Die Sache mit der EnteEine sehr lange Vorbereitung mit fast 1600 Trainingskilometern und ein schier endloser und äußerst laufunfreundlicher Winter liegen hinter mir. Die Testwettkämpfe auf den kürzeren Distanzen lassen einiges erwarten und bis vor ein paar Tagen ist meine Zuversicht unerschütterlich. Sogar die Bronchitis meiner Tochter und die nicht enden wollenden Halsschmerzen meiner Frau konnte ich von mir abwehren und so sollte eigentlich einem gelungenen Wien-Marathon nichts im Wege stehen. Ein paar Tage vorher melden sich aber dann doch leichte Zweifel an, zumal sich das Wetter, wie so oft in Wien, nicht als kooperativ zu zeigen scheint.
Nun denn, gut gemästet und trotz aller Zweifel hoch motiviert weckt mich der Wecker am Sonntag um 5:30 Uhr aus einem für Marathonverhältnisse außergewöhnlich gutem Schlaf und nach dem Frühstück packe ich meine sieben Sachen und fahre mit der u-Bahn zum ersten Treffpunkt am Stephansplatz. Viel zu früh komme ich dort an und sehe zu meinem Entsetzen, dass der traditionelle Forumstreffpunkt vor der Anker-Filiale bereits von einer anderen Gruppe besetzt ist. Na das kann ja was werden.
Glücklicherweise bricht die Truppe auf, bevor die ersten Foris erscheinen und so steht einem traditionellen Beginn des Marathontages nichts mehr im Wege.
Beim zweiten Treffpunkt auf der Donauzentrumsstiege sammelt sich dann schon ein beachtliches Grüppchen zum ebenfalls traditionellen Foto und nach ein paar Minuten brechen wir gemeinsam in Richtung Start auf. Mit meiner Wunschzeit stehe ich diesmal ziemlich allein da, nur Stefan begleitet mich zum blauen Startblock, hat aber auch nicht vor, mein Anfangstempo von 4:25 mitzugehen. Nach der obligaten Blasenentleerung am Ufer der Alten Donau steigen wir seitlich in den Startblock ein und finden uns etwa drei Meter hinter der Startlinie wieder - optimale Startbedingungen also. Es ist erst 8:45 Uhr und die nächste Viertelstunde verbringen wir als Sardinen ohne Dose.
Als besonderen Leckerbissen bekommen wir diesmal die Bundeshymne vorgespielt und die englische Durchsage "Please stand up for the National Anthem" sorgt für Heiterkeit unter den eingezwängt stehenden Läufern.
Endlich ist es 9:00 Uhr und mit dem Donauwalzer werden wir auf die Reise geschickt. Erstaunlicherweise haben es in die drei Meter zwischen mir und der Startlinie wieder einige Läufer geschafft, die deutlich langsamer als ich laufen wollen, aber nach ein paar Metern habe ich freie Bahn. Beim ersten Kontrollblick auf die Uhr stelle ich fest, das die Stoppuhr noch nicht läuft, ein absolutes Novum, das ist mir auch noch nie passiert. Der wunderbare Vorteil dieser Aktion ist, dass ich bis zum Schluss nicht weiß, wie meine Gesamtzeit ist :oah:, irgendwann beschließe ich einfach eine Minute dazuzugeben, um auf der sicheren Seite zu sein. Allerdings merke ich schon auf den ersten Kilometern, dass die Zeit heute sowieso eine untergeordnete Rolle spielen wird, da es trotz der allgemein verkpündeten "idealen Laufbedingungen" schon recht warm ist und die Sonne gnadenlos vom wolkenlosen Himmel scheint.
Mein Puls, der in hunderten Trainingskilometern im Keller - sprich Regenerationsbereich - einbetoniert war, macht das was er beim Marathon immer macht: er steigt und zwar rascher als mir lieb ist. Und ich begreife recht bald, dass die Pulsvorgabe meiner lieben Trainerin mit dem Tempo, das wir uns für die ersten 7km vorgenommen haben bei den heutigen Bedingungen nicht kompatibel sind. Was tun also? Etwa 3km schau ich mir die Sache an und dann treffe ich eine für mich eher ungewöhnliche Entscheidung: Ich schalte den Speed-Sensor weg und beschließe nicht nach Tempo sondern nach Puls zu laufen. Eigensinnig wie ich nun mal bin, genehmige ich mir allerdings 2-3 Extraschläge zu den vereinbarten Obergrenzen, damit vielleicht doch noch ein für mich ansprechendes Ergebnis herausschaut. Trotzdem bin ich auf den ersten Kilometern eher verhalten unterwegs und laufe nur einen Schnitt von knapp unter 4:30 statt der geplanten 4:25. Der Puls verabschiedet sich zwar schon auf dem vierten Kilometer aus dem erlaubten Bereich, aber ich versuche ihn wenigsten knapp drüber zu halten.
