Autor Thema: 2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich  (Gelesen 16021 mal)

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Datum: 2020-10-31
Event: Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht
Distanz: 130,000 km

Ersteller: Ulrich

Online Ulrich

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #1 am: 02.11.2020, 11:03:25 »
 Ich will nicht, ich will nicht – oder doch

Der Resilienzlauf

Verdammt, ich will schlafen, ich sollte doch morgen halbwegs ausgeschlafen sein, warum kann ich nicht schlafen? Na super...
 Hey, Moment... wieso lieg ich da jetzt im Bett, ich hab doch grad noch geträumt, dass ich am Boden liegend Heidi quasi um ihren Segen bitte, dass ich nicht starten will. „ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht“. In Kleinkindmanier jammere ich ... doch, gut es war ein Traum Na fein, einerseits zeigt das meine Motivation für den Lauf, andererseits …, wenn ich aufgewacht bin, muss ich doch geschlafen haben. Na dann passt es ja eh.

Der Rundumadum, einer unserer Lieblingsläufe, eine langes Tages Reise in die Nacht ... und vor allem in mich selber, ja er findet statt. Nicht als Wettbewerb, sondern als loser Lauftreff von Freunden, die noch dazu 20 Sekunden getrennt, maskiert starten. Gut letzteres kann auch dem Sinnvollfestl Hallo-Wien geschuldet sein.
Jedenfalls gaben sich Florian und seine Crew größte Mühe, allen Notwendigkeiten nachzukommen, um den Lauf dem Ultra-Geist und nicht dem Husten zu weihen.
Ach, in einer Zeit der Absurdität, der Zeit der permanenten schlechten Nachrichten, der Pandemie-PKs und der allgemeinen Verunsicherung bleiben die 130 Kilometer rund um Wien wenigstens eine Konstante. Danke an alle, die sich die Arbeit der Organisation antun, Danke an Florian, Georg, der immer noch im Hintergrund dabei ist.
Meine Vorbereitung ging heuer viel zu früh zu Ende. Bedingt durch den LCC-Herbstmarathon, den wir noch in der Vorbereitung mitnehmen wollten, beendete ich die Viellaufwochen schon Ende September. Danke Alex und meiner Osteopathin Michi war ich völlig schmerzfrei durch die Vorbereitung gekommen. Ausgeruht war ich also zur Genüge, sie Sicherheit vieler Trainingskilometer und der entsprechenden körperlichen Anspannung fehlte mir aber. Ich verließ mich also drauf, dass mein Körper das Laufen nicht verlernt hatte und umso ausgeruhter in den Rundumadum 2020 gehen konnte. Wahrscheinlich gut so, denn ansonsten hätte mich wohl auch der Regen der Vortage noch nervöser gemacht. So konnte ich mir wenigstens einreden, dass der Lauf mein Jahresurlaub, mein Jahreshighlight werden sollte. Der eine Tag ohne Kanzler, der Tag ohne Krankheiten, ohne schlechte Nachrichten und ohne all die sonstigen Unerfreulichkeiten der letzten Monate. Ja, was kümmern mich heuer Zeiten, ich will leben, ich  will laufen.

5:52
Heidi ist schon weg, Peter, Josef, Roman ebenfalls. Ich stehe maskiert und etwas müde am Start.
3,2,1. Gemma, Laufma
Stirnlampe brauche ich diesmal keine, die um fast 30 Min spätere Startzeit bewirkt, dass ich auch ohne eigene Beleuchtung schon sicheren Schrittes auf die Insel komme. Ich überhole Josef, laufe auf einen weiteren Kollegen auf – Martin war ein Ultraneuling den ich in weiterer Folge bis zur ersten Labe begleiten sollte. Wir plaudern uns durch die ersten Kilometer, laufen knapp nach dem Kanal auf Heidi auf, trotteln langsam in Richtung Nasenweg. Ich mahne Martin, die Nase keinesfalls im Laufschritt anzugehen, zumal... wir danach noch 120 KM vor uns haben. Am Weg rauf erfahre ich, er ist Polizist, kein einfacher Job, heutzutage. Wobei lustig… dann laufen ja grad Recht und Ordnung nebeneinander :-D

