Autor Thema: 2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko  (Gelesen 1526 mal)

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« am: 11.06.2010, 00:00:00 »
Datum: 2010-06-11
Event: Bieler Lauftage
Distanz: 100.000 km

Ersteller: heitzko

Offline heitzko

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #1 am: 11.06.2010, 00:00:00 »
muss man einmal im leben nach biel? oder 100 km SM

tag x - 1

das sind so die zwei dinge die mir derzeit - einen tag vor biel - im büro durch den kopf gehen während die angst zunehmend im steigen begriffen ist.
sagte ich angst? nein, ich meinte natürlich... die nackte panik, die sich gerade im gesamten körper breit macht.
das letzte mal war ich so nervös am tag unserer hochzeit :D (aber dort gab es weniger dinge die schief laufen konnten :D, die falschen töne der organistin konnten niemals so schmerzhaft sein wie das was wir morgen vorhaben).
im vorfeld haben mir einige leute zu verstehen gegeben, dass es doch eh klar ist, dass man 100 km schaffen kann. teilweise klingt es gerade so, als wäre das das einfachste der welt, fast so wie... schlafen... oder essen :D
nun ja heute bin ich mir da jedenfalls gar nicht sicher und von anfang an kam mir diese idee wahnwitzig vor.
ich bin zwar wohlgenährt derzeit, aber nicht des wahnsinns wohlgenährte beute ;), die idee stammt nämlich von meinem lieben lauffreund rainer der jetzt leider verletzungsbedingt ausfällt.
eigentlich wollte ich ja andere läufe machen, ganz vorne standen da der k78 und der traunsee marathon. leider muss ich erkennen, dass das nun einmal aus - nennen wir es einmal - diversen körperlichen unpässlichkeiten die sich im lauf der letzten 2,5 jahre eingestellt haben, nicht geht.
die viel beschworene flexibilität die man heute anscheinend von sämtlichen in freien marktwirtschaften lebenden personen erwartet, versuche ich aktiv zu praktizieren und disponiere um...
hmmm wenn rainer in biel läuft und ich meine 2 ursprungsziele ad acta legen musste.... wie wäre es da..... mit BIEL. juhuuu ein neuer höhepunkt ist gefunden und was für einer!
ulrich ist entsetzt und begeistert als er von der idee hört :D.
teilweise habe ich ja den eindruck, dass in unserem forum das marathonlaufen zur kurzdistanz verkommen ist und es schon ein bisserl mehr sein darf, um mit dem trend mitzuhalten ;).
die letzten wochen waren dann ein welchselbad aus manie und depression. begeisterung und die erkenntnis, dass man mit unseren laufumfängen wohl nicht ernsthaft einen 100er schaffen kann, wechseln sich ab, so wechselhaft wie das wetter der letzten wochen ist auch unsere stimmung hinsichtlich des laufes…
die wettervorhersagen der letzten tagen lassen uns dann auch aussehen wie begossene pudel, noch bevor sie in den regen gekommen sind ;). ich hatte seit meinem 2 lebensjahr 14 jahre lang einen pudel und der mochte es überhaupt nicht nass zu werden und so geht es mir derzeit auch.
heute befinden wir uns in einem sokratischen zustand: wir wissen, dass wir nichts wissen...
nicht was wir morgen anziehen sollen, was wir im zug essen werden (von 7:30 bis ca. 17:00 sind doch eine lange zeit - wir werden wohl vorkochen und tupperware einkaufen müssen ;)) auch nicht wie das wetter nun wirklich wird, wie wir die gels von sponser vertragen werden, wie wir was mitnehmen und verstauen sollen und vor allem nicht wie wir das überhaupt schaffen sollen :D
sämtliche wie’s surren in meinem kopf herum…eine seriöse vorbereitung gab es aus terminlichen gründen nicht, 2 marathons mussten als long jogs reichen und das rätsel, wie man dann noch einmal mehr als doppelt soviel bewältigen soll, wenn nach 42 km die beine schon schwer sind- das wird dann morgen aufzulösen sein.die 56 km der veitsch sind halt doch etwas anderes und liegen auch schon wieder ein jahr zurück. Der infekt vor 2 wochen hat mich spürbar, substanz gekostet,  zudem habe ich mit meinem bauch probleme und verliere gerade alle mühsam „angefressenen“ mineralstoffe wieder auf natürlichem weg ;).
neben der physischen vorbereitung habe ich mich auch psychisch vorbereitet und zwar durch die lektüre zahlreicher berichte. heute bin ich mir nicht so sicher wie gescheit das war, da doch regelmäßig in den berichten vieler etwas von 50 bis 60 km long jogs geschrieben wurde… vor allem gruselt es mich bei dem gedanken daran, was alles in so einer langen zeitspanne schief laufen kann
mehrere lehren kann man zumindest aus vielen berichten ziehen, „km 30“ liegt diesmal irgendwo zwischen 50 und 80 und der lauf wird dann NUR durch den kopf entschieden. Anstiege soll man hinaufgehen, keinesfalls laufen, das tempo muss sehr langsam (no na...) sein. die berichte erfüllen jedenfalls einen zweck sehr gut - ich bin zum zerreißen gespannt auf die matura das langstreckenläufers. Verschiedene körpersignale senden mir: ich willl nicht, ich will nicht, ich will nicht  :D. mein kopf sagt aber, ja ich will :D (das habe ich heuer schon öfter gesagt und nie bereut :D
eigentlich geht es morgen vorwiegend um eines: um den festen willen es zu schaffen und um den glauben daran, dass es gehen kann. morgen muss ich gläubig sein, wenn mir der glaube verloren gehen sollte, muss ich ihn eben wieder finden  :)

