Laufkollegen wiederzugehen:
„ein bisserl SadoMaso auf der Strecke?“
„ja, schadet nie“
„auch wahr. Bist du katholisch?“
„ja, und sogar 8 Jahre Opus Dei geschädigt (hatte ich zu Schulzeiten)
„ok, das erklärt alles“
(gut den weiteren Verlauf des Gesprächs erspare ich Euch, er drehte sich um die Unarten einer religiös extremistischen schulischen Indoktrinierung in einem Internat.)
Weiter über den Wienerberg, die ersten Staffelläufer rasen an mir vorbei, ich stapfe immer noch im Schweinstrab durch die Gegend und genieße das herrliche Wetter. Ja, Heidi hatte recht, zum zuhause bleiben ist es zu schad. Ich steig nicht vor der Friedhofslabe aus, dazu ist es heut zu schön.
Irgendwas ist heut dann anders… bei der Favoritenstraße laufen wir nicht grad, sondern links versetzt, aber was solls. Gleich bin ich im „Volkspark Laaer Berg“. So viel weiter als ich eigentlich wollte… unglaublich. Nun, ich fühle mich so gut, ich steig noch nicht beim Friedhof aus. Dagmar wartet beim Einlaufkraftwerk auf uns.. dann die Lobau… Wahnsinn. Ich seh heut wahrscheinlich die Lobau!!! Das hätt ich mir nie erträumt (gut ich hab ja auch nicht geschlafen…)
Ok, aber noch bin ich ja auf der Bitterlichstraße, muss lachen, als ich die „Heimkehrergasse“ sehe.. ja so fühle ich mich grad! Ich laufe immer noch, zwar merke ich langsam die Müdigkeit, gut dass ich nicht durchlaufen werde, das würd sonst wohl den Wohlfühlfaktor z´ammhaun, aber ich mach einfach solange bis ich zum ersten Mal zu müde werde weiter….
Grenzweg, Bahnhof, Brücke… Unterführung, dann gleich die Labe… hey, die ist heuer woanders, viel früher! Und.. Was für eine Freude! SuSu und MiSter stehen gemeinsam mit Isabella an der Labe und klatschen. Danke, dass Ihr da seid!
Auch die junge Dame an der Labe strahlt wie jedes Jahr, sie macht Fotos, wir scherzen, ich zieh mir endlich einmal trockene Sachen an, bereite mich auf die Dunkelheit vor (Jacke, gelbes Bufftuch und andere Reflektoren) und wandere ein wenig die Straße entlang. Ich trinke einen Schluck Red Bull, esse.. freue…. Und weiter. Was macht eigentlich mein Körper? Nix! Alles passt, nix tut weh. OK, Müd, aber das ist ok.
Ich rufe Dagmar an, bald treffen wir uns (also in ca einer Stunde) bei der Steinspornbrücke.. sie hat meine Stirnlampe für die Nacht (damals dachte ich noch, ich lauf durch) und auch ein paar Leckerlis. Langsam werd ich auch langsamer, also noch langsamer. Ich habe mich schon drauf eingestellt, dann in Essling rauszugehen, es passt so gut für mich, ich liebe die Lobau und hätt mir nie träumen lassen, dass ich sie heute sehen darf.
Ich wechsle meinen IPod, jetzt ist jene Playlist, die mich auf der Veitsch antreibt, die ich auch schon 3-mal beim WRU erleben durfte, Springsteen etc… ihr bringt mich durch die Lobau.
Ach ja, da war ja noch wer. Bernhard wollte ja nach Aspern Nord kommen und mich von da an weiter begleiten. Nein, heute nicht. Aber wie sag ich es ihm?
so 10000% festlegen ist auch blöd.
Freudenau Kraftwerk, Insel, Sonnenuntergang… . Ich schaff sogar noch die Dämmerung in der Lobau, Wahnsinn!!!
ich genieße die Stimmung und freue mich auf Dagmar. Rauf auf die Steinspornbrücke und rüber… zu… äh… wo ist sie?
Da sehe ich ein SMS… sie steckt im Stau. Gibt´s das?
Es ist mir fast egal, ich hab ja keinen Stress und nix vor. Gut, bald wird mir ein wenig frisch, aber ich kann ja in Bewegung bleiben. Telefoniere mit Heidi und schaue mir die Läufer an, die ich dann in der Lobau wieder zurücküberholen darf. Irgendwie lache ich innerlich auch über diese Situation. Ansonsten würde ich wohl dem Rumpelstielzechen gleich tun und im Kreis springen. Heute nicht, nein, heute ist es ein Tag im Grünen.
