MarMarMarMarrakesch
Marathon
Marroko
Ein neues Lebensjahrzehnt anfangen. Das kommt ja nicht so oft vor, und gehört gefeiert. Das stand schon länger fest, und ich malte mir aus wie ich ein Fest mit Freunden organisiere. Ich erinnere mich da ganz gerne an Feste von Leuten die den Schritt schon hinter sich haben.
Wenn Leute 40 Jahre alte werden, dann sind das immer ganz nette unaufgeregte und angenehme Feiern. Einige Planung habe ich schon seit langer Zeit im Kopf herumschwirren, aber dann kommt es eben doch anders als geplant. Durch Zufall komme ich darauf dass genau zu meinem Geburtstag ein Marathon in Marrakesch stattfindet. Kurzes Überlegen und der Egoismus überwiegt. Statt Party mit Freunden gibt es einen Marathon. Als auch noch der Urlaub in der Firma freigegeben wird, und sich dann auch noch Frau frei nehmen konnte, stand dem Vorhaben nichts mehr im Weg.
Die Reisplanung übernimmt fast komplett meine Frau. Ich brauche mich nur um den Marathon zu kümmern. Das war dann aber auch mehr Arbeit als sonst. Die Anmeldung über eine Firma in Frankreich, dann noch der benötigte ärztliche Attest, alles ein wenig mühsamer als ein Standardmarathon.
Die Reise nach Marrakesch erfolgt über Madrid, leider gibt es keine Direktflüge. Wir haben den Flug erst für Samstag, am Tag vor dem Marathon, buchen können. Leider recht knapp aber es war zur Buchungszeit schon kein anderer Flug mehr möglich. In Madrid hatte der Flug dann auch noch 2,5 Stunden Verspätung, so dass ich schon leicht nervös wurde, und Angst bekam die Startnummernabholung zu verpassen.
Das stellte sich aber alles viel einfacher heraus als befürchtet. Der Flughafen von Marrakesch liegt praktisch mitten in der Stadt, und nach 10 Minuten Fahrt waren wir schon im Hotel. Schnell eingecheckt und los zur Startnumernabholung. Diese fand auf der place du 16 november statt, auch place Harti genannt
. Die Stände waren alle in Berberzelten untergebracht, sehr ungewohnt, und jetzt erst wird mir nach und nach klar dass ich in Afrika bin
Die Startnummer kann ich schon nach 3 Minuten Wartezeit ergattern, alles komplett unkompliziert. Es gibt ein extra Zelt für Ausländer. Von Verkaufsständen gibt es ein Laufschuhverkäufer, ein Sportkleidungsverkäufer und den Stand vom Casablanca-Marathon. Alle anderen Zelte boten nur Teppiche und sonstigen Orientkitsch feil. Eine etwas andere Marathonmesse
Mittlerweile ist es schon Abend geworden und die 5km die ich noch laufen wollte habe ich sein lassen, da ich mich in der Stadt null auskannte zu dem Zeitpunkt und ich nicht alleine in der Dunkelheit herumirren wollte. Zum Essen gab es eine Pizza, das Abenteuer von original marokkanischem Essen (z.Bsp. Schafshirn und gedämpfte Schnecken)wollte ich mir erst für nach dem Marathon lassen
Die Nacht im Hotel war sehr erholsam und ich konnte die Strapazen der Anreise gut wegschlafen. Ein frühes Vormarathonfrühstück konnte ich mir keines mehr organisieren, so habe ich auf Plan B zurückgegriffen und ein halbes aus Österreich importiertes trockenes Semmerl mit einem Instantkaffe runter gewürgt.
Der Startbereich ist nur 5 Minuten vom Hotel entfernt gelegen, aber ich bin trotzdem schon ¾ Stunde früher dort, weil ich den Startbereich nur von einem google earth-Bild kenne und auch nicht genau weiß wie das alles in Marokko funktioniert. Lieber zu früh als zu spät. Am selben Tag gibt es auch einen Halbmarathon der eine halbe Stunde vor dem Marathon startet. Ich schau bei Start zu, und bin erstaunt wie bunt gemischt der Lauf ist, von Nationalitäten, Kleidungsstilen - viele ortsansässige Läufer beim HM laufen in Kleidung die man am besten als Pyjama beschreiben kann
. Beim Marathon sind aber die meisten besser ausgerüstet. Der Habmarathon scheint eher Breitensport zu sein,nona, und wie sich später herausstellt wird der HM auch von vielen nur gewalkt.