to be continued ;)....

teil II
freitag früh: nachdem wir um 7:20 den railjet bestiegen haben, heißt es erst einmal beine hochlegen. sehr angenehm, fürs beine hochlegen bin ich immer zu haben ;). das ist auch gut so, denn unser marschgepäck ist gar nicht ohne, essen und trinken für die zugfahrt, da die wettersituation nach wie vor ungeklärt ist, heißt es auch bekleidungsmäßig für alle möglichkeiten gewappnet sein. zudem gibt es die möglichkeit bei km 56 einen kleiderwechsel vorzunehmen.  der zug ist angenehm kühl, trotzdem haben wir stirnbänder, denn eine stirnhöhlenentzündung durch die klimaanlage wäre jetzt doch suboptimal. wir schauen sicher sehr interessant aus, mit unseren kompressionsstrümpfen und kopftüchern mitten im sommer :).
die nacht vorher habe ich nicht gut geschlafen, die tage davor jedoch schon, das muss reichen. obwohl ich wenig trinke, renne ich unentwegt auf (das schöne) railjet wc :D. wadenkrämpfe in der nacht davor, haben mir auch schon bestätigt, dass mit dem mineralstoffhaushalt etwas nicht stimmt. eh klar, dass muss natürlich kurz vor einem 100 lauf passieren. wozu habe jetzt 2 wochen lang versucht, mich mineralstoffreich zu ernähren? ich hätte gleich alles ins WC schütten können und mir den umweg über die magen-darm passage ersparen ;).
im zug versuchen wir uns zu entspannen, was mir nicht gelingt. mein puls dauerhaft viel zu hoch, ich spüre das Adrenalin im Körper. Iimer wieder versuche ich mir vorzustellen wie man 100 km laufend bewältigen soll. wie soll man sich das einteilen? einfach 5 Mal 20 :D? oder von labe zur labe? oder 2 x 50 :D? genau laufen wir schnell einmal 50 kilometer, dann sind es eh nur noch 50 :D. meinen körperlichen unpässlichkeiten kann ich als argument zumindest entgegenhalten, dass es sehr langsam sein darf diesmal. immerhin gibt es einen zielschluss, den aber erst nach 21 h.
Ulrich ist sehr bescheiden, denn immer wenn ich versuche hochzurechnen, was ich realistischerweise laufen können sollte, blockt er sofort ab und gibt sich mit dem einfach nur ankommen zufrieden. meine versuche ihm zu erklären, dass es nicht so toll wäre in der ärgsten nachmittagshitze herumzulaufen und es mir schon recht wäre etwas früher im ziel zu sein, stoßen auf taube ohren. überhaupt versuche ich meine klappe zu halten, denn wenn mein lieber ehemann nervös ist, lässt man ihn lieber in ruhe :D.
nach einer kurzweiligen zugfahrt (einfach sagenhaft wie schön tirol und auch vorarlberg sind), kommen wir pünktlich (wie eben eine schweizer uhrwerk :D) in zürich an und suchen unseren anschlusszug. für das umsteigen haben wir nur 10 minuten und den bahnhof kennen wir noch nicht. da entdecke ich einen typen in laufschuhen mit rucksack der schnellen schrittes in eine bestimmte richtung „geht“. der schritt ist so schnell, dass ich gehend nicht folgen kann, aber wir versuchen uns auf seine fersen zu heften. richtig getippt, er führt uns zum richtigen zug.
 