Oben angekommen ziehe ich in der Hoffnung auf trockenes Wetter meine Regenjacke aus, schließlich will ich nicht völlig verschwitzt nach Lainz zu meinem Wechselgewand kommen. Wir gehen, laufen zum Kahlenberg, an der Höhenstrasse entlang, Schönstatt, hier der erste Kontakt mit dem, was uns nun im Endeffekt bis zum Bisamberg begleiten sollte, Gatsch. Gut, dass ich in der Vorbereitung einen Schuhwechsel beim Schottenhof eingeplant hatte, so konnte ich die eine oder andere Gatschlackn mitnehmen, ohne mich zu ärgern. Warum nicht beim Gütenbachtor? Nun, ich bin zwar durchaus gerne mit meinen Roclite G270 unterwegs, aber für 45 km sind die mir doch ein wenig zu schmal und zu hart, daher wollte ich schon nach dem ersten und für mich beeindruckendsten Gatschloch auf meine Parkclaw wechseln.

Beim GrüßDiaGott-Wirt bekomme ich eine Verständigung, Floh hätte mich angerufen. Komisch, wieso höre ich den Anruf nicht? Ich rufe zurück, bzw. versuche es. Doch mein Handy scheint eine Fehlfunktion zu haben. Nummer existiert nicht… Schmarrn. Martin ist so nett und ruft für ich bei der Orga an, mein Tracker funkt nicht, (surprise, surprise) aber, als Floh hört, dass ich der Trackerträger bin, meint er, ich würd die Strecke eh kennen. Dennoch, wie soll ich nun mit Heidi, Bernhard und Dagmar kommunizieren? Schei… (Stoffwechselprodukt) auch…. Gut, dass ich dann in weiterer Folge merke, dass ich zumindest SMS schreiben kann.

Wir gehen rauf zum Häuserl am Roan, trotten zum Hameau. Hier vermehrt sich der Verdacht, dass ein Schuhwechsel nicht die schlechteste aller Ideen ein könnte, so viel Gatsch findet man ja hier selten. Runter in den Schwarzenbergpark, durch die Allee, wir plaudern, doch langsam merke ich, dass das viele reden auch anstrengend wird. Nun die gatschgewordene Fangopackung, der Traum aller Wildschweine, das Gatschloch der Gatschlöcher: die Marswiese bis zum Schottenhof. Erst noch wirkt es nicht ganz so schlimm, doch jeder Meter belehrt eines Besseren, gut dass ich oben meine Parkclaw anziehen kann. Wir steigen durch den Dreck, oben dann verabschiede ich Martin für einige Zeit, ich muss nun meine Schuhe wechseln, Iso nachfüllen, Riegel bunkern, das Übliche halt.
Ich hab das Gefühl, ewig zu brauchen 3 Läufer überholen mich, aber heut ist mir das wirklich tendenziell völlig Powidl. Wenn ich 19 stunden brauch, auch ok
Ich liebe meine Parkclaw. Das Gefühl in diesen Schuhen ist herrlich. Ok, sie haben nicht immer den besten Halt im Gatsch, aber dafür schauen sie gut aus. Wenn sie sauber sind

