Durchlaufen von hier ins Ziel schaffe ich nicht, bringt auch nix, weil für eine “bessere Medaille”, sprich sub10h müsste ich unter 5min/km laufen, das geht nicht. Außerdem möchte ich auch ein bisschen Kraft sammeln, weil die letzten 2km wird’s noch mehr Publikum geben und es sollte flach sein, dort möchte ich dann nicht mehr gehen müssen. Hab’ ja doch auch ein wenig meinen Läuferstolz. 4km vor dem Ziel wartet Anstieg 18 von 18! Jawohl, auch das ist geschafft. Sagt auch das Publikum: You got it, you got it, almost there, only 3k to go! Naja, ein bisserl mehr noch, aber ja, weit ist es nicht mehr. Dann kommt auch tatsächlich das 3km-to-go-Schild, yeah. Noch eine taktische Gehpause, dann kommt das 2km-Schild in Sicht. So, Martin, jetzt ist nix mehr mit Gehen, jetzt läufst Du das Ding fertig, weil müde und leer bist Du nicht, also tu! Okay, okay, ich mach’ ja schon. Ich bitte das Publikum uns anzufeuern - Please make some noise, we need you! Das hilft mir und auch anderen im Feld. 1km noch, am Ende der Straße sehe ich schon den Linksknick, der uns zum Kingsmead Cricket Ground bringt. Abbiegen, dann kurz geradeaus und dann geht’s rechts ins Stadion rein auf die 3/4 Stadionrunde ins Ziel. Die Stimmung auch hier ist gut, aber aufgrund der Zäune (oder ist es doch meine Müdigkeit) sehe ich das Publikum auf den Rängen gar nicht so - da war die Anfeuerung auf der Strecke fast noch mehr als hier beim Zieleinlauf. Aber ich genieße den Lauf auf der Wiese dennoch, freue mich unheimlich, dass der Lauf funktioniert hat, dass das in der Früh doch eher für unmöglich gehaltene doch möglich geworden ist und ich sogar deutlich unter dem 12-Stunden-Zeitlimit ins Ziel komme. Kurz überlege ich noch einen Zielsprint zu machen, die Kraft wäre da, aber ich lasse es sein. Für die paar Sekunden eine neuerliche Verletzung infolge der angeschlagenen Muskulatur zu riskieren lohnt sich nicht. Und so genieße ich einfach die letzten Meter ins Ziel. 10:16:09 sind es geworden. Und hier die offiziellen Statistiken:[STATISTIK IST ALS BILD UNTEN ANGEHÄNGT]Obwohl es sich anfühlte, als ob das Feld mich bergab überrollt, habe ich ab Pinetown doch kontinuierlich Plätze in der Gesamtwertung, Altersklasse und auch Geschlechterwertung gut gemacht. Also hinten raus offenbar doch gar nicht so schlecht eingeteilt mit der Kraft. Aufgrund des kürzesten Down-Run jemals gab’s dann auch neue Streckenrekorde: der Sieger benötigte 5:13:58 - ein flockiger Schnitt von 3:35min/km. Und der neue Streckenrekord der Damen lautet auf 5:44:54, eine durchschnittliche Kilometerzeit von 3:56min/km. Unglaubliche Zeiten für die Distanz und vor allem die brutalen Höhenmeter! Im Ziel ging’s dann schnurstracks in die “International Runners”-Area. Das war im Vergleich zu der nicht vorhandenen Erholungszone für die einheimischen Läuferinnen super, weil man konnte in Ruhe in der Wiese sitzen … oder sich einen Sessel organisieren, weil von der Wiese wäre ich gar nicht mehr hochgekommen. Getränke und ein Lunch-Paket gab’s ebenso und auch Carola traf ich dort - sie hatte den Lauf nach 8h33 beendet, musste aber gar nicht so lange auf mich warten, da sie zwischenzeitlich mit ihrer Gewandsuche beschäftigt war. Aber das erzählt sie Euch am besten in ihrem eigenen Bericht :-D Nach einer Stunde war ich dann halbwegs bei Kräften und die letzte Herausforderung des Tages stand an. Nachdem die Läufer im Stadion ja die Runde laufen, muss man vom Innenfeld über eine wirklich steile Treppe auf den Übergang über die Läuferstrecke hoch und auf der anderen Seite auch wieder runter. Das war wirklich brutal - noch viel brutaler als die paar Stiegen