wir kommen gleich ins gespräch mit ihm und obwohl er sehr nett ist, demotiviert mich der inhalt ziemlich. mit der vorbereitung können wir nicht mithalten...
 
nach 1 h 15 sind wir dann um 16:45 in biel und machen uns auf den weg zum eisstadion wo der „stützpunkt“ der bieler lauftage liegt. unser mini-zelt ist bald aufgestellt und schaut wirklich herzig inmitten der „richtigen“ zelte aus :D. na ja, der hersteller hat nicht übertrieben, 2 personen passen da wirklich hinein, dafür halt sonst recht wenig. startnummernabholung, kleiderabgabe für die wechselstelle, wertsachendepo, alles klappt tadellos, die organisation und anderen läufer sind äußerst freundlich und hilfsbereit.
ansonsten kommt sich hier vor wie im urlaub, am campingplatz sitzen und liegen alle herum, wettkampfstimmung gibt es keine, es stresst sich hier niemand. Immerhin sind es noch einige stunden bis zum start. es gibt die ganze zeit eine radio-live-berichterstattung mit guter musik.

wetterkapriolen bleiben einstweilen auch aus, die starke bewölkung kann sich nicht zu einem regen durchringen, was uns sehr gelegen kommt.
die letzten stunden verbringen wir damit nervös herumzuliegen, das equipment vorzubereiten und ich wieder damit x mal auf die toilette zu laufen :D.
 um ca 21:15 Uhr ziehen wir uns dann um und machen uns – wieder einmal schwer bepackt –  auf in richtung startgelände. stirnlampe, klopapier (:D), sportlernahrung für den notfall, eine kleine regenjacke, ärmlinge falls es kühl werden sollte, handy, damit wir uns auf der strecke zumindest sms-sen können, alles muss mit. viele laufen auch mit (trink)rucksäcken, das wäre mir aber zu anstrengend. soviel habe ich jedenfalls noch nie bei einem wettkampf dabei in sämtlichen jacken und rückentaschen gehabt :D. da soll einer sagen, rad fahren oder triathlon wären materialintensiv.

neidig schiele ich auf ulrichs laufhose, in den vorangegangenen tagen haben wir versucht das salomon wunder stück noch irgendwo aufzutreiben, aber no way. weder kleine noch große fachgeschäfte in wien haben sie. na gut, werde ich halt mit den kompressionssocken vorlieb nehmen müssen.

unmittelbar vor dem start herrscht dann eine richtige volksfeststimmung und inmitten der läufer entdecke ich ihn… werner sonntag, der mann der einen wesentlichen beitrag zum biel-mythos geleistet hat und mit seinen 84 (?) jahren noch immer mitläuft.

das kultbuch „irgendwann mußt du nach biel“ ist zwar eigentlich nicht mehr zu erwerben ist, der titel hat sich jedoch als slogan oder mantra  in mund und gehirnwindungen der meisten ultraläufer verfestigt.

wir sind nun zwar eigentlich keine ultraläufer, aber auch bei mir hat das sofort gewirkt. Normalerweise übt etwas wie „du musst“ bei mir sofort einen abwehrmechanismus aus und ich werde dann diesem befehl sicher nicht nachkommen :D. freudig schütteln wir ihm die hand und wechseln ein paar worte. der mann ist auf anhieb sehr sympathisch und freut sich auch, dass ihn so viele leute ansprechen.