Die Temperatur in der Früh liegt bei ungemütlichen 5°, aber die Sonne scheint vom blauen Himmel und spendet genug Wärme dass man bei direktem Sonnenschein nicht frieren muss. Die Temperatur soll sich dann bis zu Mittag auf 18 ° erhöhen, also insgesamt fast perfektes Marathonwetter. Was ich hätte wissen müssen, habe mich nur schlecht informiert. Die 5000 Starter die der Veranstalter auf der HP angekündigt hat sind HM und M zusammengerechnet, nur dass bei den Marathonis nur ca. 500 Starter laufen werden. Das hat LCC-Dimensionen.
Insgesamt waren es aber fast 7000 Starter.
Kurz vorm Start kommt plötzlich eine große Gruppe an Läufern frontal auf den Marathonstartblock zugelaufen und alle Marathonis beginnen alle zu klatschen. Ein Zeremoniell der Begrüßung der Profiläufer. Es stellt sich eine positive Stimmung ein. Jeder redet mit jedem und wünscht Glück für den Lauf. Viel scheinen sich auch zu kennen - die Laufszene Marokkos ist am Start. Außerdem hier und da Wortfetzen auf Deutsch, Englisch und Französisch - viele Lauftouristen laufen hier.
Startschuss – auf geht´s. Obwohl ich sehr weit vorne stehe sind, wie überall auf der Welt, wieder walker die sich noch weiter vorne eingeordnet haben
Aber es dauert nur 500 Meter bis ich komplett frei gelaufen bin und ab da kann ich es frei laufen lassen (denke ich zumindest, aber dazu mehr später) Die Straßen der „Nouvelle ville“ sind breit, flach, komplett abgesperrt, und wir sind die kings oft he road. So viel Platz hatte ich noch nie bei einem Marathon. Es läuft sich gut, Gruppen bilden sich keine, zu verschieden sind die Geschwindigkeiten. Anscheinend gibt es Gallowayjünger in Marokko. Die ziehen superschnell an mir vorbei und einen km später gehen sie zu Fuß, um mich dann wieder zu überholen, das Spiel kommt die ersten 10 km öfters vor, dann zeigt sich dass die Gallowaymethode doch nicht so toll ist, weil sich dann niemand mehr von diesen Läufern blicken lässt
.
Nach ca.5 km biegen wir ab, auf eine Straßenbaustelle. Sehr grober Schotter, total uneben, ich befürchte schlimmeres, aber nach 100m verlassen wir die Baustelle wieder. Bald kommen wir zu den Menaragärten, ein Park der unter dem Schutz des Uneso Weltkulturerbe steht, den durchlaufen wir. Unter Palmen und Orangenbäumen hindurch, am Horizont die schneebedeckten Gipfel des Atlasgebirges. Was für ein Kontrast !
Nach dem Garten geht es Richtung Altstadt, wir umlaufen den nächsten großen Park, diesmal auf der Avenue Mohammed VI, der längsten geraden Straße Afrikas, quasi Prater Hauptallee für Fortgeschrittene. 10 km schnurgerade - Gott sei Dank laufen wir nur 2 km darauf. Links und rechts gibt es immer wieder Zufahrten von Autobahnen. Dort staut der Verkehr. Erstmals rieche ich Abgase und es wird ungeduldig gehupt. Aber alles ist von Polizisten abgesperrt und es herrscht absoluter Vorrang für Läufer. So ist übrigens die ganze Strecke von Armee und Polizei gesichert. Mindestens alle 500 Meter steht ein Uniformierter.
