DoppelpackMein Bericht des Londonmarathons.
Eigentlich waren mir Marathons für heuer eher wumpe, ich sah darin Trainingsläufe für Längeres. Hab allerdings den Londonmarathon schon lange gebucht. 6Wochen davor fühl ich mich so gut, dass ich mich spontan noch zum VCM anmelde. Also 2 Marathons in 2 Wochen. Hab ja ein Monat davor meine eigentliche Hochzeitsreise in die Seychellen und nehm mir vor, ganz in der früh - wenns Mädel schläft- viele km abzuspulen und am Abend immer noch was dazu. In meiner Vorstellung geisterten so 80-90KM herum, das sind sie auch geworden; nur nicht in der Woche sondern im ganzen 3wöchigen Urlaub. Es war einfach zu schön, ich war zu faul, das Mädel schon auf, das Essen hat zu gut geschmeckt, der Wein auch etc. war ein Traumurlaub, relaxen pur, Training null.
Die 3 wichtigsten Trainingswochen hab ich also vergeigt und daher hab ich mein Marathonziel zurückgenommen, von ursprünglich 3:15 in Wien mit darauffolgenden Relax- und Sightseeinglauf in London, auf 3:20-25 in Wien und Auslaufen in London.
In Wien beim VCM war das Beste die Begleitung von Wolf, beide waren wir nicht übermotiviert und sind mit 3:23:irgendwas ins Ziel gerollt, nicht unzufrieden aber auch weit weg von Begeisterung.
Und dann nach London.
Hab den Harald in der XXS Variante unseres Hotels getroffen. An der Reception: "Your Lady is already in the room"! Zimmer hatte kleines Doppelbett, Lady Bartstoppeln, wir haben uns ein neues Zimmer geben lassen, wollte mit der Lady nicht ums Leintuch raufen. Auch im neuen Zimmer hatten die Schuhe nur längs und nicht quer neben dem Bett Platz. Unglaublich. Den m² Preis fürs die Übernachtung darf man sich nicht ausrechnen. Das Hotel befindet sich allerdings in Gehweite vom Ziel: St. James Park /Buckingham Palace. Ein absolutes Plus!
Marathonmesse war toll! Die ist designed um Stimmung zu machen und nicht nur zu verkaufen! Ein Event und nicht nur Einkaufszentrum.
Nummernabholung ist problemlos, nur eine Japanergruppe hält etwas auf, da sich jeder einzeln den Ablauf erklären lässt und keiner Englisch spricht. Der Mann hinter der Budel ist grossartig. Verbeugt sich vor jedem Kirschblütenverehrer mit zusammengefalteten Händen und packt geduldigst seine beste Zeichensprache aus. Unglaublich nett, freundlich. Ein Sayonara zum Schluss mit strahlendem Lächeln, toll.
Renntag:
Wir sind sehr früh auf, da wir mit dem Reisebüro im Bus zum Start gefahren werden. Reisebüro benötigten wir aus dem einzigen Grund, da wir sonst keine Chance hätten dort mitzulaufen. Sauteuer und Leistung eher bescheiden (oder unnötig).
Bei 12 Grad leichtem Nieselregen und bisserl Wind betreten wir das grosszügigst ausgelegte Startareal. Um ca 8:00 und das ist definitiv viel zu früh, 9:30 hätte auch gereicht. So frösteln Peter, Harald und ich dem Start entgegen. Peter und Harald kneten sich irgendwann in die Menschenmasse im Umkleidezelt, mir ist das zu eng, erwäge kurz die Damengarderobe und wähle dann das Männerpissoir, weil dieses -von hohen Planen als Sichtschutz umgeben- vor dem Wind schützt . War noch nie in meinem Leben mehr als eine Stunde im Pissoir und hab noch nie soviele pinkeln gesehen.
Die riesige Leinwand hab ich im Blickfeld. Start der Damenelite um 9:30 nach den Rollstuhlfahrern. Eines der Highlights, Paula Radcliff bei ihrem Abschiedslauf lässt noch auf sich warten, sie startet im normalen Feld, nicht bei der Elite. Ein unglaublich starkes Männerfeld geht ins Rennen, das Stärkste jemals ever. Zig Leute unter 2:05, und der Weltrekordler auch mitten drin.
Um 10:00 stell ich mich in meinen Startblock. Genaue Kontrolle.
Irgendwie kommt bei mir kein Marathonfeeling auf. Ich fröstle herum, bin eher unmotiviert.
Aber kurz vor 10:10 fahren dann irgendwelche Substanzen ein und ich bekomme den ersehnten Shiver, das Hochgefühl stellt sich ein. Los geht’s. Ich komme schon 20 Meter nach der Startlinie fein ins Rollen, es geht flott dahin und ich spür: mein Körper will laufen! Orientiere mich also eher nach vorne. "Bumbs, Bumps" Auf jeder Strassenseite stehen zwei mit Schild "Bumps" und schreien "Bumps" um uns vor Schwellen zu warnen. Süss!