bald erfolgt der startschuss und ganz langsam rollt die menge los. die ersten kilometer führen durch die stadt. unglaublich was hier los ist. biel ist ein einziger hexenkessel und wir werden durch die stadt getragen von einem gemisch aus schweizerisch-deutschen und französischen anfeuerungsrufen. es ist gänsehautfeeling pur, dass sich hier einstellt. Wie helden werden wir gefeiert und verabschiedet. die schlacht zu der wir aufbrechen ist jedoch eine gegen den größen und gefährlichsten feind, gegen uns selbst. noch herrscht innere harmonie, noch fällt es leicht zu laufen, doch weiß man dass irgendwo hinter einer hecke, hinter einem busch ein gefährlicher feind lauert und wir wissen auch nicht wo er zuschlagen wird ;). bei einem marathon weiß man, dass es immer irgendwie möglich ist sich durchzukämpfen, aber bei 100 km bin ich mir da einfach nicht sicher. aber erst einmal wollen wir uns auf das genießen beschränken und das fällt einfach nur leicht! in vielen berichten habe ich gelesen, dass man irgendwann alleine ist, weil die bevölkerung schläft. das scheint nicht so ganz zu stimmen, egal durch welchen ort wir kommen, immer sind irgendwo leute und feuern an. viele sitzen auch gemütlich vor gasthäusern. dort wo es mit dem anfeuern nicht so klappt, beklatscht mein lieber ehemann das publikum um es wieder zu motivieren. die steigungen gehen wir – so wie die anderen – hinauf, auch wenn es schwer fällt, denn eigentlich sind die gar nicht wild.

labestationen gibt es reichlich, die sind auch immer sehr gut ausgestattet. die kleineren stationen haben 2 arten von sportgetränken, bouillon, brot, bananen, orangen, wasser, cola, sport-tee. die größeren stationen haben dann noch gels, diverse riegel, kleine kuchen, bananenbrot etc. vom sponsor namens SPONSER :). die helfer sind unermüdlich im einsatz, besser betreut kann man kaum werden!

die strecke führt durch viele kleine ortschaften, über landstraßen und über feldwege. auch wenn die meisten mittlerweile mit stirnlampe laufen, merkt man, dass man hier auf dem land ist und viel landwirtschaft betrieben wird. es gibt viele ställe, kuhwiesen, felder, sowie die eine oder andere feldmaus die über den weg huscht. meine oberschenkel bereiten mir ein wenig sorgen, denn wirklich locker und leicht fühlen sie sich nicht an. davon möchte ich mich aber – zumindest noch – nicht einschüchtern lassen. auf jeder labe trinke ich iso, bouillon und cola. das funktioniert sogar und ich merke eine deutliche erholung nach diesem zaubertrank deren mischung gsd erst im inneren des körpers stattfindet.

bei km 17 erreichen wir aarberg wo es über eine holzbrücke in die stadt hineingeht. auf der holzbrücke stehen die zuschauer spalier, jeder wird begeistert angefeuert, wieder einmal wird man durch den applaus getragen und kaum durch die eigenen beine. das spart kraft ;).

ab lyss bei km 22 dürfen dann die begleitfahrräder ebenfalls mitfahren. die fahrradbegleiter die sich um ihre schützlinge kümmern, stören aber kaum. außerhalb der ortschaften herrscht vorwiegend einsames schweigen…kaum jemand redet, ulrich und ich gehören noch zu den redseligeren leuten. bald schon überholen uns auch die ersten halbmarathonläufer in wilden manövern auf mehr oder weniger gut – durch stirnlampen – ausgeleuchteten feldwegen.
mir bleibt teilweise der mund offen, so erstaunt bin ich über die geschicklichkeit mancher dieser läufer. häufig kündigen sie sich rufend an, damit es zu keinen unfällen kommt.

