ZoncoMan`s Erlebnisbewältigung mittels SchreibtherapieDie Westauffahrt auf den Monte Zoncolan von Ovaro aus gilt als einer der absolut schwierigsten Anstiege Europas und wurde heuer im Rahmen des Giro d`Italia wieder befahren. Mit großem Interesse habe ich schon vorher Erfahrungsberichte im Internet von diesem Berg gelesen.
Ca. 20km südlich des Plöckenpasses gelegen erwarten den Radfahrer gigantische Dimensionen, 10km und 1200Hm, das entspricht ziemlich genau den Daten des Schneeberglaufes.
Christian und ich wollten von Arnoldstein über Tolmezzo und Passo Duron diese Auffahrt am Samstag machen, seine Frau Brigitte sollte uns mit dem Auto begleiten. Am Sonntag wollten wir uns dann dort die Zielankunft des Giro ansehen.
Leider wurde Christian krank und nach kurzem Überlegen beschloß ich, die Sache alleine anzugehen – wenigstens konnte ich samstags ausschlafen und noch ein Mini-Koppeltraining machen. Am Nachmittag dann weg vom grauslichen Wetter der letzten Woche und hinab ins sonnige Italien – Übernachtung im Auto in Tolmezzo.
Sonntag, 23. Mai, angenehme Wärme und Sonnenschein, ein Traum. Um 10h starte ich auf 330m Seehöhe und fahre auf der heutigen Etappenstrecke der Profis in ca 1h über Paularo auf den Passo Duron (1038m). Die ganze Gegend wird von der Farbe Rosa dominiert, Luftballons, eingewickelte Brückengeländer, Puppen und Fahrräder undundund. Der Giro ist rosa, die Farbe der Gazzetta dello Sport, die dieses Rennen organisiert. So auch die Wegweiser für die Fahrer, rosa Schilder mit schwarzem Pfeil, denen ich nur nachfahren brauche.
Steile Abfahrt nach Sutrio, ich will weiter nach Ovaro, es geht gleich auf gut ausgebauter Straße bergwärts. Ab Sella Valcalda auf über 900Hm soll`s wieder bergab gehen. Ich überhole viele andere Radler, die Höhenangaben zeigen 600m, 800m, 1000m (?), 1200m (??) - das gibt’s ja nicht, wann geht`s endlich runter?
Endlich ein großer Parkplatz, Lifte, viele Busse und Autos, ein Mords-Wirbel. Zum Glück erspare ich mir die Peinlichkeit, nach dem Weg nach Ovaro zu fragen und bald dämmert mir, daß ich einem Schild für den Bustransfer gefolgt bin und eben irrtümlicherweise die Ostauffahrt auf den Monte Zoncolan teilbefahren habe – drum also diese „komischen“ KM-Steine.
Diese Variante ist 13,5km lang bei 1190HM, das sind 9% im Schnitt, also etwas leichter als die Westauffahrt. Die schwierigsten KM kommen aber noch, ein Rampe mit 23% und 13% auf den letzten 3KM.
Ich beschließe weiterzufahren, komme gut voran, steile Passagen auf dem schmalen Asphaltband wechseln mit flacheren. Viele Zuschauer strömen bergwärts, die meisten zu Fuß, einige mit Rennrädern und viele winden sich in bizarren Verrenkungen auf ihren MTB im ersten Gang empor – von einem Straßenrand zum anderen wechselnd. Ich muß also ständig aufpassen und ausweichen und „Attenzione“ rufen. Es ist zwar anstrengend, aber nicht erschöpfend und bald bin ich ganz oben am Monte Zoncolan (1730m) – im Winter ein beliebtes Schigebiet, drum die Straßen und Lifte hier heroben.
Es ist kurz vor 13 Uhr, jede Menge Trubel hier heroben, fast 4,5 h noch bis zur erwarteten Zielankunft. Ich riskiere es und will die Westauffahrt probieren, nur weiß ich nicht, wann die Straße auch für Radler gesperrt wird. Ich bremse mich hinunter nach Sutrio, bemerke erst jetzt bergab die zuvor gemeisterten Höhenmeter und bin um 13h20 wieder unten auf 500m. Jetzt auf dem richtigen Weg, muß ich mich aber beeilen und mache Druck aufs Pedal. Schon etwas mühsam einige Km hinauf zur Bergwertung Sella Valcalda (958m) und dann rolle ich an die 10km hinab nach Ovaro, begleitet von einem kurzem Regenguß. Jetzt bin ich wieder auf 530m Seehöhe und mein Canossagang konnte beginnen. Durchschnittssteigung bis zum Ziel 11,9 % , davon auf 6km 15 % Steigung mit einem Maximum von 22%.
