Einfach nur - laufen. What else?Gar nicht mal so wenige Geschichten nehmen ihren Ursprung im Wirtshaus.
Zur Erläuterung: irgendwann Mitte Jänner sitzen Heidi, Ulrich und ich im Fischerbräu. Wir reden über dies und das, etwa beim zweiten Bier rücke ich mit einer verschämten Frage raus: ich möchte heuer wieder einmal VCM rennen und ich möchte mich diesmal ein bisschen strukturierter darauf vorbereiten, ihr wisst schon, Trainingsplan und so, ob ihnen da nicht was einfallen würde. Tut es. Eine Woche, zwei SMS und ein Telefonat später sitze ich Alfred Sungi gegenüber, der sich genau nach meinen Vorerfahrungen, Unterdistanzeiten und Trainingsgewohnheiten befragt. Intervalle? Nicht so meins bisher. Stabilisationsübungen? Äääh, Rumpfbeugen und so? Stridings? Bitte was ist das? - Alfreds erstes Resümee: du musst eins wissen, bevor du die Schuhe anziehst - gehst einfach nur so laufen oder gehst trainieren? Ich entscheide mich für letzteres, zumindest bis auf weiteres, betrachte es als eine Art Selbstexperiment. Kurzzusammenfassung: auch Trainieren nach Plan kann Spaß machen, sagt das bitte wer dem Jan.
? Mittlerweile kann ich außerdem immerhin wissend nicken und ein bisschen mitreden, wenns um Tempowechsel, Intervalle, Steigerungsläufe, Hügeltraining etc. geht. Und ich merke, da tut sich allmählich was, formtechnisch. Rückschläge gibt´s zwar auch, grandios versemmelte 4000er Intervalle zum Beispiel, wegen irgendwelcher muskulärer Unannehmlichkeiten abgebrochene Trainingseinheiten, und natürlich Krankheitspausen, immer wieder ist irgendwas. Im Großen und Ganzen aber bin ich zuversichtlich und neugierig, wie das alles enden wird.
Dann, am Freitag vor dem Marathon: ich fühl mich plötzlich wie vorverdaut, schlapp, als hätte ich vor kurzem eine Grippe überstanden. Meine letzte kleine Einheit schreib ich schlicht in den Kamin, Samstag ist auch nicht gerade super, das Kürzel DNS steht im Raum, mit Ulrich, der mich ab Kilometer 24 begleiten will, mache ich aus, wie ich ihn eventuell kurzfristig davon informieren kann, damit er nicht bis Zielschluss am Straßenrand auf mich wartet. Zu allem Überfluss schlafe ich in der Nacht von Samstag auf Sonntag grauenhaft...
...und stehe dennoch kurz nach 5 Uhr auf. Kurzes Hineinspüren in den Körper - ahja, doch nicht so übel. Vielleicht doch Marathon? Mal sehen, wie sich der Morgenlauf anfühlt. Jeep, das pfeift wieder, Puls unten, Steigerungen gehen locker, alles auf Go. Also weiter. Ich werde mir immer sicherer, dass ich heute starten werde. Und starten heißt heute nicht auf einen Notausstieg beim Halbmarathon schielen, sondern aufs Ganze. Mit einem Mal habe ich auch eine mögliche Erklärung für meinen beunruhigenden Zustand während der letzten Tage: Psychosomatik für die Fachleute, Nervosität und Schiss für den allgemein verständlichen Hausgebrauch. Herzig irgendwie. Bei meinem ersten Marathon war das nicht so. Gut, da hab ich auch noch nicht gewusst, worauf ich mich einlasse.
Das gibt sich aber rasch. Schon während der Anfahrt zum Start, spätestens beim Forumstreffpunkt vor dem Donauzentrum ist alles im grünen Bereich. Bald geht es los, Die Taktik sieht so aus, dass ich eher konservativ starte, mir sogar Kilometerzeiten bis 5:00 gönne, um dann nach 2-3 km auf Betriebstemperatur und Reisegeschwindigkeit von etwa 4:40 zu kommen. Das haut beinahe hin. Nämlich insofern, als ich anders als beim LCC vor drei Jahren nicht im ersten Überschwang gleich um 20 Sekunden pro Kilometer zu schnell starte, sondern annähernd das geplante Tempo vom Start weg laufe und dann später nur mehr geringfügig schneller werde. Die Anekdote des heurigen Marathons erlebe ich übrigens schon auf der Lasallestraße. Ich werde zügig von einer Frau überholt. Im Vorbeilaufen reißts mich aber dann doch - die Teilnehmerin startet offenbar in der Topless-Klasse, Bodypainting verziert den aparten Textilmangel. Dennoch halte ich, anders als ein Rudel aufgescheuchter Herren, die hinter der Läuferin nachhecheln, mein Tempo und bin sehr stolz auf meine Selbstdisziplin
Stichwort Tempo: fühlt sich fein an und ist zumindest meistens ein paar Sekunden unter Plan. Mal weniger, mal mehr. Das kann spannend werden. Geht sich´s aus? Hab ich beim zweiten Mal im Prater dann noch genug Körndln? Ich werd´s wohl ausprobieren müssen.