Die Strecke ist zwar für die Menge der Läufer um mich herum verdammt eng, ich lauf in der Masse, aber die bewegt sich im grossen und ganzen in dem speed, den ich mir vorstelle. Fein. Der 3:15 Pacer entschwindet langsam meinen Augen, eh klar, das hab ich ja nicht vor. Dass es nicht mehr ein reiner langsamer Genusslauf wird, ist aber Körper und Geist klar, da geht was. Pace weiss ich mangels Uhr nicht, fühlt sich aber recht zügig an. Unglaublich das Publikum. Wir sind irgendwo in den outer easter districts, und es ist links und rechts eine durchgehende anfeuernde Menschenmauer, und wie die anfeuern.
Harald wird am Abend den denkwürdigen Satz sagen: "Nirgends hat man in Ruhe leiden können!"
Ich überhole den Kaktus, einen von vielen Kostümierten. Der war in der Vorabendzeitung. Er will den Weltrekord für die schnellste Pflanze brechen. Im Vorjahr hat er den Rekord für das schnellste Obst, als Pfirsich gebrochen.
Vor mir seh ich eine bekannte Gestalt, Harald, mit dem wir schon am Rennsteiglauf einige km zusammengelaufen sind und auch bei anderen längeren Distanzen uns den Weg geteilt haben. Erfahre dass er im gleichen Hotel wohnt, ja in der gleichen Reisegruppe ist. Dort hab ich ihn nicht gesehen aber unter 37.000 Läufern trifft man sich. Er erkundigt sich nach JM wir plaudern, er will so 3:20 laufen. Die Zahl ist auch in den letzten Minuten durch meine Gehirnwindungen gekreist nachdem der Körper zu Optimismus Anlass gibt, aber 2 Wochen nach dem VCM? Vor uns taucht ein Läufer mit roter Flagge auf mit einem riesigen dichten Pulk um sich. Auf der Flagge steht 3:15. Naja wenn ich den vorher nicht gesehen habe und er jetzt vor mir ist, heisst das dass ich lauf schneller als er? Irgendwie geht mir der Pulk auf die Nerven und ich überhol ihn. Aber 100m vor ihm ist wieder einer mit Flagge grün 3:15 und wieder dichter Pulk, wieder lästig, also.....! Harald hab ich da verloren. Wir laufen jetzt südlich parallel zur Themse Richtung Zentrum. KM10 zieht vorbei, ein Stangengewirr rechts und johlende Menschenmassen: die Cutty Shark! KM 15 in Rotherheathe weiter Richtung West ins Zentrum, immer begleitet von Anfeuerung pur.
Es geht um eine Ecke, plötzlich bergauf, die Menschenmassen noch dichter, der Geräuschpegel noch lauter: Towerbridge. Ein echtes WOW Erlebnis. Mittlerweile ist die Läufermasse doch etwas lockerer geworden, ich kann mir meine Linie suchen um da zu diesen Steintürmen mit den blauen Kabeln hinaufzulaufen: Ergreifend. Genau in der Mitte der Brücke, über der Themse: das Schild KM 20. Ich bin noch immer locker drauf. Mir fällt dies am Scheitel der Brücke auf, da mir der Aufstieg überhaupt nicht schwer gefallen ist. Erstaunlich, da das Tempo -für meine Klasse- hoch sein muss, da mittlerweile der blaue 3:15 ins Blickfeld gekommen ist. (Was das mit den rot und blau und grün Blöcken auf sich hat ist mir ein Rätsel). Wir kommen zur Hälfte, die erste für mich relevante Zeitansage. Vorher gabs zwar immer wieder Zeitdisplays aber immer bei Meilen. Das umrechnen hab ich mir nicht angetan. Wir laufen zum HM, grosser Bogen grosses Display sagt : L00J___00_ . ist also ausgefallen. Ich erkundige mich bei der neben mir laufenden Läuferin um die Zeit, sie meint: wonthöaisix.
1:36?? Na das wäre echt flott. Wir laufen east Richtung Docklands. Hier gibt’s Marathongegenverkehr. Die Gegenfahrbahn hat allerdings ca 10k mehr hinter sich. Zuerst kommt uns einer der letzten Rollstuhlfahrer entgegen, dann 2 blinde Läuferinnen mit Begleitern (handicapped starten auch vor dem Feld), und dann die leading men. Ein ganzes Rudel gleichauf, locker und flott, das Tempo sieht man nicht. In dieser Gegend gibt’s die einzigen Stellen an denen die Menschenmauer abreisst. Die Anwesenden heben das durch Lautstärke auf. Einige Kurven und dann eine Rampe bergauf... wir doch nicht? doch. Also brettleben ist der Londonmarathon bei weitem nicht! Ich bin jetzt bei KM 25 und meine Gedanken kreisen. Kann es sein, dass ich halbwegs bis ins Ziel mit diesem Tempo laufen kann? Wann geh ich ein? Wann brausen die 3:15 an mir vorbei? Wir überholen den Rekordaspiranten mit 20lb Rucksack (die spinnen die Briten). So bei K 30 merke ich dass ich das Tempo nicht mehr halten kann. Der Grossteil meiner Umgebung allerdings ebenso. Laufe also gleichmässig mit meiner Umgebung mit, noch zügig aber vermindert. Und die Leistungsdichte ist erstaunlich. Ich glaube, bis hier hab ich 2! Läufer gehen gesehen. (werden schon mehr gewesen sein, gesehen hab ich sie nicht) Wenn ich mich umschaue: dichtes Feld, gut drauf, bei Pace Richtung 3:15 schaut das in Wien ganz anders aus. Und überall Frauen, die locker dahingasen. Junge. Bei KM 30 haben viele Läufer Kraft das Publikum zu Ulrichen, wenn auch nicht nötig! Schmäh rennt, Stimmung toll.