irgendwann fängt ulrich an zu gähnen und erklärt mir, dass er ziemlich müde ist. klar jetzt ist es auch schon spät und um diese zeit schläft ein altes ehepaar wie wir normalerweise schon längst. da hilft nur eines, sich bis zur nächsten labe durchkämpfen und cola trinken (lassen). mir fällt das laufen auch nicht gerade leicht und die energie ihn jetzt 80 km lang zu motivieren, wenn ich mich selbst motivieren muss, fehlt mir – ganz klar, das ist ein falls für cola. obwohl ich da natürlich ein paar bedenken habe, da ulrich ja am besten einschläft, nachdem er red bull oder ähnliches getrunken hat :D.
bei der nächsten labe will er dann auch tee trinken, nimmt sich einen becher, macht einen schluck und spuckt wieder in den tee hinein, als hätte man gerade versucht ihn zu vergiften… es war die salzbrühe und kein tee. ja mein lieber ehemann, wenn man lesen kann, ist es halt doch manchmal klar von vorteil. es steht nämlich bei jeder labe, was sich wo befindet. jetzt muss ich mich sehr zurückhalten um nicht schallend zu lachen :D. nachdem er auch cola getrunken hat, geht es plötzlich wieder und wir traben weiter. wir sind zwar unglaublich langsam, aber das war auch so geplant, immer wieder schaue ich auf die stoppuhr (puls messe ich ja schon lange nicht mehr), die stunden verstreichen wie im flug, es ist schon mitten in der nacht, trotzdem sind in jedem dorf noch leute auf – ganz klar – wir sind nicht alleine, ich bin von den schweizern restlos begeistert, auch die die stockbesoffen sind, sorgen noch immer für eine gute – freundliche - stimmung unter den läufern ist es weiterhin sehr still, in kleineren ortschaften harren dann auch weniger menschen aus. man hört zeitweise nur das traben der anderen läufer um sich herum. mich erinnert die szenerie an einige zombie-horrorfilme. es ist ruhig, dunkel, kaum beleuchtet. Wir blödeln herum, dass wir uns jetzt nicht wundern würden, wenn irgendwo ein läufer zum knurren anfängt, die zähne fletscht und sich auf einen anderen läufer stürzt :D.  alles kommt mir so surreal vor. obwohl wir wirklich sehr langsam sind, überholen wir dauernd, auch viele soldaten die gerade irgendwelche militärmeisterschaften haben und in uniform laufen müssen. Manche haben sogar nur ihre stiefel an, ob das in wirklichkeit 7 meilen-stiefel-sind? wie sind die sonst so schnell gewesen :D?
ich habe erstaunlicherweise überhaupt kein problem damit in der nacht zu laufen, die beine sind zwar schwer, aber keine spur von müdigkeit stellt sich ein. nur an dem brennen der augen merke ich, dass ich längst im bett sein sollte. an den labestationen immer wieder ein becher iso, buoillon, cola und ab und zu nun auch schon ein gel. wozu habe ich meine eigenen gels eigentlich mit :D? die von sponser bekommen mir auch wesentlich besser als die von powerbar.
als wir beim marathonziel vorbeikommen, sind wir ziemlich erstaunt, wie „sparsam“ man dort war… aber ich verstehe das, denn biel ist nicht für den marathon berühmt ;).
seit ca. km 40 habe ich sowieso andere sorgen… 2 blasen beginnen mich in den wahnsinn zu treiben. trotz sorgfältigem abkleben der kleinen zehen sind die schmerzen eindeutig. ulrich hat schmerzen in der hüfte und wir freuen uns beide schon sehr auf km 56 wo kleiderwechselzone und massage warten.
mich motiviert jetzt fast einzig und alleine nur noch der gedanke, endlich aus den schuhen herauszukommen. vorsichtshalber, habe ich ein paar leicht zu große mizunos die vorne schön weeeeeeeit geschnitten sind, abgegeben, eine der besten entscheidungen meines lebens. irgendwann kommen wir auch an einem ort namens grossaffoltern vorbei, das sorgt für erheiterung :D
meine oberschenkel schmerzen jetzt auch schon ziemlich und ich blicke dem „stützpunkt“ bei kirchberg mit gemischten gefühlen entgegen. einerseits ist das schon km 56 andererseits bin ich schon ziemlich bedient. gleich dort angekommen gehen wir die sani-station. ulrich lässt sich massieren, ich suche mir eine sanitäterin. mein kreislauf fängt an zu spinnen, mir wird übel, was nicht zuletzt auch am geruch nach massageöl liegt :D. die sanitäterin fängt an meine blasen auf ihre art zu behandeln… sie klebt sie mit pflaster und leukotape zu. ich bin jetzt zu müde um zu protestieren, obwohl ich schon ahne, dass das eine blöde idee ist. dann hole ich mir meine mizunos und möchte eigentlich weiterlaufen. ulrich insistiert aber darauf, dass ich mich auch massieren lasse und so verbringen wird gut eine halbe stunde dort.
als wir den raum wieder verlassen, merke ich nur, dass so auf gar keinen fall klappen wird. die blasen fühlen sich jetzt nämlich ziemlich eingeengt. draußen ziehe ich also gleich einmal kompressionsstrümpfe und schuhe aus, reiße mir die pflaster herunter und dann wieder hinein in die strümpfe und schuhe. ja das ist schon besser!
nach den ersten unbeholfenen schritten – die massage hat natürlich doch ein bissi den tonus geraubt – läuft es sich wieder recht gut. mir ist zwar noch leicht übel, aber die gute morgenluft wird schon helfen. mittlerweile ist es auch hell geworden und es ist…. hurrah…. stark bewölkt!
 