Nach ca 15 Min biegt Dagmar mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz ein, Stirnlampe, ein paar heiße Kartoffel (DANKE CAROLA FÜR DEN TIPP) und ja, ich hab sogar noch den letzten Rest Dämmerung in der Lobau. Jetzt gehe… nein, immer noch nicht. Ich kann langsam laufen und überholen. Der eine oder die andere vor mir gehen schon, ich darf noch laufen, also trippeln, schleppen, aber es geht noch. Ich hab meine Ziele erreicht, so weit mehr als ich es gedacht habe. Jetzt kann ich dann in Essling raus, wenn ich will. Oder auch jederzeit später in ein Taxi rein oder in die U2 in Apern Nord. So alleine, so still (also außer meine Musik) so friedlich ist es hier. Heute liebe ich die Lobau wirklich und sie ist auch „kürzer“ als sonst. Ein wenig werde ich unentspannt, als ich mitbekomme, dass sowohl Dagmar als auch Bernhard versuchen, mich zu motivieren. Was heißt, ein „wenig“?? Ich bekomm in der Lobau einen Schreianfall… und mach weiter.
So sehr habe ich mich auf die Esslinger Furt gefreut, so toll hab ich mir dieses Finish hier vorgestellt, aber irgendwie hab ich jetzt Stress. Bernhard hat sich inzwischen für Aspern Nord angekündigt, er kommt mir sogar entgegen und würde, wenn ich das will mich dann auch in der U2 begleiten…
Dann waren da auch noch seit ca einem Kilometer die beiden plaudernden Stirnlampen hinter mir. Ich drehe die Musik lauter......
An der Esslinger Labe ziehe ich mich noch einmal um, jetzt ist eine recht dicke Softshelljacke, die ich schon seit 20 Jahren habe dran, ich will nicht frieren und langsam wird es frisch. Auch der Nebel tut sein übrigens.
„Jetzt habt ihr noch einen Marathon!“ meint eine Dame an der Labe… „Nein, ich nicht“
Weiter. Laufend, locker… ich überhole aber sogar. Was mach ich jetzt wirklich noch mit dem angebrochenen Abend? Doch durch? Ich mag aber keinen Stress, ich will mich heute nicht quälen, nicht ver- und nicht zweifeln. Sehr bald kommt mir ein strahlender Bernhard entgegen, ich instruiere ihn ein letztes Mal, mich keinesfalls motivieren zu wollen…. Er meint nur „ich weiß“.. und wir laufen weiter Richtung Aspern Nord.
Diverse mehr oder weniger philosophische Unterhaltungen über Physik, Gott und sonstige Lebenserfahrungen prägen nun die Kilometer bis irgendwo plötzlich die neue Abzweigung in die „Sonnenallee“ führt. Da rechts liegt Aspern Nord, die U-Bahn. Mein Last Exit? Nein, ich kann ja auch noch später raus. Noch nicht.. noch geht’s zu gut.
Irgendwie kommt mir was Absurdes in den Kopf. Es sind noch 30 Kilometer, das ist ein Longjog. Vielleicht ist da doch noch ein Finish denkbar? Egal, mach einfach solang es Spaß macht.
Für Uneingeweihte… es ist UNMÖGLICH, mit Bernhard keinen Spaß zu haben. Er ist ein wandelndes Lexikon und hat ein Potpourri an Geschichten aus dem Leben parat, welches eine jede Distanz in ein Hörspiel verwandelt
Als wir das letzte Mal miteinander beim Rundumadum unterwegs waren, gab es jene legendären Kilometer auf denen Pizzipeter meine Motivation war. Er war manchmal hinter, dann wieder vor mir, ein dauernder Quell des… Ehrgeizes 😉 Schad, dass er heute nicht….
„Ulrich??“ das gibt es ja nicht. Peter und Barbara laufen auf uns auf- Sie sind in der Staffel unterwegs und begleiten und bis zur Gerasdorfer Labe.. ja noch ein wenig weiter. Ach… was solls… dann renn ich den Schaa…. doch ganz durch. Scherzhaft schließe ich zwar nicht aus, am Bisamberg auszusteigen, aber jetzt bei KM 110 lege ich mich fest. Ich werde heute finishen. Heute? Oder Morgen? Also vor oder nach Mitternacht? Wie spät ist es denn überhaupt. Es ist 20:40 als wir an der Labe Gerasdorf ankommen, also habe ich noch über 3 Stunden für 20 Kilometer. Na mal schauen.