In Ovaro biegt die Straße nach links ab, wieder nach Osten und überall herrscht Volksfeststimmung, halb Italien ist unterwegs zum Giro. Rennradfahrer, MTBiker, Fußgänger, die Straße ist voll davon. Es ist ca. ¼ 3h, nach wenigen Metern taucht der 10km-Bogen auf – es geht los. Ich schalte den Pulsmesser ein und der springt gleich mal auf 171 (das Maximum wird bei 182 sein). Mal steil, dann wieder flacher geht’s durch`s Ortsgebiet, schön zu fahren. Vorne 2fach-Kurbel 53/39, hinten 27/12 und die Schaltung nach dem letzten Zahnkranzwechsel Gott sei Dank gut eingestellt. Schon durchfahren wir Radler den KM 9 – Bogen und ein kurzer Regenguß sorgt für angenehme Abkühlung. Eben, leicht bergauf, wieder bisserl steiler, flacher, und schon winkt die 8km-Marke. Super, so flott kann`s ruhig weitergehen.
Wieder biegt die Straße ab, nur diesmal nicht nach links oder rechts, sondern nach oben.
Ich kenne ja den Anstieg von Unter- nach Oberkirchbach im nördlichen Wienerwald bei Königstetten und weiß wie das ist, wenn sich die Straße plötzlich wie eine Wand aufstellt, nur wird’s dort nach einer 20%-Rampe nach 200m wieder flacher. Aber hier kennt die Straße auf den nächsten 6km das Wort „flach“ nicht und hätte ich irgendwelche Sünden gehabt, ich hätte sie hier alle abgebüßt
Irgendwo am Anfang dieser Folter waren die 22 % versteckt, keine Ahnung wo, wenn`s danach mit 15 % weitergeht, es war einfach nur so ungemein steil, nach jeder Kurve bohrt sich die Straße weiter steil in den Himmel, fast ins All und ich hab keinen Gang mehr zum runterschalten, muß noch dazu auf Fußgänger, Radschieber und andere Radfahrer aufpassen, muß ständig konzentriert sein, die Höhenmeter summieren sich wahrscheinlich in rasender Geschwindigkeit, im Gegensatz zu meiner aktuellen Geschwindigkeit – am Rande registriere ich da Zahlen zwischen 5 und 7 km/h. Ich bin zwar noch nicht am Umfallpunkt oder physikalischen Nullpunkt, kann eigentlich noch in halbwegs gerader Linie fahren und die Kurbel treten – aber es ist so erschöpfend und kein Ende in Sicht. Vor allem Fußgänger sind unterwegs, ich will aber nicht mehr dauernd „Attenzione“ oder „hej“ brüllen – sollen die doch auf uns Radler Rücksicht nehmen. Immer wieder fast Stillstand deswegen, kurzer Antritt und vorbei, immer vorausschauend fahren. Einige wenige andere Sportler kann ich überholen, weiter oben überholen dann mich 2 Schnellere. Auf diesen 6km passiere ich auch 2 Buben, vielleicht sogar Zwillinge, die sich auf ihren Bianchi-Kinderrennrädern emporkämpfen, jeder für sich, Respekt, beide haben souverän gewirkt – beide werden extra angefeuert, ansonsten sind die Zuschauer eigentlich eher sparsam mit Anfeuerungen – Krise also auch hier in Italien :p
Das hat mich daran erinnert, wie auch ich im Unterstufen-Alter mit einem KTM-Zwölfgangrad mit Dynamo und Kotschützern Pordoi-Joch, Falzarego-Paß, Stallersattel und Ähnliches mit Eltern und deren Bekannten gefahren bin. Wie freiwillig war das eigentlich? Sportausübung aus eigenem Antrieb hat sich bei mir erst mit 17, 18 Jahren entwickelt.
Km 7,Km 6, zwei oder drei Kurven sind außen deutlich flacher, da rette ich mich hin, dann geht`s weiter hinauf auf der überdimensionalen Skater-Rampe. Es gibt immer wieder Phasen, wo ich sitzend fahren kann, dann zwingt mich die Steigung wieder aus dem Sattel.
Wie ich den 2. Buben überhole dann endlich mal ca. 50 flache Meter und ich kann mal einen ordentlichen Zug aus der Flasche machen.
Ich bin zwar heute sicher einer der absolut cleansten am Berg, denke aber am Tom Simpson, dem es in seinen letzten Minuten um ein Vielfaches schlechter gegangen sein mußte als mir im Augenblick – der Mount Ventoux ist auch noch fällig – zuerst sollte ich mir aber mal diesen seltsam aztekisch klingenden Namen richtig merken: Monte Zoncolan, nicht Zorkolan oder Zorkan oder Zoncalon. Solche Gedankenfetzen flirren durchs Gehirn oder auch der Wahnsinn, heute schon das 2. mal hier auf diesen Berg zu fahren.