Rauf/Rüber zum Galizinberg, dann runter zum Steinhof. Lustig, ich fühl mich jetzt wieder besser, angenehme Schuhe, eigenes Tempo, passt. Auch der Dehnepark, die Linzerstrasse und Hütteldorf fühlen sich wirklich gut an, auch die – wie ich sie nenne – billigen Kilometer bis zum Einstieg in die Lainzer Runde gehen gut von der Sohle. Ich laufe bei Pulverstampftor auf Roman Nasmorn auf, wir plaudern kurz, dann bleib ich in meinem Tempo und renn weiter. Der Beginn der Lainzer Runde hält Gatsch und Wasser bereit. Durch den einen rutsche ich durch, im Wasser bade ich (unfreiwillig) meine Schuhe, ich steige bis zu den Knöcheln in eine Pfütze. Hoffentlich hat Heidi so wie sonst auch recht mit ihrer Aussage, es trocknet alles irgendwann…
Der Dreihufeisenberg ist zwar recht lehmig, aber nicht ganz so wild, ehrlich  gesagt habe ich ihn mir schlimmer vorgestellt, so bin ich relativ fit oben und rolle die Schotterstraße hinab. Emmi, eine liebe Kollegin von mir wartet unterhalb des Laaber Tors, ich freue mich sehr, sie zu sehen, wir plaudern ein paar Worte. Locker und easy weiter zur Güttenbachtorlabe. Schön, gleich vom Labebetreuer angesprochen zu werden. Er kennt mich noch von meiner Aufgabe 2018 und meinem Traumlauf 2019. Netter Typ Hier fülle ich hauptsächlich meine Getränke nach (was erst gar nicht so einfach ist, weil ich irrtümlich nur eine Iso-Flasche eingepackt habe, doch mein SAP Martin lässt mich an seinem Wasservorrat mitschmarotzen) und versuche möglichst viel zu essen, Leider vertrage ich scheinbar das gefüllte Salzstangerl nicht so gut, mich begleitet ab sofort für lange Zeit ein leichter Brechreiz.
Den Pappelteichpark kenne und mag ich in der Zwischenzeit schon ganz gern und gut, als ich in der Klausen runterrenne treffe ich Mischa. Schön Dich zu sehen!

Nun, den ersten Lauf, die Botanikrunde haben wir mal geschafft, jetzt geht´s on the road again, oder, wie ein anderer Titel meiner Playlist so treffend singt: the old man is on the road.
Alt aber noch nicht veraltet, ich habe mich hier schon schlechter gefühlt. Irgendwann laufe ich auf Andy Berninger und seine Begleitung  auf, doch trennen sich unsere Wege noch vor dem Traildog. Hey, wieso ist da niemand? Komisch, scheinbar entfällt die Labe heuer. Schad ich hätt mich gefreut.

So, wie schau ma aus? Nicht mehr ganz frisch, ein leicht flaues Gefühl im Magen, aber sonst… lockere Haxn, keine Schmerzen. Ein wenig Schwindel, nun, geht vorbei. Glaube ich. Ich laufe bei Liesing wieder auf Martin auf, der gern wieder mit mir mitlaufen möchte. Ich habe ein extrem schlechtes Gewissen, als ich ihm erkläre, dass ich lieber allein laufe, er sich aber gern an mir orientieren kann. Leider bin ich zu langsam, worauf der mich überholt und dann bis zum Wienerberg vor mir unterwegs ist. Nun, apropos langsam. Ich schaff es ja grad noch, halbwegs im Schlepp zu bleiben, gehe zwar die Anstiege (auch bei den Unterführungen) doch fällt es mir dann immer noch schwerer, danach ins Laufen zu kommen. Egal, ich hab kein keinen Stress. Wobei, das Kilometerschild, welches mir den KM 60 ausweist hilft mir psychisch grad auch nicht wirklich. Ach wurscht. Im Gegensatz zu 2017 bin ich gesund, im Gegensatz zu 2018 sogar ausgeschlafen. Also kann ich mich drauf verlassen, dass der Rundumadum eben nicht 1, sondern eben 3 Rennen ist. Grob gesagt 3 Marathons. Die Botanik, der flache Teil tagsüber und dann in der Nacht. Wenn einer davon nicht gut läuft, dann gibt´s ja noch die anderen. An diese Hoffnung hänge ich mich, als scheinbar plötzlich temperaturbedingt der Kreislauf schwächelt.

