Die härtesten 5 KMEs sollten nicht nur die großen Lauf-Schlachtschiffe wie Marathons oder Ultras mit Berichten gewürdigt werden, sondern auch die kurzen und unspektakulären Rennen. Wenn der Lauf noch dazu äußerst erfolgreich war, dürfen auch mal die Finger an die Arbeit und so wie letztes Jahr dem Silvesterlauf am Ring einen Bericht widmen.
1991 bin ich hier das allererste mal überhaupt bewerbsmäßig gelaufen und seitdem immer wieder. 2011 nach mehrjähriger Abstinenz eine überraschend gute, d.h. niedrige 18er-Zeit und vor zwölf Monaten ein paar Sekunden schneller, aber noch immer über 18 Minuten.
Da ich mit Trainingsbegleitung für Berlin trainiert hatte, war es naheliegend, diese Betreuung nach einem regenerativen Oktober noch für acht Wochen fortzusetzen.
„Wenn du für richtig böse Intervalle bereit bist“, meinte Stephan von der Sportordination, „sollte es möglich sein, unter 18 Minuten zu bleiben.“ Klar war der gute Harald bereit, sich den bösen Intervallen zu stellen.
GAT1-Läufe bis zu zwei Stunden, dazu viele (Wechsel)tempodauerläufe zwischen GAT1, GAT2 und GAT3 (die ich eigentlich durchaus mag), oft mit abschließenden Steigerungsläufen und natürlich die Canossafahrten zur Marswiese, um mich den Intervallen zwischen 400, 800 und 1000 Metern zu stellen. Nicht nur die Trainingsvorgaben waren dort eine Herausforderung, sondern auch der Wind und die ständige Gefahr, von irgendeinem Hobbykicker mit dem Ball abgeschossen zu werden. Dazu noch Zuschauer und Kinder mit ferngesteuerten Autos auf der Laufbahn, na ja.
Auch auf der Hauptallee war ich oft unterwegs zwecks Tempodauerläufen und einmal wegen 200er-Intervalle. Und dann noch die einsamen Waldläufe bei mir in der Au…
Seit April/Mai war ich nun im permanenten Trainingszustand und der Körper rief immer deutlicher nach einer laaaaangen Pause. Trotzdem lief`s in der Vorbereitung recht gut, die Motivation noch immer sehr hoch und wie durch ein Wunder keine Erkältung in den Öffis oder sonstwo eingefangen.
Endlich rückte der Silvestertag näher, die Nervosität steigt deutlich. Das Wissen um die bevorstehenden Qualen, die Schmerzen, das Herumtorkeln mit leeren Beinen und stechender Lunge spätestens am vierten Kilometer ist zermürbend. Ich will den Blödsinn endlich hinter mir haben. Sonntags noch intensives Relaxen in der Therme Laa mit einer allerletzten Massage - und ja nicht zu viel Essen in den verbleibenden Tagen!
Heute mit rekordverdächtigen 69 oder 70 Kilo und flauem Magen nach Wien. Es ist aber ein unglaublich gutes Gefühl, leicht und durchtrainiert zu sein und zu wissen, dass die Hausaufgaben gut bewältigt worden sind. Das Garderobe-Service funktioniert diesmal ausgezeichnet und schon bin ich bei den Startvorbereitungen: 15 Minuten Einlaufen plus vier submaximale Steigerungsläufe.
Ein zu schneller erster Kilometer wäre der größte Fehler, drum stell` ich mich nicht direkt hinter die Startlinie. Endlich der Startschuß! Alle preschen wie bei einem 100m-Lauf nach vor und ich versuch` mich am linken Rand aus dem Getümmel rauszuhalten. Dosiert und kontrolliert laufe ich nach vor und wechsle langsam nach rechts – auf die Innenseite. Beim Burgkino bin ich vermutlich schon unter den ersten 30 und schon bald ist der erste KM erreicht – 3,17. Paßt perfekt! Aber noch immer sind mir da zu viele Leute vor mir. Aufpassen auf die Schienen und die Gehsteigkante und nicht zu schnell werden – immer konzentriert und präsent bleiben. Uni, Schottentor – wie oft war ich da in den letzten Monaten auf dem Weg ins Votivkino oder ins Lateinamerika-Institut. Immer im Bewusstsein, dass hier am 31. Dezember der zweite KM sein wird. Immer diese einzige Assoziation: zweiter Kilometer, spätestens unten am Kai wird`s brutal. 3,15 für diesen KM.