Km 4 und 3, irgendwann vorm Ziel über der Waldgrenze muß es ja wohl flacher werden, das kann ja nicht ewig so weitergehen, es sei denn, sie haben den Berg vergrößert. Wie gerne würde ich absteigen, muß aber weiter, weitertreten, denn es ist möglich. Es ist möglich, aber eine Tortur, ich hab`s mir vorher leichter vorgestellt. Die Ostauffahrt vor 2 Stunden war ja eine lockere Aufwärmübung dagegen.
Der Wald wird lichter, blauer Himmel lacht vom Himmel (?), warum baut man so steile Straßen? Bald werde ich oben sein.
Gazzetta dello Sport-Bogen mit KM 2-Schildchen; kaum durchgekrochen wird es flacher, unglaublich, flache Meter, links um einen Felsen herum und die Straße bleibt flach!! Keine Ahnung wieviele Prozent das jetzt sind, unter 10 % gilt hier für mich als brettleben – gerettet! Ab jetzt zeigen Schilder einen 100m Countdown: 1900m, 1800m,...der Wald liegt unter uns, schon über 1500m Seehöhe. Zwischen 1100m und der Schlußkilometer-Marke noch eine steile Rampe, kein Problem mehr und dann taucht schon der erste der 3 kurzen Tunnel auf, angenehm kühl und feucht. Nach dem letzten der mäßig steilen Tunnel dann die 500m-Marke, Slalomfahren ohne Ende, ich bräuchte ein Nebelhorn eines Schiffes der vielen Leute wegen.
Beim 200m-Schild passiert´s dann: Ich fädle bei einem dieser sogenannten Sportsbegeisterten, der mitten auf der Straße mit wem quatscht, ein, und falle so halb auf einen anderen drauf, der am Rand sitzt. Passiert ist nichts, ich ärgere mich, werde dann aber von irgendwem angeschoben und komme sogar noch ins Pedal rein. Die letzten Meter bringen absoluten Stop & Go Verkehr, immer eine Lücke im Gewühl ausmachen und durch. Der Asphalt ist kaum noch zu sehen. Vor mir ein Steirer, auch noch fahrend, hoffentlich fährt er durch und steigt nicht ab. Letzte Linkskurve vorm Ziel, noch 50m, der Zielbereich ist aber gesperrt und alle müssen hier runter von der Straße. Hier endet für uns Amateure das große Abenteuer, nach 78 Minuten hab ich die Westauffahrt bewältigt.
Oben ist alles voll mit Tourtroß-Fahrzeugen, VIP-Bereich, Absperrungen, diverse Standln, durch Latschen und über Schneereste klettere ich mit den Radlschuhen rüber auf die andere Seite des Zieleinlaufes. Ich lege mich ins Gras und lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen, ungefähr 2 ½ Stunden nach der ersten Bergankunft stehe ich zum 2. mal auf dem Zonte Moncalon, einfach krank, aber ein wahnsinnig gutes Gefühl.
Noch immer genügend Zeit bis zum Etappensieger, ich gehe mit dem Rad hinüber auf den Grashügel oberhalb der letzten Serpentinen und warte mit Tausenden Anderen auf den Ersten. Auf der entfernten Videowall kann ich wenig erkennen, Italienisch versteh ich nicht – ich bin zwar mitten drin, aber von jeder Info ausgeschlossen.
Auf den Fernsehbildern fahren die Profis irgendwo wahnsinnig schnell einen Berg rauf, das kann doch nicht der Monte Zoncolan sein, dieses Tempo! Aber so ist es.
Der Führende erreicht den ersten Tunnel und Sekunden später ist er nach der letzten Durchfahrt erstmals richtig „live“ zu sehen, kurz nach 18h war`s – unglaublicher Jubel brandet auf. Wer eigentlich gewonnen hat, erfahre ich erst am nächsten Tag.
Die ersten Fahrer sind schon im Ziel und der große Aufbruch beginnt. Abklettern mit dem Rad, wieder Free Solo wie bei der Auffahrt, dann am Asphalt kurzes Durchkämpfen durch die Massen, endlich freie Bahn und das lange Talwärtsbremsen kann beginnen, Bremsbelag ist noch ein bißchen übrig. Die ersten Profis stürzen sich mit ihren Bikes in unglaublicher Geschwindigkeit an uns vorbei Richtung Teambusse.
Endlich bin ich wieder unten in Sutrio, jetzt noch 10 km leicht bergab am Tria-Auflieger nach Tolmezzo, wo ich nach 116km die Ausfahrt beende.