Grad hier begegne ich Uschi und ihren Mädls. Ihr strahlt so und seid ein Fixpunkt, doch ich kann kaum reden, weiß nicht, wie ich stehen soll. Ein Schluck Cola, ein paar Salzbrezel und weiter geht´s. Doch let´s be honest, derzeit bin ich nicht sicher, ob ich durchkomme. Ich verlängere den Wanderertag noch ein wenig, um meinem Kreislauf Zeit zu geben, wieder ein wenig hochzufahren.Gut, dass ich einer Versuchung nicht erlegen bin, es hätte sich gerächt. Noch in der Nacht habe ich überlegt, ob ich nicht meine Jahreskarte einstecken sollte. Besser, ich hab sie jetzt nicht dabei, sicher ist sicher ;)

 Irgendwie schleppe ich mich über die Laxemburgerstraße, bei den Ampeln habe ich insofern heuer das Glück, das ich letztes Jahr vermisst habe, ich erwische zumindest immer den letzten Schimmer einer grünen Welle. Dieser Weg hinter der Laxemburgerstraße, entlang einer Kleingartensiedlung, den mag ich irgendwie, das ist genau mein Gefälle. Dahinter geht´s wieder etwas rauf, als Hatsch-pause angesagt, so erhole ich mich fast ein wenig. AH-Die Brücke 😉 … Manchmal wenn wir mit dem Auto nach Kärnten fahren, kommen wir auf der A23 unter ebendieser Brücke vorbei. Jedes Mal eine Erinnerung an den Lauf, ein kurzer Gruß. Schön, Dich wieder zu treffen.
Na gut, runter kann ich ja ein paar Schritte laufen. Und wenn ich schon dabei bin… Nein, doch noch nicht. Scheinbar diene ich einigen Jugendlichen zum Gaudium, na, wenn sie ihre Hetz haben, soll´s sein, Hauptsach irgendwer lacht heutzutage. Endlich bin ich im Laaer-Berg-Park. Nein, nicht, dass ich ihn besonders mögen würde, aber er gehört so richtig zu meinen Fixpunkten, dieses steile Stückl da mitten drinnen, die Leut, die einen seltsam anschauen und überhaupt. Bald kommt die Bitterlichstraße. Ach, erst noch … und dann war da auch noch die Gasse. Die Kreuzung auch noch, hab ich ganz vergessen. Macht nix, die Ampel über die Laaer-Berg-Straße hat sogar Grün, wow. Ich schau, dass ich möglichst flüssig die Bitterlichstraße runterkomme. War schon besser, aber… immerhin laufe ich. Ich glaube den worst Part habe ich bald hinter mir. Ich mag zwar nicht dran denken, dass ich jetzt wahrscheinlich erst 70 KM hinter mir und so noch 60…. Wurscht. Freu Dich jetzt einmal auf die kommenden Passagen. Du hast noch so viel zu erleben, so viel Streckenabschnitte wieder zu treffen, freu dich drauf.
 Rein die Grenzstraße, über den Feldweg runter zum Lastenbahnhof kommen mir 3 Kinder in kleinen benzinbetriebenen Buggies entgegen. Rauf geht´s über die Brücke, und weiter. Bald kommt die Labe.
Am Weichseltalweg wechsle ich auf die rechte Straßenseite, um mir die Ampelschaltung über die Simmeringer Hauptstraße zu sparen, klappt gut, ich erwische dann eine andere grüne Ampel und stehe schon wieder vor der Labe. Die beiden von der Labe machen ein Foto, wir plaudern, und schon kommt Pizzipeter in einer nahezu unanständig guten Laune daher. Wow. Langsam geht´s mir ja auch wieder besser, es wird etwas kühler, dennoch entscheide ich mich dazu, meine Regenjacke jetzt abzugeben, ich habe ja noch einen anderen dünnen Regenschutz eingesteckt, wenn´s nötig sein sollte. In reflektierende Gelbwäsch eingepackt und mit Blinklichtern versehen starte ich nun langsam in den 3 Teil des Laufes.