Schon in der Hauptallee bemerke ich die Vorzüge meines heurigen Reisetempos, das Gedränge ist absolut erträglich, ich muss eigentlich nie Slalom laufen und auch bei der ersten Verpflegsstation finde ich mein Flascherl sofort. Aus lauter Rücksicht auf die anderen laufe ich sofort wieder in die Mitte und vergesse, Wasser zum Kühlen mitzunehmen. Na ja gut, denke ich mir, auf der Schüttelstraße kommt eh bald die Römerquellestation, da wird's schon was geben. Leider lasse ich mich dort bis zum letzten Tisch abdrängen und erwische dann einen Becher, der nicht einmal halb voll gefüllt ist, der Kühlungseffekt war endenwollend. Gott sei dank taucht dann aber nochmals eine Wasserstation auf und ich tauche mein Kapperl in ein Wasserschaffel und setze es klitschnass wieder auf. Das tut gut!
Nachdem ich mich mit dem Wetter und dem langsameren Tempo einmal abgefunden habe, geht es schön gleichmäßig dahin, beim Schwedenplatz geht es über den Donaukanal und zum ersten Mal taucht so etwas wie Stimmung und Zuschauer auf. Rein geht es auf den Ring und beim Stubentor warten die ersten Massen. Auch Karoline und Andrea sind beim vereinbarten Treffpunkt und das traditionelle Abklatschen mit meiner Tochter funktioniert bestens. Vor der Oper ist jetzt schon einen Wahnsinnsstimmung und zum ersten Mal kommt mir ein Grinsen aus und ein bißchen Gänsehaut macht sich bemerkbar. Wir biegen ab in die Wienzeile, es ist sehr warm und ich bin viel zu langsam, aber ich grinse trotzdem über's ganze Gesicht. Ich sauge die Atmosphäre in mich auf, ich genieße die Stimmung und denke mir, wenn ich jetzt schön langsam laufe und nicht überpace, kann ich mir das in der zweiten Hälfte schon wieder zurückholen. Die zweiten 5km lege ich übrigens in der exakt gleichen Zeit zurück wie die ersten fünf.
Mit der Zeit entwickle ich auch eine Routine im Eigenverpflegung aufnehmen, Kappe nass machen und Wasser zum Kühlen organisieren und so sorge ich dafür, dass der Motor nicht zu heiß läuft, während ich das Wiental hinaustrabe. Auch für die dritten 5km brauche ich nur zwei Sekunden länger und ich weiß, das ich auch mit einem Schnitt von 4:30 noch unter 3:10 bleiben werde. Etwa bei Schönbrunn habe ich dann ein kleines Motivationsloch, ich vergessen Kilometerzeiten abzudrücken und auch die Euphorie ist verschwunden, aber ich kämpfe mich rauf zum Technischen Museum, nutze jede Gelegenheit Kopf, Handgelenke und Gesicht zu kühlen und freue mich darauf, die Mariahilferstraße runterzurollen. Trotz allem geht das heute alles sehr flott von den Beinen, die Kilometerschilder (wenn ich sie denn sehe) tauchen recht rasch hintereinander auf.
Endlich ist die Bergaufphase überstanden und ab dem Westbahnhof kann ich es so richtig laufen lassen. Der Puls bleibt konstant 2-3 schläge über dem erlaubten Bereich, aber mir geht es noch immer sehr gut und bei der Zieglergasse warten schon wieder meine Fans auf mich. Karoline übergibt mir ganz professionell mein erstes Gel mit Wasserflasche und so kann ich die Verpflegsstelle bei km 20 auslassen und mich ganz auf's Kühlen konzentrieren. Bei den Museen und beim Heldenplatz steigt die Stimmung wieder deutlich und ich passiere zuerst das Heldentor und dann die Halbmarathonmarke in 1:34:51. Mir geht es deutlich besser wie letztes Jahr und den ersten Halbmarathon hab ich immerhin mit einem Schnitt von 4:30 absoliert.