in der Frankfurter Messehalle (wer’s kennt). Noch dazu dichtes Gedränge, weil die Treppe vielleicht 4m breit war und lauter angeschlagene, erledigte Läuferinnen sich da rauf und runter quälten. Wie das vom Sicherheitskonzept her genehmigt werden konnte, ist mir ein (südafrikanisches) Rätsel. Aber es ging alles gut, auch die eine Läuferin, die sich oben angekommen von Krämpfen geplagt mal hinlegte, kam wieder auf die Beine noch bevor die Sanitäter sich mit einer Trage hochgekämpft hatten. Ich glaube, das war auch für sie angenehmer, selbst weiterzukommen als 60 Grad geneigt in der Trage runter transportiert zu werden. Und dann noch das abschließende Highlight: vom Stadion sollte man natürlich auch nicht zum Hotel gehen, weil gefährlich. Allerdings hatten wir weder Handy noch Geld mit (weil Sicherheit und keine Wertgegenstände im abgegebenen Gepäck) und Taxis einfach so heranwinken ist in Südafrika sowieso auch nicht. Also nahmen wir das “Risiko” und machten uns per pedes auf den Weg Richtung Strandpromenade, an der auch unser Hotel lag. Dabei trafen wir dann auch ein Zuschauerpärchen am Heimweg, welches wir zunächst fragten, ob wir ohnehin am richtigen Weg sind (die Orientierung fehlte uns ein wenig) und dann, ob sie eventuell in die gleiche Richtung gingen und wir uns zwecks Sicherheit anschließen dürften. Ja, sie sind am gleichen Weg und gefährlich ist es jetzt nicht so, wenn wir nicht ein Handy öffentlich zeigen würden. Okay, schaffen wir, weil wir haben eh keines dabei. Dann ein bisschen Plaudern woher wir kommen, wie der Comrades war, zu welchem Hotel genau wir müssen und dann die Frage: wir parken eh da vorne, dürfen wir Euch zum Hotel fahren, weil ihr könnt zwar gehen, aber das dauert doch einige Zeit und ihr habt’s eh schon genug gemacht heute. Ja, also das wäre natürlich supertoll. Vielen Dank! Und so hatten wir dann auch noch zum Abschluss einen angenehm kurzen Weg ins Hotel - auch das ist Südafrika, es wird improvisiert und gegenseitig geholfen. Ein weiteres Beispiel dazu auch aus dem Alltag: die Hauptverbindungen außerhalb der großen Stadtautobahnen sind alle meist nur je Richtung einspurig mit einem Pannenstreifen auf jeder Seite. Um den Verkehrsfluss möglichst effizient zu halten sowie auch sicher überholen zu können, ist es einfach üblich, dass der Langsamere bei Annäherung eines Überholungswilligen links auf den Pannenstreifen ausschert und sich überholen lässt - dafür gibt’s dann ein Danke via Warnblinkanlage, welches der Überholte mit der Lichthupe quittiert. Selbiges Prinzip übrigens auch bei Gegenverkehr - hier wird auch mal in den Gegenverkehr hinein überholt, weil der Gegenverkehr ohnehin auf den Pannenstreifen ausweichen kann. Dieses Miteinander und Rücksichtnahme ist dann auch Südafrika! Ein Land der Gegensätze. Am Montag spazierten wir noch äußerst gemächlich die Strandpromenade ein wenig auf und ab. Man nickte sich gegenseitig zu - es war ziemlich klar ersichtlich, wer da gestern was gemacht hatte :-). Und dann ging’s zum Flughafen: auch dort das gleiche Bild, Comrades-Teilnehmer waren klar identifizierbar (auch jene ohne Medaille und Finisher-Shirt). Aber erstaunlicherweise schaffte ich den Rückflug ohne Krämpfe und auch dem Gesäß geht’s eigentlich besser als vorm Lauf - das war wohl eine ziemliche Radikalkur bzw. werden die Beschwerden wohl durch die komplett kaputten Oberschenkel überlagert - schon lange nicht mehr so einen Muskelkater gehabt, aber es war es wert und damit Ende gut, alles gut. Es war mir eine Ehre, es hat mich sehr gefreut! Hier noch das offizielle Video von meinem Zieleinlauf - ich glaube, ich freu’ mich :-D