Lassen wir also die Unerfreulichkeiten an der Labe und starten den Lauf neu. Reset. Durch das Gasslwerk der geht´s zur Freudenauer Hafenstraße, zum Einlaufkraftwerk und auf die Insel. Ja, ich bin wieder da, langsam, aber mein Kreislauf passt wieder, ich fühl mich wieder halbwegs OK. Seit ca. 15 KM überlegt sich zwar mein Wald zu krampfen, aber solang es nicht schlimmer wird, passt auch das. 
 Auf der Insel dann wundere ich mich, dass nun schon der Sonnenuntergang zu bestaunen ist, bin ich denn so viel langsamer als letztes Jahr? Würd mich ja nicht wundern und vor allem, heut ist heut, ich hab keinen Stress, ich will heuer finishen, das sollte schaffbar sein. Nur noch etwas mehr als 50 KM. „Nur“ noch? Wanderer Du spinnst… ja aber deswegen schaffst Du es auch!
Auf der Steinspornbrücke das Bild des Tages: in wundervollen Dunkelrot getauchte Bäume, und ein nahezu in Sonnenflammen stehender Millenniumstower. Gleich einem Leuchtturm leuchtet der Tower und zaubert eine herrliche Stimmung. Ich hoffe sehr, dass sich hier irgendein Foto im Netz finden wird.
 
Gleich darauf ein weiteres Highlight! Dagmar. Sie hilft uns wieder mit Tee und Essen. Vor allem aber mit ihrer so unverschämt guten Laune. Tut so gut! Danke Dir! Eine Banane begleitet mich nun in die Lobau, ich  versuche, sie so gut wie möglich in kleinen Bissen zu essen, ich kann´s brauchen.
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Online Ulrich

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #2 am: 02.11.2020, 11:03:44 »

 
Lobau, mon amour. Naja, auch nicht wirklich, aber wir haben schon eine besondere Beziehung. Du nervst mich massiv in Deiner Eintönigkeit und faszinierst mich mit Deiner Gleichmut. Du ziehst mir den letzten Nerv durch Deine Ewigkeit und fängst mich in Deinen Weiten doch irgendwie ein und auf.
Die Sonne ist schon weg, doch dauert die Dämmerung so lange, dass ich über den Pepisteg, ja bis zum OMV Lager ohne Lampe laufen kann. Ich will sowohl Akku sparen, als mich auch auf die Pfützen konzentrieren können, die ich irgendwie ohne künstliche Beleuchtung besser zu sehen glaube, als im Licht der Lampe. Nun aber geht´s nicht mehr anders. Lampe ein und weiter.
Grad, links, rechts… irgendwann schau ich einmal auf meine Uhr und versuche mich zu orientieren, ja ich bin auf der Strecke und ja… noch mitten drin. Viel habe ich schon, viel gilt es noch zu erleben. Die Playlist treibt mich weiter, hier primär der Boss Bruce Springsteen. Ich laufe, ich hab mich wieder erfangen. Irre, wie war das möglich? Egal, geil ist das allemal! 
Am Boden sehe ich ein Magnesium-Salz Sachet, sehr nett von Dir, dass Du auf mich wartest. Ja, kann ich grad gut brauchen.
Noch 2,3 KM bis zur Furt, nach gefühlten 2 KM noch 1,9, dann irgendwann noch 1.3. Lobau, wir sehen uns 2021 wieder, ich muss jetzt mal weiter.
Schad, dass die Labe gleich an der Furt furt ist, doch die Betreuerin an der neuen Position gibt sich alle Mühe durch gute Laune zu glänzen. Toll. Auch Heidi ist hier schon eine bekannte Größe, der Mann der Labestellendame hat sie scheinbar lange Zeit gemeinsam mit seinem Trailbären begleitet.
Wieder ist Peter da. Hey, was soll das? Scheinbar ist die Ente hinten wirklich ordentlich fett. Mal schauen, was das noch wird.

Mein nächstes Ziel hat einen Namen: Bernhard. Wir haben uns den Treffpunkt bei der U-Bahnstation Aspern Nord ausgemacht. Ich könnt jetzt nicht sagen, dass die Ostbahnbegleitstraße meine Lieblingsstrecke ist, doch kann man hier wenigstens zügig dahintrotten. Mit meinen Reflektoren scheine ich halbwegs sicher zu sein, die Autos weichen weiträumig aus. Ha, ich freue mich auf Bernhard, ab sofort geht´s dann sicher wieder nett weiter.