Nach Umlaufen des nächsten großen Parks laufen wir nun auf die Altstadt zu. Diese ist von einer riesigen Festungsmauer umgeben. Sehr schön. Sightseeing pur. Ab nun kommt auch ein „wenig“ Leben ins Spiel. Zuschauer gab es auch schon vorher, alle machen gute Stimmung und sind begeisterte Anfeuerer. Hier bei der Altstadt kommt nun aber auch ein wenig Verkehr dazu. Die allgegenwärtigen Zweitaktmotorräder begleiten uns Läufer in immer größerer Anzahl. Die Straße ist 4-spurig, so ist genug Platz für alle. Aber die Abgase setzten uns Läufern dann doch schon zu.
Plötzlich sind wir in einem Viertel angekommen, wo extrem viel los ist, viel Zuschauer, ganz Gruppen von Kindern die abgeklatscht werden wollen, aber nun auch richtig viel Verkehr. Wahnsinnig viel Verkehr ! Ich werde in knappem Abstand von einem LKW überholt, der fährt an einem Eselkarren vorbei, ich laufe auf den Eselskarren auf , will an ihm vorbei laufen, der LKW muss wegen dem Motorradverkehr abbremsen, ich springe zur Seite , schramme am Esel entlang, der ist aber unbeeindruckt, und bin nun mittendrin im den Stau verursachenden Verkehr der Motorroller. Links und rechts eingezwungen von Motorrollern, Abgase einatmend bahne ich mir den Weg durch den stockenden Verkehrsstrom. Das ganze dauert einen halben km, dann schaffe ich es so wie andere Läufer auch, die Straßenseite zu wechseln wo weniger Verkehr ist. Nach 2 km ist es dann aber vorbei und wir können wieder normal laufen. Nun verlassen wir auch das Gebiet der Altstadt und kommen in die ärmeren Vororte der Stadt. Da stehen erst richtig viele Zuschauer, vor allem Kinder. Alle wollen abgeklatscht werden. Sie stehen sehr diszipliniert in Gruppen und aufgereiht an der Straßenseite. Immer Gruppen von 20 bis 40 Kindern. Die sind sowas von begeistert ! Die Gegend wird immer ärmlicher, und bei einer Wasserstation an der Wasser in Flaschen ausgegeben wird, sind die Kinder dabei die angetrunkenen Wasserflaschen der Läufer zu ergattern, fast zu erbetteln. Die freuen sich über angefangene Wasserflaschen ! :oah:
Wir laufen nun aus dem besiedelten Gebiet hinaus und nach ca. 5km kommen wir in die Villengegend Marakeschs. Hier haben sich viel Stars aus der Showbranche Residenzen errichten lassen. Madonna, Brad Pit und Angelina Jolie u.v.a. haben hier Anwesen. Und was für Anwesen ! Alles streng bewacht von Security, aber man kann genug sehen was sich hinter den Mauern abspielt. Luxus pur. Bald kommen wir auch zu einem der Golfplätze Marrakeschs. Die dort parkenden Autos zeigen in welcher Preiskategorie hier gespielt wird. Bentleys, Ferraris und andere Statussymbol stehen hier herum. Unglaublich dieser Kontrast. 5 km zuvor war ich doch erst im Armenviertel :oah:. Aber auch hier feuern die Leute an, zwischen dem Abschlagen ihrer Bälle winken und rufen die Golfspieler den Läufern zu. Die Landschaft ist hier sehr gepflegt, vieles landschaftsarchitektonisch gestaltet, dementsprechend „künstlich“, aber wunderschön. Am Horizont wieder der schneebedeckte Atlas mit seinen 4000ern –Gipfeln. Majestätisch.