nun kommt die grüne hölle von biel mit dem salbungsvollen (spitz)namen ho chi minh pfad am emmendamm. ich bin relativ froh hier nicht im dunkeln durchlaufen zu müssen. für ulrich ist die strecke anscheinend kein problem, er ist eindeutig noch frischer als ich. ich finde es anstrengend mich unter einfluss der müdigkeit auf die strecke zu konzentrieren. die geschicklichkeit habe ich grundsätzlich schon einmal nicht für mich gepachtet, dort gilt es doppelt aufzupassen. einmal baue ich mich fast ein, hinter mir läuft ewig lange jemand der nicht und nicht überholen möchte. es ist nervtötend, wenn einem jemand dauernd fast auf die fersen tritt. irgendwann fasst er sich doch ein herz und überholt endlich. das schwierige an diesem teilabschnitt ist das zusammentreffen von müdigkeit, steinen, wurzeln und die länge von ca. 10 kilometern. irgendwann hat aber auch der ho chi minh pfad ein ende… this is the end, my only friend the end.. ups falscher film, falsches jahrzehnt, falsches jahrhundert :D.
 
bei km 70 müssen wir dann bei einem bahnübergang anhalten. da ich so froh bin endlich wieder unkomplizierten untergrund unter den beinen zu haben, ärgere ich mich fast über die kurze zwangspause. mental ist km 70 auf jeden fall ein meilenstein. mir tut alles nur noch weh, aber ich weiß jetzt, es wird klappen – die restlichen 30 km gehe ich auch zu fuss falls es erforderlich sein sollte :D. nur noch 30 km… ich verdränge so gut es geht, dass das noch ein ordentliches stück ist. das verdrängen fällt einem jetzt auch schon leichter, weil die müdigkeit allmählich das denkvermögen bzw. den denk-willen verdrängt. ich will gar nicht mehr denken sondern nur mehr weitertrotten. erstaunlich ist aber, dass es den anderen leuten da anscheinend nicht so anders geht. viele gehen, wir gehören sogar zu den wenigen die ziemlich kontinuierlich weiterlaufen, unterbrochen natürlich von labestationspausen und klo-pausen. viel trinken, heißt viel pinkeln, ich habe mit sicherheit noch nie so viele wc pausen eingelegt wie in der bieler umgebung :D. also wenn dort künftig nichts mehr wachsen sollte, ich bin schuld und nicht der klimawandel ;). wir überholen fortwährend, da ich schon ziemlich müde bin, reicht es nur mehr für ein inneres grinsen. viele der überholten sind swiss alpin finisher… der lauf den ich nicht laufen kann, weil ich zu langsam dafür bin, das gibt’s ja nicht  :D!