Ja, auf ihn ist Verlass. Wir pendeln uns im Lauf-Gehschritt ein, irgendwie bin ich zwar plötzlich nicht ganz so easy unterwegs wie noch vor ein paar KM´s dafür ist die Unterhaltung aber um Welten besser. Wir plaudern uns durch die Nacht. Irgendwann steht MiSter gemeinsam mit unserem Freund Martin an der Streckt und stärkt mit Suppe, Orangen und noch allerlei anderen Goodies. Ja, das ist nun der 5. Marathon des Jahres, schön. Ich werd´s schaffen. Auch wenn´s heuer lang wird, wenn´s 19 Stunden sind, passt es auch. Ich komm durch.
Gasslwerk, Büsche, Gatsch, was weiß ich, wie die ganzen Wege heißen, Hauptsache sie bringen uns Richtung Gerasdorf.
Auch die Ampel vor der Schuhfabrik Reiter ist heuer kein Problem, dahinter sollte bald auch die Labe kommen. Ich trinke schnell einen Schluck Almdudler, zu mehr ist mein Magen, der seit vielen Kilometer im „Mah-ich-mag-speiben“-Modus ist nicht mehr im Stande. Ganz selten schaffe ich noch ein Gel, mehr nicht mehr. Ich gehe viel, doch verkrampft sich das Wadl im Gehschritt immer noch mehr. Laufen... nun, so man das so nennen kann, ich versuch´s ja eh, aber mit einer gefühlten Minusfüllung im Tank schaff ich da auch keinen Rekord mehr.
Gerasdorf, gehen, laufen, gehen, gehen, lau…, gehen. Passt schon. Wo ist eigentlich Peter?

Dann rechts, rauf, links, bald kommt diese Brücke, dann auf den Feldweg. Hier sollte man wieder dem einen oder anderen Gatschloch ausweichen, was mir meistens gelingt. Alle paar gefühlten Kilometer drehe ich mich um, dann kommt wieder ein Staffler, oft mit Radlbegleitung daher.

Hey, die Brünner Straße, schön. Da hinten wird grad wer kontrolliert, die Polizei begleitet mich ja heut richtiggehend. Wir queren die Straße, der Polizist kommt auf uns zu. Ich grüße… er fragt, was wir machen, ob wir beim Rundumadum mitmachen. (Hey, er kennt den sogar!!!) Wir sollen nicht auf der Bundesstraße laufen, das wäre gefährlich. OK, ich versuch ihm nach ca. 115 KM zu erklären, dass mir das wurscht ist und dass wir vor allem jetzt eh gleich auf den Bisamberg laufen, also weg von der Straße.
 Alles OK, wir laufen weiter. Immerhin diesmal nach doch schon ein paar Laufjahren eine neue Facette der Lauferei… die Polizei hält mich auf. :haha:
Bisamberg, letztes Jahr konnte ich hier na noch laufen, heuer schaut das nicht mehr so locker aus. Ach was… nur der alten Zeiten willen, ein paar Meter gehen immer. Also nicht Gehen…, Laufen. Whatever.
Bernhard unterhält mit diversen Bonmots und Geschichten, es ist eine sehr kurzweilige Strecke. Wo ist denn Peter? Ich sehe ihn nirgends, doch Bernhard erspäht irgendwo eine Stirnlampe. Am Weg hinauf finde ich ein paar Weintrauben. Mein Magen ist schon dermaßen hinüber, dass er schon nicht mehr rebellieren will.
Wiese, Acker, Gebüsch... und nun noch die in meinen Augen gefährlichste Passage, die Hagenbrunner Straße. Ich schalte meine Stirnlampe auf Flashlight, also Blinken und versuche möglichst flott hier wieder weg zu kommen.
An der Labe, was für eine Überraschung, Peter ist schon da. Wo hat er uns dann überholt? Scheinbar hab ich ihn einfach nicht mitbekommen. Er meint noch, dass er jetzt 90 Min für die letzten 12 KM hätte, um Angelika´s Vorgabe einzuhalten. Sie würde ihn auch noch am allerletzten Stück am Radl begleiten. Und entschwindet in die Krottenhofgasse.

