Lauf- und Kuschelparty LondonIm Oktober 2013 hat mein „Weg“ nach London begonnen. In der Euphorie nach meiner neuen Marathon-Bestleistung von Berlin kurz zuvor habe ich meinen Namen auf die Liste der Forumsinteressenten gesetzt.
Ein erfolgreiches Jahr 2013 schließe ich mit einer Top-10 Platzierung beim Wiener Silvesterlauf ab, dann ist „Schluß mit lustig“ und mein Körper macht nicht mehr mit – wie sich im Verlauf der nächsten Monate 2014 herausstellen sollte. Die Liste der Londonläufer in unserem Forum wird anfangs länger, dann wieder kürzer, schließlich ergreift Kitty die Initiative und bekommt ein Angebot von einem Linzer (Sport)reisebüro.
Ich wollte immer schon mal in London den Marathon laufen, aber inzwischen ist es mir ziemlich egal, Beine und Rücken schmerzen dauernd, ich laufe fast nichts und eine neue Ausbildung ist mir wichtiger. Es macht mir überhaupt nichts aus, daß wir drei Unentwegten Tschitschi, Kitty und ich, die sich von den großen Kosten nicht abschrecken ließen, auf einer Warteliste gereiht wurden.
Irgendwann im Herbst dann die „Hiobsbotschaft“: Wir sind an Bord, wir können den London-Marathon laufen. Das paßt mir gar nicht ins Konzept, ich bin unglaublich schlecht drauf und Laufen bereitet mir im Moment keine Freude – dennoch, sollte ich mir diese Chance wirklich entgehen lassen? Was soll schon passieren?
Ich beschließe, nur dann mitzufahren, wenn sich noch ein Zweiter für`s Hotelzimmer findet, denn den EZ-Aufschlag von mehreren hundert Pfund bin ich nicht bereit zu zahlen. So kommt es, daß ich dann mit Tschitschi ein winziges DZ in einem Hotel direkt neben oder über der Victoria-Station teilte.
Ich beschloß, die Vorbereitung für den 26. April 2015 mit einer zweimonatigen absoluten Laufpause zu beginnen, doch an deren Ende in der letzten Februarwoche ging es mir genau so mies wie vorher. Egal – irgendwie würde ich die verbliebenen acht Wochen nützen müssen, um das Ziel zu erreichen, wenn möglich unter vier Stunden.
Letztendlich waren es rund 300 Trainingskilometer, davon nur zwei Läufe über 20km, nämlich den 28km-Lauf im Prater und einen 23er. Insgesamt ging es mir etwas besser, das vermehrte Trainieren tat mir gut und die Form war auch gestiegen. Im Herbst hatte ich mal wieder nach der Anzahl meiner Läufe gesehen und da ich bei ca. 495 war, habe ich es so hingetrickst, daß der 35. London-Marathon mein insgesamt 500. Laufbewerb (inkl. Dua- und Triathlon) wurde und auch mein 35. Marathon.
Freitag früh Flug nach London, vom Flughafen Heathrow per U-Bahn und Docklands Light Railway zur Startnummernabholung. Dort geht alles schnell und problemlos vonstatten und nach ein bis zwei Stunden auf der dortigen Expo fahre ich ins Hotel zum Einchecken. „Mrs Seethaler has not arrived yet“, wird mir mitgeteilt. Ich treffe „sie“ erst später am Abend. Peter und Margarete sehe ich überhaupt erst am nächsten Morgen beim Frühstück. Am Samstag lockeres Laufen im Hyde Park, am Nachmittag Bummeln mit Tausenden Anderen in der Portobello Road, Generalprobe für den nächsten Tag. In dieser Straße könnte ich wohl Tage verbringen, so sehr locken die Geschäftchen mit Krimskrams, Flohmarktkleidung und Sonstigem. Letztendlich kaufe ich nur bei „Honest Jon`s Records“ ein bißchen Vinylvorrat.
Der Tag ist warm und sonnig, beim gemeinsamen Abendessen hoffen wir, daß der für den Renntag prognostizierte Regen vielleicht doch nicht kommt.