irgendwo zwischen 80 und 85 ist dann der ofen aus. da ich ein latentes hungergefühl habe, welches sich aber mit leichter übelkeit abwechselt, kann ich nicht soviel essen wie ich möchte. die schmerzen nehmen auch überhand und ich bin einfach ziemlich am ende. Ulrich der sich seit einiger zeit von seinem mp3 player motivieren lässt, schaut aus als ob er gerade losgelaufen wäre und ich empfinde mich selbst zunehmend als klotz am bein. ich werde langsamer, er würde gerne schneller laufen, das sehe ich ihm an. ich könnte jetzt eigentlich schon schreien vor schmerzen und ulrich scheint das weder nachempfinden zu können, noch zu verstehen. irgendwo bei oder kurz vor km 95 kommt dann noch ein anstieg, bislang habe ich die anstiege als angenehm empfunden und laufe sie auch ganz gerne hinauf, hinunterlaufen ist längst zu schmerzhaft geworden. dieser anstieg kommt mir vor wie der mount everest… ulrich schiebt mich schon an und ich empfinde das nicht gerade als angenehm. ich möchte nur noch meine ruhe haben und in meinem 8er??? 9er??? „schnitt“ weiter“laufen“. Ulrich schaut leicht genervt drein und dann platzt mir irgendwann der kragen und ich schreie ihn an, dass er endlich laufen soll… entweder mit mir „ungenervt“ laufen oder alleine laufen im eigenen tempo – für mittellösungen fehlen mir jetzt die nerven. dieser aufforderung kommt er dann auch prompt nach und ich bin ziemlich verdattert, dass er wirklich losläuft und zwar in einem mordstempo.
jetzt gehe ich einmal einen halben kilometer lang und bemerke, dass der milchreis vom vortag drückt. es ist dort relativ schwer sich ein stilles örtchen im wald zu suchen, weil der waldrand ziemlich schwer zu „durchbrechen“ ist, aber wo ein wille ähm bedürfnis, da ein weg :D.
danach komme ich mir dann wesentlich entspannter vor :D. jetzt sind es nur noch 3 kilometer, aber 3 kilometer können unglaublich lang sein. aber auch deswegen bin ich hier. wegen diesem zustand der demaskierung, man selbst in reinkultur, man ist mit sich selbst konfrontiert, mit all den eigenen schwächen, mit seiner hilflosigkeit, der erkenntnis, dass man nur ein mensch ist, dass man aber auch einiges als schwaches verletzbares wesen schaffen kann, aus eigenem – und nicht motorisiertem – antrieb ;).
plötzlich steht ulrich wieder vor mir. er hat bei km 99 umgedreht um doch lieber mit seiner ehefrau ins ziel zu laufen. ein versöhnungsbussi und die welt ist wieder in ordnung :). ich bin ganz gerührt, aber wenn ich jetzt zum herumheulen anfange, kommen wir noch ewig nicht ins ziel ;).
bei km 99 angekommen, geht es auf einmal wieder, plötzlich spüre ich keine schmerzen mehr – es ist unglaublich, wir schaffen das und trotz ein paar unpässlichkeiten ist es der großartigste lauf meines lebens hand in hand laufen wir ins ziel. die leute applaudieren, feuern an. der letzte teil der strecke liegt am „campingplatz“ wo die schnelleren läufer schon längst erholt an der strecke sitzen und ihre langsameren kollegen anfeuern… jeder wird als großer sieger gefeiert,  ja das ist ultra, eine andere welt, 13 h 20 lang haben wir uns unter sie gemischt und sind überglücklich. ich bin so glücklich, dass wir gemeinsam gelaufen sind, alleine wäre es nicht annähernd so toll gewesen.

im ziel bin ich körperlich vollkommen am ende, irgendwie schaffe ich es noch ins zelt und im liegen werden die schmerzen sogar noch schlimmer – schmerzen im liegen ohne ende, verstört, zerstört, unerhört…glücklich. ich bin mir sicher, dass ich wochenlang nicht mehr gehen werde können… auch wenn das ungesund ist, ein halbes aspirin hilft wunder, die schmerzen kehren nicht wieder. heute ist auch der muskelkater in den beinen wieder geschichte (der in der schultern ist wesentlich stärker :D)– die erinnerungen an biel jedoch unvergesslich.

die 100 km SM sind vorbei – damit sind natürlich die schweizer meisterschaften gemeint :D

Offline StefanM

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #2 am: 14.06.2010, 14:50:47 »
Jetzt hab ich mir beim Lesen Ulrichs Berichts schon die ganze Zeit gedacht, wie du das wohl gesehen hast - und da ist er schon, dein Bericht. Es ist so unvorstellbar großartig wie ihr das gemacht habt!