So, langsam kommen meine nicht so guten Züge raus. Peter, Du bleibst nicht vor mir! Nein, vor mir sollen nun nur die sein, die ich überhole. Ich bitte sogar Bernhard, ab sofort nicht mehr vor oder neben mir zu laufen, sondern hinter mir. Ich brauche nun meinen Jagdtrieb.
Ich versuche ein relativ hohes Tempo anzuschlagen, was erstaunlicherweise auch gut klappt. Wie das möglich ist? Keine Ahnung, auch wenn ich vorher dem Brechreiz nahe war und nur gehen konnte, alles kein Problem. Peter bleibt stehen, ich überhole ihn und versuche noch weiter zu beschleunigen. Fast laufe ich das Tempo einer Staffelläuferin mit, die mich überholt. Auch über den Marchfeldkanalweg halte ich das Tempo hoch. Auf der Straße geht´s dann noch lockerer, also… gut, rauf gehe ich, aber dann am Damm selber, auf meiner Hausstrecke, in meinem Wohnzimmer fliegen die Bäume wirklich wunderschön vorbei. Irre, was ist das denn heute? Bewirkt ein Peter in sicherer Entfernung solche Wunder? Renn, lass nix anbrennen.

Bernhard bleibt hinter mir. Ich drehe den Mp3-Player voll auf. Status Quo, Queen, Stones, Bowie, ihr treibt mich rein. Die Unterführungen lauf ich runter, gehe rauf. Und dann wieder Laufschritt. Ich drehe mich um… HÄ? Wieso kommt da wer? Kann das Peter sein? Tempo, mach weiter. Ich versuche noch weiter zu beschleunigen, keine Ahnung, was für ein Tempo, ich fühle mich wie in 4:30, wahrscheinlich wird es irgendwas unter 5 min gewesen sein. Links rein in den Park, Rechts bei der Feuerwehr, sie sind noch  weit hinten. Links…. SCHEI…. (Stoffwechselprodukt) !!!!!! ich bin falsch! Ok, egal, da vorne geht es wieder rechts auf die Strecke. Na fein, jetzt haben sie mich überholt, egal, ich sprinte über die Wiese – innerlich betend, dass ich in kein Lock steige -  und überhole Peter mit einem lauten „Aber sicher nicht!!“ Der Weg geht leicht runter, ich freue mich, bin happy, … Er scheinbar auch und beantwortet meinen Sprint. NO WAY, was ist denn das? Der Typ hängt mich mit einem Tempo ab, das absolut jenseits ist, selbst wenn ich jetzt noch alles versuche, dann geht´s nicht. Ich staune und freue mich. Nein, nicht dass ich überholt werde, das kann ich ehrlich gesagt grad beim Finish nicht wirklich ausstehen. Aber…, wenn, dann von Dir und wenn dann so. Bravo Peter!
Was soll ich, nun ein paar Tage nach dem Lauf sagen..Es war besonders, ebenso wie wohl auch das ganze Jahr ein Besonderes gewesen sein wird. Die Aussicht auf eine schnelle Zeit war nicht gegeben, und doch blieb ich 17:40 mit nur 6 Min über meiner 2015er Zeit. Die Geschichte des Laufes war eine Allegorie auf die derzeitige Situation. Unzählbare Gatschlöcher, dann leichte Erholung, ein starker Einbruch und dann doch wieder Erholung. Ich steh auf den Lauf, ich mag den Rundumadum
 
 
 
 
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Offline run4fun

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #3 am: 02.11.2020, 13:09:30 »
Danke für den schönen Bericht und Gratulation fürs Durchhalten  :good: :applaus_klatsch:
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Offline Pizzipeter

