Höhenluft
World Cup Finale in Bogota
Alljährlich am 8. Dezember steht die kolumbianische Hauptstadt Bogota im Banne von Towerrunning. Im Herzen des Geschäftsdistrikts der 8 Millionen – Metropole geht es auf den knapp 200 Meter hohen Torre Colpatria. Am Vorabend steigt ein spektakuläres Feuerwerk und am Feiertag selbst starten dann in kurzen Abständen in Gruppen von je 10 ab 8:00 den Vormittag hindurch genau 5000 einheimische Athleten, deren Ziel im 48. Stockwerk liegt. Zu Mittag wird es dann ernst für die nationalen und internationalen Eliteläufer, die ganz hinauf bis zum Heliport dürfen und ebendort im Freien noch gute 10 Meter für einen Zielsprint im Flachen zur Verfügung haben so die Beine noch mitspielen …
Großveranstaltung
Der Ascenso Torre Colpatria ist einer der teilnehmerstärksten Treppenläufe weltweit und ein Event von überregionaler Bedeutung. Bereits zwei Monate vorher im Oktober gab es das „lanziamento“, eine Ankündigungspressekonferenz, die vor mehr als 50 anwesenden Medienvertretern nach genauem Protokoll stattfand – so wurden etwa ( vom Großteil mit Inbrunst ) die kolumbianische Nationalhymne und die Hymne der Stadt Bogota gesungen. Ein Teil der Startgebühren des Laufes fließt einem karitativen Zweck zu, doch wird im Gegensatz zu Veranstaltungen in englischsprachigen Ländern kein „Theater“ darum gemacht – der sportliche Aspekt steht im Vordergrund ! Wie schon im Vorjahr war der Ascenso Torre Colpatria der Abschluß unseres Treppenlaufjahres und heuer auch hochoffiziell das Finale des World Cup ! Bei der Pressekonferenz und nachher hatte der als Repräsentant von Towerrunning anwesende Autor dazu auch jede Menge Medienneugier zu befriedigen. Sportlich gesehen stellt das Rennen die internationalen Eliteläufer ( die Führenden im Towerrunning World Cup werden ja eingeladen ) vor eine fast unlösbare Aufgabe: es gilt in der ungewohnten Höhenlage von 2600 Metern die damit vertrauten einheimischen Athleten zu fordern ! Erwähnt sei noch ein Umstand, der in deutschsprachigen Ländern ( derzeit ) völlig undenkbar ist: Sowohl der Kolumbianische Leichtathletikverband als auch das lokale Olympische Komitee stehen nicht nur organisatorisch sondern auch finanziell hinter einer für die klassische der Tradition verhafteten Leichtathletik völlig exotischen Laufveranstaltung !
Vortag
Für die Eliteläufer beginnt ein Event dieser Größenordnung üblicherweise bereits am Vortag. Zum Pflichtprogramm gehörte ein Treffpunkt vormittags in der Lobby des Athletenhotels mit der Betreuerin und Dolmetscherin, sodann gemeinsamer Marsch zum nicht weit entfernten Tower , wo man bis Mittag einerseits den diversen Medienvertretern zur Verfügung zu stehen hat, andererseits aber auch die Möglichkeit nutzen kann, das Treppenhaus kennenzulernen. Selbstredend spielte sich ein großer Teil dieses Auftritts ganz oben am Heliport des Torre Colpatria ab – schönwetterbedingt mit herrlichem Rundblick auf Bogota ! Charmant dirigiert wurde das gesamte Prozedere von der Athletenbetreuerin Catalina, die mit sanfter aber bestimmter Hand die Herde ihrer Eliteschäfchen dirigierte. Neben den einheimischen Vorjahressiegern Maria Eugenia Podriguez und Juan Pablo Rangel bestand diese aus Cristina Bonacina (ITA), Cindy Harris und Kristin Frey (USA), Julia Evangelist und Norbert Lechner (AUT), Tomas Celko (SVK), Piotr Lobodszinski (POL) und Sebastian Salas (CAN). Unelitehafter Aufputz Cindy´s Mann James und der Autor selbst ! Noch ein Wort zu den geladenen, aber Abwesenden. Leider war niemand aus Deutschland dabei; Kerstin Sewczyk hatte berufsbedingt schweren Herzens abgesagt und der Weltcup-Titelverteidiger Thomas Dold konnte darauf vertrauen, daß sein vor Bogota erlaufener Punktevorsprung ausreichen würde. Bei seiner Entscheidung mitgespielt hat sicherlich auch sein Vorjahreserlebnis am Torre Colpatria …… Leider ganz kurzfristig passen mußte Dold´s erster Verfolger, der Amerikaner Jesse Berg. Zur Ausgangposition ist noch festzustellen, daß die Zusammensetzung des Elitefeldes durch eine unerfreuliche andere Absage beeinflußt wurde; dem quasi als Privatveranstaltung des Vertical World Circuit für 3. Dezember mit hochkarätiger Beteiligung angesetzten Rennen in Sao Paulo war plötzlich mit dem Edificio Nestle die Location abhanden gekommen, so daß es auf unbestimmte Zeit verschoben werden mußte.