Ein leichter Krampf kündigt sich an, aber kein Problem, ich gehe und laufe… bis ich wieder durch ein Lied für ca 5 Minuten zum Laufen genötigt werde, Es ist und bleibt absurd, welchen Einfluss die Musik haben kann. Marchfeldkanal das gleiche Spiel. Meine Endorphine fahren im Ringelspiel und haben eine Hetz, ich auch. Klar, ich gehe, ich laufe, aber ich bin DAAA ich bin wirklich noch DAAAA
ich weiß, was jetzt gleich kommt, bald Linkskurve, dann rauf, durch ein Wäldchen rauf zum Brünner Straße, Mitterhaidenweg und so weiter, ich kenne Euch alle und Ihr seid jetzt für mich da.
Bernhard und ich plaudern weiter während wir die Mitterhaidenweg rauf stapfen. Ein wenig zwickt es in meinem linken Knie, das wars aber auch schon. Ja insgesamt bin ich nicht mehr ganz frisch… ABER GEH:… WIRKLICH??? Durch die Weinberge, dann über die Wiese Richtung Hagenbrunner Straße und zur Labe. Hier will ich nicht zu viel Zeit liegen lassen und auf die letzten 12 ZWÖLF !!!!!!!!!!!!!!!! Kilometer. Erst noch dieses verdammte Kopfsteinpflaster, doch auch hier kann ich recht viel laufen, dann kurz gehen und wieder laufen. Der Boss ( Springsteen, nicht Bernhard) treibt mich an, ich versuche jeden Meter, den ich laufen kann im Laufschritt zu machen, ohne zu übertreiben. Mühlweg, Marchfeldkanal, hier überholen wir noch einen gehenden Kollegen und biegen bald über die kleine Holzbrücke auf den Hubertusdamm ein. Rauf auf die Brücke… ICH BIN DA! ICH BIN AUF JENEN LETZTEN KILOMETERN, die ich im Taxi noch etwas wehmütig betrachtet hatte.
ICH SEHE HEUTE DIE SKYLINE VON DER STRECKE AUS.
Lange Zeit ist Niemand hier zum Überholen, ich wechsle immer zwischen Geh und Laufschritt, wir unterqueren die diversen Brücken, bis wir dann knapp vor der Brigittenauer Brücke noch eine Gruppe von Fußgängern in Laufgwand sehen. Sehr gut, ich darf doch noch überholen 😉
Ab jetzt wird gelaufen, wie schaut das denn sonst aus? Noch ein paar Meter, unter der Brücke durch, links rein, Feuerwehr… ok, ich geh wieder, es geht doch ein wenig rauf aber ich bin jetzt am letzten Kilometer, ich hab´s ernsthaft geschafft, ich bin durchgelaufen. Wahnsinn.
Runter die Rampe, vorsichtigst über die Stiegen (Pizzipeter, wie konntest Du damals da drüber springen? ) und nach ein paar Kurven ist das Ziel vor mir
ICH SCHREIE, BRÜLLE, BIN unglaublich glücklich, als ich all die Leute von der Organisation, allen voran „Flotschi“ den guten Geist der Finishhalle“ sehe. Peter, Gaelle, Barbara, Tigerhalter Ihr seid alle da und gratuliert, DANKE
18:22, noch vor Mitternacht ist eine Zeit, die absolut nebensächlich und dennoch beachtlich ist.
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Epilog:
Im Ziel erfahre ich, dass Heidi offenbar Schmerzen und Probleme haben dürfte, ich rufe sie an, doch verstehe ich sie kaum, was meine Sorgen wachsen lässt. Sie wird niemals aufgeben, doch gescheit… ist das hier und heute nur bedingt.
Nun, die Einzelheiten erspare ich dem interessierten Publikum, jedenfalls schafft sie das Finish zum 10 MAL.
ICH BIN UNGLAUBLICH STOLZ AUF DICH UND LIEBE DICH (auch wenn du einen durchaus beachtlichen Hieb hast, oder vielleicht grad deswegen???)