Ich rechne mit, oder fürchte das plötzliche Aus. Nach dem VCM so rennen, kann nicht gutgehen. Nimm mir schon seit einiger Zeit vor mich nicht allzuschnell von den 3:15ern überholen zu lassen. Nicht vor 25, dann nicht vor 30. Jedesmal ein boost, dass ich es geschaft habe. Und rechne:" wenn sie mich erwischen und ich komplett eingehe, bei z.b: bei30 und ich dann einen 6er Schnitt laufe na: dann bin ich noch immer bei 3:27 im Ziel". Diese pessimistischen Rechnungen- wirklich, immerwieder, und Freude, weils so gut geht , und mit Mitläufern zusammen den Hype geniesen, alles abwechselnd.
Bei KM 35 überholen mich dann, die mittlerweile vereinten roten und grünen 3:15 Pacer. Der Tempounterschied erschreckt mich, die brausen vorbei. Ich versuch mich anzuhängen, nach Sekunden merke ich das ich, dass ich dies nicht versuchen sollte, aber ein wenig des Tempoverlusts werde ich wieder ausgleichen. Jetzt ist's wirklich wieder Marathon. Draufdrücken, versuchen das Tempo zu halten, obwohl es weh tut. Hab ich jahrelang nicht mehr erlebt. Die KM, pardon Meilen werden immer länger. Ich sehne mich nach der Matte 40K. Weiss allerdings seit KM35:" der ist im Sack! " Endlos lang entlang der Themse. Sightseeing in dem Zustand funktioniert nicht wirklich. House of Parliament, Big Ben oder wie auch immer sie es jetzt nennen ist sichtbar, aber nicht da. Die Kurve zum St. James Park, eine riesige Erleichterung. Die hab ich mir am Vortag angeschaut und eingeprägt: " Wenn du hier bist, freu dich!". Geht nicht, ich kämpfe! Auf der langen Geraden seh ich immer noch die 3:15 Pacer vor mir, wir kommen in die Kurve zum Buckingham Palace. Ja wegen diesen Kfrastern bin ich noch nicht längst im Ziel! Noch eine Kurve und ich seh den Zielbogen. Edler Einlauf auf roten Asphalt (die Sinne scheinen wieder aufzuwachen) die Uhr zeigt 3:15, mit viel Einsatz werde ichs unter 3:17 schaffen, Sprint (naja, kind of) und durchs Ziel mit 3:16:hoch. Traum, Erleichterung und Schmerz! Bin komplett fertig und stolz zugleich, es zu sein. Ich hab mich überwunden und bin an meiner Grenze gewesen. Ein gutes Gefühl, komisch, ihr wisst es!
Wunderbar dann sich in diesem Zustand in die Freundlichkeit der Londoner fallen zu lassen. Der Mann an der Gepäcksübergabe, die anderen Läufer. Ich gehe durch den Park nach Hause ins Hotel. Keine 10min. Werde 4x auf der Strasse angesprochen: "congratulations; great", das ist mit sanften Klaps auf die Schulter oder Händeschütteln verbunden.
Fazit: Traummarathon, vor allem wegen der Leute!, Orga Top, vielleicht zuviel Läufer für die Breite der Strassen, grosses Minus: dass man als nicht Brite horrible Summen zahlen muss um zu starten. Aber mir wars das wert! Hab mich auch so für NY qualifiziert, die Wiener Zeit hätte nicht gereicht.
Und das Lauferlebnis war nicht zu Ende:
Gehe am nächsten Tag entspannt zum Gate 42(!) zum Boarding und erfahre dort, dass ich am falschen Gate bin, Abflug nach Vienna ist von Gate 3, und dieses wird gerade geschlossen.
Jetzt weiß ich, dass man nach einem harten Maraton noch einen flotten Lauf über 1KM mit 10 KG am Rücken in fast 5min schaffen kann.
Für die Statistik:
netto 03:15:24 HM: 1:36:07:
37540 im Ziel. 38% Frauen und 62% Männer.
3743 vor mir; und 33796, das sind 90%, hinter mir.
98% der Damen hinter mir.
165 Plätze von km35 bis ins Ziel gutgemacht (269 überholt und von 104 überholt worden)
33 Guiness Weltrekorde sind gefallen:
http://www.guinnessworldrecords.com/news/2015/4/in-pictures-virgin-money-london-marathon-2015-377545 Der absurdste lauf war allerdings schon 2011:
http://www.dailymail.co.uk/news/article-1386692/Fundraiser-makes-20k-charity-crawling-London-marathon-snail-costume.html