Vor dem Rennen
Auch der 8. Dezember beginnt für die Elitegruppe mit einem Treffen im Hotel und gemeinsamem Marsch zum Schauplatz des Geschehens. Eine interessante Beobachtung dabei: viele einheimische Athleten strampeln sich für den Treppenlauf ein - neben ihren Fahrzeugen sind Rollentrainer aufgebaut und es wird eifrigst auch mit hoher Frequenz in die Pedale getreten. Das Rennen selbst ist bei unserer Ankunft schon längst im Gange und um in die VIP-Zone vor dem Turm zu gelangen, müssen erst einmal die strengen Securities überredet werden in einem geeigneten Moment uns die abgesperrte Strecke queren zu lassen. Vor dem Treppenhaus gibt es beim Ascenso Torre Colpatria nämlich einen flachen Vorlauf; wegen der in Bogota überall zu sehenden Straßenbauarbeiten heuer anders als in den Vorjahren. Diese 95 m vom Start in der Carrera Septima in das Gebäude hinein und in einigen Kurven durch die Lobby, bevor es endlich hinauf geht, lassen sich da gleich einmal in Augenschein nehmen. Im großen VIP-Zelt treibt sich bereits wichtiges und weniger wichtiges Volk herum, delektiert sich an den gereichten Erfrischungen – und steht den Athleten im Weg herum ! Der ruhigste Platz ist definitiv der Innenraum eines der beiden für die Tagessieger ausgelobten Fahrzeuges in einem Eck. Natürlich sind auch Organisatoren, Honoratioren diverser das Event unterstützender Organisationen und Journalisten zugegen. Das größte Interesse erregt jedenfalls aber der Bürgermeister von Bogota, der bei seinem Pflichtbesuch fast erdrückt wird. Catalina behält alle im Auge und sorgt dafür, daß die Medien bekommen was sie wollen. Um 10:30 steht auch noch eine kurze Pressekonferenz an, bevor es dann gegen 11 Uhr für die Auserwählten „Fertigmachen“ heißt ! Die Startnummern samt Einmalchip hatte unsere PR-Dame ja bereits im Hotel verteilt und eine halbe Stunde später werden die 10 Weiblein und knapp 40 Männlein, die bis ganz hinauf dürfen, in geschlossener Formation in den abgesperrten Startraum geführt. Theoretisch sollte dieser von vielen Zuschauern flankierte vielleicht 50 m lange und 5 m breite Korridor ja bis zum Start nicht mehr verlassen werden und viele drehen auch brav dort ihre Runden. Für Topläufer, die ein individuelles Aufwärmprogramm pflegen und gerne ja erst in letzter Minute bei der Startlinie erscheinen, sind das schon gewöhnungsbedürftige und etwas irritierende Rahmenbedingungen !