Leider ist dem nicht so, wenigstens regnet es nur ganz leicht, dafür ist es kühl. Ich bin ähnlich uninspiriert wie Tschitschi, aber dennoch froh, es bis hierher geschafft zu haben und gesund am Start zu stehen. Ich stehe im fünften Startblock, mir ist kalt und als die Läufer beginnen, ihre alten Pullis usw wegzuwerfen, schnappe ich mir einen - wäre ja schad` drum – ziehe ihn über den Plastikregenschutz drüber und werde ihn erst bei Meile drei oder vier wegwerfen. Startschuß höre ich nicht, irgendwann setzt sich die Masse in Bewegung und als ich den Startbogen passiere, werde auch ich von enormer Euphorie durchflutet. Die Straßen sind recht eng und Laufen in der Menge darum nicht sehr einfach. Es gibt Warnschilder für Straßenschwellen, aber keine für Verkehrsinseln. Ich rolle in der Masse mit, versuche einen Pacemaker zu erspähen und hoffe, bald mein eigenes Tempo laufen zu können. Doch leider…nix da.
Die folgenden dreieinhalb Stunden werden nicht leicht. Marathonlaufen war ja für mich selten ein wirkliches Vergnügen. Genießen konnte ich sowas nur, wenn ich gut in Form war und im Rennen keine besonderen Ambitionen hatte. Ein paar solche Marathons gab`s schon, aber nicht viele.
Die Straßen waren vom Start bis ins Ziel von anfeuernden Menschenmassen gesäumt, an und für sich ja ganz toll, aber wenn`s mir schlecht geht, ist mir das wurscht. Es war auch unmöglich, benutzte Getränkeflaschen auf den Gehsteig oder darüber hinaus zu werfen – die Wand aus Zuschauern verhinderte das. So kam es, daß noch mehr von diesen Miniflaschen auf der Straße lagen und die Läufer gefährdeten. Leider verschließen viele Läufer ihre nur teilweise ausgetrunkenen Fläschchen und so ergibt sich für andere drauftretende Athleten die Gefahr des Umkippens – auch mir ist das mehrmals passiert, zum Glück ist nichts geschehen.
Inzwischen sind schon über 10km absolviert und noch immer laufe ich im dichten Pulk, mal links, mal rechts, mal Überholen über den Gehsteig (selten frei), immer wieder Abstoppen und Beschleunigen, anderen Teilnehmern ausweichen, die plötzlich aus welchen Gründen auch immer, im rechten Winkel zur Laufrichtung zum Rand wollen. Irgendwann umrunden wir die legendäre „Cutty Sark“, ein enormes Segelschiff aus dem Jahr 1869 – die Arme steckt mitten im Asphalt, die Themse zwar in Sichtweite, aber dennoch unerreichbar. Die Schrittmacher für eine Endzeit von 3h45 habe ich überholt und ich hoffe, auch die 3h30-Pacemaker irgendwann mal zu erspähen. Vor mir sehe ich aber nur ein ewiges Feld von Läufern, Millionen Läufer vor mir. Mittlerweile geht es mir schon nicht mehr so gut, die Hälfte ist aber noch nicht erreicht. Endlich Tower-Bridge und bald darauf die Halbmarathon-Marke in brutto 1h55 – da hatte ich mir doch mehr erhofft.
Es war wohl ein Fehler bei der Anmeldung die erwartete Endzeit (Block 5 am Start) anzugeben und nicht die Bestzeit (Block 1), denn ich stecke noch immer fest. Andererseits hilft mir vielleicht diese ungewohnte Situation, nicht mein Tempo laufen zu können, daß ich mich nicht vorzeitig „abschieße“ – und außerdem: wer sagt denn, daß ich sonst schneller wäre, mir tut eh schon alles weh.