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #4 am: 02.11.2020, 13:33:52 »
Ja, danke für den ausführlichen Bericht 😀👍 - fühle mich geehrt 😉
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Offline uschi61

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #5 am: 02.11.2020, 13:45:44 »
Danke für den genialen Bericht zu deinem genialen Lauf - Gänsehaut pur!!!
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Offline mister

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #6 am: 02.11.2020, 14:10:00 »
Gratulation zum Durchhalten.
Bei km 100 hast du etwas verwirrt gewirkt. Aber boenald hat dich sicher ins Ziel geleitet.
Und die Kräfte am Ende sind immer wieder erstaunlich.

Offline Anna

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #7 am: 02.11.2020, 18:06:38 »
Bravo Ulrich - du bist ein Motivationswunder und ein Kämpfer  :welle2: Toller Bericht - jetzt weißt du auch, warum Pizzipeter immer diese  Intervalleinheiten machte. ;)

Online Ulrich

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #8 am: 02.11.2020, 19:23:25 »
Gratulation zum Durchhalten.
Bei km 100 hast du etwas verwirrt gewirkt. Aber boenald hat dich sicher ins Ziel geleitet.
Und die Kräfte am Ende sind immer wieder erstaunlich.
Ja, ich war bei 100 etwas von der Rolle, aber.... ein Bernhard an der Seite kann durchaus Wunder bewirken ;)
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Offline Diana11

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #9 am: 03.11.2020, 13:12:11 »
Danke, Ulrich, für den leiwanden Bericht! Ich freu mich immer auf deine unterhaltsamen Erfahrungsberichte  :D
Wie war denn deine Finisherzeit? Muss sich eh deutlich unter 19h ausgegangen sein, oder?
WETTKAMPFSCHWAMMERL
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Online Ulrich

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #10 am: 03.11.2020, 13:15:56 »
Danke, Ulrich, für den leiwanden Bericht! Ich freu mich immer auf deine unterhaltsamen Erfahrungsberichte  :D
Wie war denn deine Finisherzeit? Muss sich eh deutlich unter 19h ausgegangen sein, oder?
ach ja, hab ich vergessen:17:40
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Weil 42 die Antwort ist und 130 der Sinn

Offline Diana11

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #11 am: 03.11.2020, 13:19:34 »
Danke, Ulrich, für den leiwanden Bericht! Ich freu mich immer auf deine unterhaltsamen Erfahrungsberichte  :D
Wie war denn deine Finisherzeit? Muss sich eh deutlich unter 19h ausgegangen sein, oder?
ach ja, hab ich vergessen:17:40
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BRAVO  :applaus_klatsch:
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Offline KITTY

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #12 am: 03.11.2020, 16:54:44 »
Du scheinst ein Spezialist zu sein am Ende eines WK noch alles aus deinem Körper rausholen zu können. Kann mich noch an deinen Bericht vom Vorjahr erinnern, da war es auch so. Gratuliere auch zum Durchbeißen. Mit Magenprobleme so eine Strecke zu absolvieren da muss man schon sehr stark im Kopf sein.  :welle1:
lg
peter

Offline heitzko

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #13 am: 05.11.2020, 19:31:04 »
Das war ein echtes Wechselbad der Gefühle - vom Stoffwechselprodukt, dem Traum aller Wildschweine bis zu Status Quo, Queen, Stones und Bowie im/beim Finish-Duell mit Peter....heuer war für dich einfach alles dabei was der Rundumadum zu bieten hat. Ich gratuliere zu diesem besonderen Urlaub vom Alltag, der nicht nur ein reiner Wellnessurlaub war, spitze!!!

Offline Alexander

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Antw:2020-10-31 Wien Rundumadum - Die Ganze G'schicht - Ulrich
« Antwort #14 am: 10.11.2020, 21:44:43 »
Spät, aber doch: Bravo Ulrich - und sehr interessant geschildert, macht Lust, es auch einmal zu versuchen.

 

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