Das Rennen
Gegen 12 Uhr Mittag ist es dann endlich soweit – in zwei Gruppen werden die Elitedamen auf die Reise geschickt. Die im ersten Lauf startende Kristin Frey schilderte nachher, daß mit dem Startschuß infolge der lauten Zuschauerkulisse und der lossprintenden Mitläuferinnen alle geplanten Vorsätze bezüglich zurückhaltendem Beginn vergessen waren; sie erreichte sogar als erste das Treppenhaus, indem sie dann aber so vernünftig war, zwei Kolumbianerinnen vorbeizulassen und im eigenen Rhythmus zu laufen. Während Kristin knapp vor dem Ziel eine der beiden dann noch überholen konnte, war für Julia Evangelist das Rennen relativ bald zu Ende. Am Vortag hatte just die Medizinerin in unserer Gruppe bei einer Vorbesprechung für ihre nach dem Rennen geplante Tour in die Anden lebensmitteltechnisch Pech gehabt. Nach einer unerfreulichen Nacht alles andere als fit gebot die Vernunft auszusteigen. Die Entscheidung um den Damensieg fiel aber im zweiten Lauf, den mit Tagesbestzeit von 6:34 Angela Maria Figueroa 10 Sekunden vor der etwas gehandicapped angetretenen Titelverteidigerin Maria Eugenia Rodriguez gewann. Die Siegerin ist in der klassischen Leichtathletik auf allen Laufstrecken zwischen 1500m und 15km zu Hause, insbesondere aber bei den 3000m Hindernis. Zum ersten von insgesamt fünf Eliteherrenläufen kann ich den Bericht um eine persönliche Erfahrung erweitern. Dank meiner Freunde im Organisationsteam durfte ich - wiewohl aus rein sportlicher Sicht unberechtigt – bei den Topleuten starten. Ich hatte ja schon im Oktober 4 Tage in der Höhenlage von Bogota verbracht und damals so wie auch jetzt vor dem Rennen absolut keine Auswirkungen der dünneren Luft auf meinen Organismus verspürt und war vor allem deshalb gespannt was da so kommen würde … Im Anfangsflachstück habe ich natürlich getrachtet vor aller Augen nicht allzusehr abzureißen, was auch ganz gut funktioniert hat. Die Rechnung wurde mir dann im Treppenhaus präsentiert ! Bei 35 Marathons und 21 Ultras hat mich der berüchtigte Hammermann von seiner Bekanntschaft verschont, beim 10. Stockwerk war er da ! Ein sehr unnettes Erlebnis. Das Atmen wird anstrengend, man will nur mehr aufhören und muß sich zu jedem Schritt zwingen. Ein gröberes Problem, da ja noch ein paar 100 Stufen warteten. Vor zwei Stunden hatte ich noch zu einem Reporter gemeint, zwei Stufen per Schritt sei Grundregel in unserem Sport und jetzt war ich selbst nicht mehr fähig das durchzuziehen … Alles hat ein Ende und bei den letzten Stufen im Freien und oben ins Ziel hinein ging es sogar einigermaßen flott. Noch in akutem Erschöpfungszustand bin ich gleich darauf dem vorhin angesprochenen Radioreporter vor das Mikrophon gelaufen und mußte quasi ein Geständnis ablegen. Mittlerweile waren alle oben und es kristallisierte sich heraus, daß die internationale Truppe wieder den einheimischen Athleten unterlegen war und Juan Pablo Rangel seinen Vorjahrssieg wiederholen hatte können !
Siegerehrung
Ein Lauf ist erst nach der Siegerehrung zu Ende und in diesem speziellen Fall hatte ich als „Präsident“ von Towerrunning ja auch eine aktive Rolle zuspielen ! Relativ flott wurden alle Beteiligten vom Heliport hinunter ins VIP-Zelt gebracht und dort erwartete mich gleich eine Überraschung. Da es beim Herrenresultat einen Einspruch gab, der noch mit der Zeitnehmung abzuklären war, sollte die Weltcupsiegerehrung vorgezogen werden ! Na super – dazu bedarf es ja eines Punktstandes, in dem der Ascenso Torre Colpatria bereits berücksichtigt ist. Umsichtigerweise hatte unser Sportdirektor Sebastian Wurster eine Tabelle vorbereitet, die unter Einbeziehung der Streichresultate alle möglichen Szenarien enthielt und ein Printout von der Zeitnehmung mit dem inoffiziellen Ergebnis tauchte auch auf, so daß ich sehr schnell dem ungeduldigen Moderator die ersten drei Damen und Herren des World Cup in seinem Zettel ausfüllen konnte. Einfach war es bei den Herren, wo auf einen Blick ersichtlich war, daß Tomas und Piotr auf den Plätzen 3 und 4 bleiben würden. Heikler bei den Damen, wo Cristina klar vorne blieb, Cindy mit ihrer um 1 Sekunde schnelleren heutigen Zeit ganz knapp Kristin vom 2. Platz verdrängen konnte ! Ein Fehler da wäre sehr peinlich gewesen ! Für die leider abwesenden ersten zwei Herren nahmen stellvertretend der Direktor von Colpatria und der erste Vizedirektor des Kolumbianischen Olympischen Komittees den Pokal und die Medaillen in Empfang. Ein echtes Highlight und würdiger Abschluß des Towerrunning World Cup 2011 war dann nicht nur für die geehrten Damen, sondern auch für mich die Überreichung der Medaillen an die ersten drei und des World Cup an die Siegerin im Blitzlichtgewitter der Medien bei vollem Haus und bester Stimmung am Fuße des Torre Colpatria !