Auffällig an der ersten Hälfte des Rennens ist vor allem Eines: wie unauffällig es sich eigentlich gestaltet. Gleichmäßig laufen. Nicht weiß Gott wie drauf konzentrieren, aber auch ohne Ablenkung. Alle paar Kilometer ein Becher Wasser oder Iso. Kein Respekt vor dem Wiental, zugleich keine Hollodaro-Euphorie beim Bergab auf der Mariahilfer- oder nach dem Halbmarathon dann auf der Liechtensteinstraße. Die Zeit vergeht rasch, Kraft und Selbstbewusstsein passen, es macht Spaß - ein wirklich geiles Rennen. Bei der Friedensbrücke wartet bereits Ulrich auf mich. Kurzes Update: Hailes Laufstil, Pipels Schienbeinproblem. Dann wieder einfach nur - laufen. What else? Fast wie beim LCC-Marathon
- 25, 26, 27,... etwas schwant mir bereits jetzt: auch wenn es aktuell einfach nur rollt, heute könnte es durchaus so sein, dass ich meine Grenzen etwas mehr aus der Nähe sehen werde. Erstes Indiz dafür ist mein Umgang mit Wasser. Ich brauch´s bei jeder Gelegenheit, über den Kopf, auf die Arme und Beine, zu trinken. Erste leise Zweifel, denn "wenn du durstig wirst, ist es eigentlich schon zu spät", sagt ein altkluger Spruch. Blöd. Andererseits, scheiß drauf. Zu Tod gefürchtet ist auch gestorben, Mindestens genauso altklug, aber besser verträglich.
28, 29, es geht wieder in den Prater. Bei meinen beiden früheren Antreten beim VCM wars hier wieder dicht gedrängt. Heute ist das spürbar anders, lockerer gestreut, quasi Entschädigung für das klaustrophobische Chaos im Startblock. Nach der Wende beim Happel-Stadion wird Ulrich plötzlich ein wenig nervös. Ein Security-Typ steht auf der Strecke und kontrolliert, ob vielleicht Läufer mit Halbmarathon-Startnummern am Ring falsch abgebogen sind. Wird er rausgefischt? Und wenn ja, wo treff ma uns wieder? Zum Glück falscher Alarm, die fehlende Nummer fällt gar nicht auf und somit nicht ins Gewicht. 30, 31,... da schau her, es passt ja noch immer alles. Wir überholen eigentlich ständig ohne allzu große Mühe. Ulrich beschließt dann kurzfristig, mich für kurze Zeit aus seiner Obhut zu entlassen, das Lusthaus kennt er ja schon. Ich dreh die Runde, bei Kilometer 34 treffen wir wieder zusammen. 35: Kühlen, kühlen, trinken, Ulrich kümmert sich aufopfernd um mich. Dann, Premiere: für ein paar ordentliche Schlucke gehe ich erstmals ein paar Schritte, kann zum Glück halbwegs leicht wieder weiterlaufen. Ok, jetzt beginnt für mich die heiße Phase des Marathons, raus aus dem Prater, ab der Schüttelstraße wird es endgültig zach bis hart, das Tempo zu halten. Der Puls ist längst irgendwo, der Hals trocken, die Oberschenkel brennen. Ich laufe noch, spätestens seit der Franzensbrücke zwar nicht mehr im Poser-Elsato-Stil, aber immerhin. Ulrich geht, sobald wir wieder am Ring sind, einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nach - effektive Publikumserweckung. Klappt, freut mich. Mehr noch beschäftigt mich die Frage, ob die Leute, die mir dekorativ im Weg herumstehen, wohl rechtzeitig ausweichen, bevor ich sie ramme.
Irgendwo ab Kilometer 41 renne ich dann wieder alleine. Endgültig auf Reserve, auf den Heldenplatz. Roter Teppich. Blick auf die Anzeigetafel. 3:15. Große Emotion. Tiefe Zufriedenheit. Geiles Rennen.