Offline pipel

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #3 am: 14.06.2010, 15:33:38 »
Wow!
Stop the world — I wanna get on!
(Leo Bloom in "The Producers")

Offline boenald

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #4 am: 14.06.2010, 16:40:36 »
"Nackte Panik" und "für Mittellösungen fehlen mir jetzt die Nerven..." auf der einen Seite "...trotz ein paar Unpässlichkeiten der großartigste Lauf..." auf der anderen.  Offenbar brauch´s beides für ein Komplettabenteuer. Bewundernswert...! Danke für den Bericht!
Paragraph eins: jedem sein´s.

Offline Mihi69

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #5 am: 14.06.2010, 17:24:35 »
Ich ziehe den Hut! Ein wirklich toller Grenzgang! SUPER!
Lg
Michi

Offline shiloh

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #6 am: 14.06.2010, 17:35:52 »
let`s run, with me - fällt mir da als weiteres Doors-Zitat ein, wunderbarer Bericht, Biel steht auch auf meiner Christkind-Wunschliste. und Sub-13h netto ist eigentlich eine Super-Endzeit.Gratuliere Euch Beiden!!
2 Fragen noch
Warum bist du zu langsam für den Swiss Alpin? Gibt`s da Limits?

lg
harald
It`s good to have an end to journey toward, but it`s the journey that matters, in the end. (Ernest Hemingway)

Offline Richy

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #7 am: 14.06.2010, 17:37:22 »
Herrlich - und sooo vergönnt.
Du hast es geschafft - und das ohne die Kompri-Hose :D
Alleine der Zeitgewinn bei den Klogängen ohne dem Ding ;)
Voll super Bericht - danke für diese Impressionen

Offline Conny

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #8 am: 14.06.2010, 21:01:29 »
Du schreibst von der Matura des Langstreckenläufers - ich halte das mindestens für das Doktorrat!
Heidi, du bist ein Wahnsinn - Gratulation!!! Danke für den eindrucksvollen Bericht.

Offline JM

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #9 am: 14.06.2010, 21:39:21 »
super Bericht( wenn auch seeeehr lang :)) Super Lauf. Danke dafür.
When your life flashes before your eyes, make sure you’ve got plenty to watch

Offline running1951

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #10 am: 15.06.2010, 09:17:23 »
Starke Leistung und eine enorme Kraft!
Gratuliere. Das nächste Mal kannst du neue Details sehen.
"Wie willst du deine Mitte finden, wenn du nie an deine Grenzen gehst?"
Läufer lachen, leben, lieben länger

Offline cbendl

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #11 am: 15.06.2010, 12:47:31 »
Heidi, das war ein toller Bericht und ein ganz toller Lauf, du bist eine wirkliche, großartige Beißerin. Mein Komplimient und meine Bewunderung!!
Und so im Vergleich der beiden Bericht drängt sich mir vor allem Gedanke auf: Frauen neigen viel weniger zum Dramatisieren und sehen alles viel pragmatischer und nüchterner. ;) :D
hippocampus abdominalis

Offline wi(e)nfried

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #12 am: 15.06.2010, 13:14:53 »
Toll, auch noch den Bericht von "der anderen Seite" zu bekommen. :-) Danke auch für die Beschreibung deiner Beobachtungen auf der Strecke, da bekommt man gleich Lust (wieder) einmal nach Biel zu fahren. Und wirklich tolle Leistung, die du da gezeigt hast!
“During the hard training phase, never be afraid to take a day off.
If your legs are feeling unduly stiff and sore, rest; if you are at all sluggish, rest;
in fact, if in doubt, rest.”
- Bruce Fordyce

Offline chribi

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #13 am: 15.06.2010, 16:26:31 »
danke für den bericht, wollt eh schon die ganze zeit die andere seite kennen lernen. toll, wie du dich da durchgebissen und gekämpft hast, alle achtung :):)

Offline Manuela

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2010-06-11 Bieler Lauftage - heitzko
« Antwort #14 am: 16.06.2010, 15:10:04 »
Liebe Heidi, hab mich geistig schon auf einen sehr langen Bericht eingestellt und du hast mich nicht enttäuscht :D Gratuliere ganz herzlich zu dieser tollen Leistung und jetzt geh ich Ulrichs Bericht lesen (darf ich mich danach eigentlich Langstreckenleser nennen?)
LG
Manuela

 

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