Hier sieht man auch deutlich das Gefälle der Straße hinunter zum Donaukanal. Ein Läufer überholt mich, ich bleibe halbwegs dran und wir schließen auf einen vorderen Läufer auf.
In ihrer eigenen Welt ist wohl eine alte Dame mit grauem Mantel und ebensolcher Tasche, die ungerührt vor uns den Weg kreuzt. Egal, ich hab`s eilig und ärgern kann ich mich später.
Dieser ewig lange leichte Linksbogen am Kai entlang des Kanals ist immer besonders mühsam. Man wechselt langsam auf die linke Innenseite, die theoretische Ideallinie - der Weg ist noch weit, nicht mal das Dach der Urania ist zu sehen. Endlich ist in 3,17 der dritte KM erledigt. Erledigt bin auch ich allmählich - ich weiß gar nicht, ob wir da noch wen überholt haben. Leider kommt jetzt leichtes Seitenstechen – hurra! Schwedenplatz und der Abschied vom Kai steht bald bevor. Noch einer kommt von hinten und zu dritt laufen wir wieder am Ring und schon ist in 3,20 der vierte KM überstanden. Eigentlich, in der Nachbetrachtung, ist es mir hier schon schlechter gegangen. 1300 Meter noch, geht schon irgendwie. Jetzt noch die elendslange Gerade vom Stubentor bis zum Schwarzenbergplatz, noch so eine mentale Extraherausforderung. Beißen, nimma weit! Stadtpark, Gartenbaukino, ganz vorne noch die Dachlichter des Führungsfahrzeuges und das gelbe M des Burgerbastlers.
Ich halte sehnsüchtig nach der blauen Tafel für den fünften KM Ausschau und als ich irgendwann mal dort bin, ruft mir ein Freund „16,35 – de zwa vor dir holst noch“ zu. Dem war leider nicht so, denn der Abstand zu den zwei Mitläufern war schon recht groß.
16,35 – vor 10 Jahren war ich am Cricketplatz über 5000m zu diesem Zeitpunkt schon seit 17 Sekunden im Ziel. Sollte doch was dran sein an den Gerüchten, dass mit zunehmendem Alter die Leistungsfähigkeit abnimmt?
Wenn ja, sollte ich mir was Neues suchen, von dem ich nicht die geringste Ahnung und deshalb riesiges Verbesserungspotential habe.
3,28 für den letzten vollen KM, eh klar, es geht leicht bergauf und mit den Kräften Richtung Meeresniveau – Triest, glaube ich.
Da taucht nach der letzten Kurve schon das Zielareal auf. Wie durch Klebstoff kämpfe ich mich nach vor, aber die Zieluhr zeigt eine beruhigende 17er-Zeit an.
17,47 brutto – geschafft! Zwei Monate Training haben sich ausgezahlt, ich bin stolz, glücklich und zufrieden und diese Gefühle werden immer stärker, je schwächer die Schmerzen beim Atmen werden. Jetzt noch Unmengen an Tee, Red Bull, Kuchen, Brot und Schnitten in den geschundenen Körper stopfen und diese Momente genießen.
Diese Stimmung nach so was Gelungenem, nach einer erfolgreichen Bewältigung einer zwar kurzen, aber intensiven Belastung ist ganz einfach geil. Richtig süchtigmachend, alles wie durch eine rosarote Brille. Nichts stört, weder Menschenmassen in Wien noch die Bölleridioten, alles passt!
Und ich freu` mich jetzt schon auf die Umsetzung meiner Neujahrsvorsätze, die da wären:
Wieder gelegentliches Rauchen, weniger Sport und mehr Schokolade!
Guten Rutsch allen Lesern!