Nun geht es wieder zurück Richtung Stadt. Unterwegs gab es übrigens an den Verpflegungsstationen immer nur Wasser und Orangen. Die Abstände unregelmäßig. Ab und zu, unabhängig davon, gab es auch Stellen mit Wasserschwämmen zum Kühlen. Beim Zurücklaufen in die Stadt hatte ich Lust auf mein 3tes Gel. Dazu brauche ich unbedingt Wasser. Und ich erkenne dass bald wieder eine Wasserstelle kommt, sauge das Gel aus, freue mich aufs Wasser, und erkennen nun erst dass es nur wassergetränkte Schwämme gibt. Sch…. Der Mund total verklebt, der Magen verklebt, ich brauch Wasser, und hoffe dass bald eine Wasserstation kommt. Dem ist aber leider nicht so. 1-2 km und es beginnt wieder besiedeltes Gebiet. Bald kommt eine Tankstelle, und ich überlege mir ob ich die anlaufen soll um ein wenig Wasser zu ergattern, weil es mir nicht gerade gut geht, aber ich lasse es dann doch sein. Weil Wasser sollte man in Marokko nicht überall trinken, ich will meinen Urlaub nicht gefährden. Dann laufe ich lieber langsamer anstatt krank zu werden. Es sollte dann noch weiter ca. 3km dauern bis ich die heiß ersehnte Wasserstelle erreiche, und dort trinke ich auch fast die ganze Flasche aus. Das war bitter nötig!
Da es kaum km-Tafeln gab, ich habe zumindest nur 3 gesehen, und eine Uhr hatte ich auch nicht dabei
, offizielle Zeitanzeigen gab es auch keine, war es schwierig abzuschätzen wir weit es noch war. Aber anhand der Anzahl der Touristen die nun am Gehsteig anfeuerten wusste ich zumindest dass wir uns dem Zentrum und demnach dem Ziel schon sehr genähert haben mussten. Immer wieder Zurufe der Leute „bon courage monsieur“ – und irgendwann ruft ein Tourist – nur mehr 1100 Meter. Da ich mich wieder vom Gelschock erholt hatte und nun wusste wie weit es noch ist beginne ich die Endbeschleunigung
. Es fühlt sich so gut an, kein Mensch vor mir und keiner hinter mir. Letzte Kurve zur Ziellinie. Da sind es noch 500 Meter. Es gibt dort sehr viele Zuschauer, und da ich ganz alleine auf der Zielgeraden bin, weiß ich dass der Jubel mir gebührt. Die wissen echt Stimmung zu machen die Marokkaner. Ich bekomme einen Euphorieschub, beschleunige noch mehr, mach parallel dazu „den Ulrich“ =), das gefällt den Leuten auch hier, und es wird ein phänomenaler Zieleinlauf den ich nie vergessen werde. Im Ziel werde ich gleich von einem persönlichen Betreuer am Arm gepackt der sich um mich kümmert, mich zur Medaille führt, dann zur Verpflegungsstation mit Datteln, Sultaninen und Wasser.
Herrlich.
Nun gehe ich erschöpft zur nächsten Sitzgelegenheit, eine Bank auf der ein älterer Herr sitzt. Ich frage ihn nach der Uhrzeit: 12:05, somit weiß ich dass ich unter 3:05 gelaufen bin. Damit bin ich hochzufrieden, mitten im europäischen Winter so schnell zu laufen freut mich sehr. Erst 2 Tage später erfahre ich dass es eine 2:59:14 geworden ist. Mit dem Mann komme ich ins Gespräch und wir sitzen über ein Stunde dort zu reden. Sehr nett, habe mich nun mit dem „marrokanischen Brujo“ angefreundet. Ein 63-jähriger Literaturprofessor, der früher in Paris gelebt hat. Wir tauschen email-Adressen aus und ich muss mich leider verabschieden, weil meine Frau wartet ja auch noch auf mich
In der Zeitung am nächsten Tag lese ich dass der Lauf als offizieller Qualifikationslauf für die olympischen Spiele in London gewertet wurde. Dementsprechende Zeiten wurden auch gelaufen: 2:08:51 der erste Mann und 2:34:56 die schnellste Frau. Die Strecke ist sehr flach, hat vielleicht 50 Höhenmeter. Ob die schnellen Läufer ähnliche Abenteuer wie ich erlebt haben wage ich zu bezweifeln. Auf jeden Fall war es ein Laufabenteuer erster Klasse das ich in bester Erinnerung halten werde.
edit 5.2.2012: Habe die Endzeit korrigiert. Anfangs war als Resultat 3:00:24 angegeben, das war aber Bruttozeit. Nettozeit ist erst einige Tage später veröffentlicht worden: 2:59:14 =)