Kalt ist es außerdem, ich merke den Wind und trage deshalb noch immer den ärmellosen Regenschutz. Wenigestens kein Regen…Freude kann ich nicht mehr empfinden, ich bin etwas genervt, die Strecke ist hügeliger als ich erwartet habe, dann taumeln Läufer herum, teils aus Erschöpfung, teils weil sie Mama auf dem Smartphone schreiben, daß sie schon bei Meile 18 sind. Auch die ganzen Krankheiten, die mich umgeben, gehen mir auf den Geist. Charity gut und schön, aber in dieser Dimension? Running for.., Donate.., Support…runner in front of you is curing…alle möglichen Krebs-, Nerven- und mentalen Krankheiten sind auf den Trikots zu lesen– fast komme ich mir schäbig vor in meinem Plastiksack mit Reisebüroaufdruck. Und die Sonnenbrille schleppe ich auch umsonst mit, ich Optimist
Gegenverkehr – einzelne Läufer kommen entgegen, die wohl so zwischen 2h15 und 2h30 finishen werden - wohl alle extrem talentierte und ambitionierte Amateur-Läufer, diese Athleten bewundere ich am meisten. Irgendwann geht es auch für mich wieder Richtung Ziel, zweite Pinkelpause bei Km 33, auch das keine wirkliche Erleichterung mehr. Entgegen der Ausschreibung war jeder Kilometer angegeben und nicht nur jeder fünfte. Mein Tempo gleicht dem einer Schnecke und da fällt mir ein, was Christian am Vortag erzählt hat. Ein „Läufer“ ist mal den London-Marathon im Schneckenkostüm gekrochen und hat dafür 26 Tage gebraucht. Vermutlich jeden Tag zwischen Dienstschluß und Abendessen eine Meile oder so. Ich überhole Kaktus-Man und noch zwei andere Superhelden nebst unzähligen anderen Helden, die für eine gute Sache laufen. Viele Läufer gehen bereits, eine Frau liegt am Boden und wird betreut.
Heute bin ich Plastiksack-Man und wie sich so gegen Kilometer 37 endlich das Ende abzeichnet, geht es mir etwas besser. Schon längst halten Zuschauer immer wieder Schüsseln mit Jelly Beans oder irgendwelchen gummiartigen Süßigkeiten für die Läufer bereit – das dürfte dort so Tradition sein – aber als ich endlich Lust darauf habe, steht keiner mehr bereit. Wir laufen entlang der Themse, bei Km 40 geht`s endlich nach rechts zum James Park beim Buckingham Palace. Erst dort entledige ich mich meines treuen Plastik-Capes und einen Raunen geht durch die Menge, als sie mein run42.at-Shirt erblickt
Zwei Kilometer noch, inzwischen habe ich ein bißchen mehr Platz zum Laufen, was im Ziel auch durch meinen Negativsplit (netto) bestätigt wird. Nach 3h37,22 (3h42 brutto) habe ich es endlich geschafft. Alles tut weh, ich schleppe mich durch den Zielbereich, Medaille, Goodie-Bag mit T-Shirt – ich hab` den London-Marathon beendet, und völlig egal, daß diese eine meine langsamsten Zeiten ist. Ich bin glücklich und zufrieden.
Nach kurzem Ausrasten im nahen Hotel gehen wir zufrieden in ein nahes Pub. Ich ziehe letztendlich ein positives Resumee: tolle Stadt, tolle Menschen, aber für einen Marathon dieser Größe werde ich in Zukunft wieder mehr trainieren müssen, um weiter vorne starten und mitlaufen zu können. 42km im engen Pulk fremdbestimmt laufen zu müssen macht einfach keinen Spaß. Dennoch hat es sich ausgezahlt, den Start zu wagen. London sieht mich hoffentlich bald wieder, mit Freundin, mit oder ohne Laufschuhe und für mehr als nur drei Tage. Eine nette Überraschung gab`s ein paar Tage nach der Rückkehr, ein Geschenkkarton vom Reisebüro mit Utensilien einer bayrischen Brauerei, die für ihr alkoholfreies Bier bekannt ist. Danke nochmals an Peter für die Abwicklung mit dem Reiseveranstalter in Linz.