Ab jetzt darf ich mit dem Puls laufen, den ich schon seit 10 Kilometern hab, aber ich hab mich schon recht früh entschieden eine Taktik des kalkulierten Risikos zu laufen: ich ignoriere zwar die Pulsobergrenzen ein wenig, aber passe trotzdem auf, dass der Puls nicht unkontrolliert ansteigt. In eineinhalb Stunden werde ich sehen, ob diese Taktik gut war.
jetzt beginnt meine stärkste Phase im Rennen, die Strecke zwischen Halbmarathon und km 25 lege ich mit einem Schnitt von knapp 4:19 zurück und das bei einigermaßen erträglichem Puls. Jetzt lauft's einfach, ich genieße es und ehe ich mich versehe bin ich auf der Friedensbrücke und biege in die Obere Donaustraße ein. Normalerweis hasse ich diesen Teil der Strecke, aber heute macht es mir nichts aus, ich laufe schnelle Splits und freue mich auf den nächsten Treffpunkt knapp nach km 25.
Nach erfolgreichem Abklatschen mit Karoline geht es weiter Richtung Prater und nur vereinzelt kommen mir die nicht mehr ganz so schnellen Eliteläufer entgegen. Der Showeffekt leidet unter meinem diesjärigen Tempo: Für die schnellsten Männer bin ich zu langsam und für die schnelltsten Damen zu schnell um ihnen im Gegenverkehrsbereich zu begegnen. Mit der Zeit beginnen sich auch meine Oberschenkel zu melden, aber ich kann mich an ganz andere Probleme auf der Schüttelstraße erinnern, von Beißen ist noch überhaupt keine Rede. Aber immerhin bin ich ja schon fast 30km unterwegs, da kann man schon was spüren. Das Tempo lässt jetzt wieder ein bisschen nach, dafür beginnt der Puls zu steigen, aber ich biege endlich ab in den Prater, nach 29km bin ich 2:08 unterwegs und mein Puls bewegt sich immer noch zwei Schläge über dem erlaubten, also in meinem persönlich definierten Bonusbereich.
Im Prater gibt es endlich Schatten und ich nehme bei km 30 mein zweites Gel. Für die letzten 5km habe ich im Schnitt 4:28/km gebraucht, ich hole also auf und hoffe wieder auf eine Zeit um 3:08. Beim Cricketpaltz wartet der nächste Familientreffpunkt auf mich und Dank der Wende in der Meiereistraße werde ich hier sogar zweimal bejubelt. Beim Stadion taucht plötzlich Roland neben mir auf, der in der Staffel läuft und/oder jemandem die Pace macht. Erstaunlicherweise hat er keine Lust, mir die Pace zu machen. :oah: Knapp nach km 31 biege ich in die Hauptallee Richtung Lusthaus ab und mir geht es noch immer gut, ich werde wieder schneller. Für zwei Kilometer bleibt der Puls sogar im erlaubten Bereich, um sich dann wieder die gewohnten 1-2 Schläge nach oben zu verabschieden. Beim Lusthaus feuert mich noch überraschend ein Nachbar mit Familie an und schon geht es wieder zurück Richtung Stadionallee. So leicht ist mir die Hauptallee schon lange nicht mehr gefallen.
Auf der Gegenseite sehe ich Jean-Marie, der noch gut aussieht und flott unterwegs ist, aber so in seine Kopfhörer vertieft ist, dass ich mir den Atem spare und ohne Anfeuerung weiterlaufe. Hätte ich gewusst, dass er bald einen ominösen Mann mit Hammer treffen wird, hätte ich ihn besser angefeuert. :\
Bei km 35 finde ich das einzige Mal meine Verpflegung nicht, aber da ich weiß das Karo und Andrea bei km 36 warten, suche ich nicht lange und laufe weiter. Das Tempo bleibt mit 4:23/km für km 30-35 erfreulich hoch. Auf der Stadionallee gelingt die Kontaktaufnahme mit der Familie, Karoline hat mein Iso-Flascherl eh schon vorbereitet und Andrea kramt in höchster Eile sogar noch das Ersatz-Gel-Flascherl heraus, auf das ich aber verzichte. Kilometer 36 und 37 lege ich noch in 4:20 zurück, bevor es ein bisschen zäh wird. Wie heißt es so schön: Der Marathon beginnt nach 37 Kilometern.
Bei 38 krame ich meinen ersten Traubenzucker heraus und versuche, nicht daran zu ersticken, was gar nicht so einfach ist, wenn der Mund trocken ist, der Traubenzucker staubt und man auch noch durch den Mund atmet. Die nächsten drei Kilometer werden die schwersten dieses Marathons werden, aber die drei Stück Traubenzucker, die ich mir im Kilometerabstand reinstopfe, helfen mir auch über diese Phase drüber. Das Tempo sinkt wieder über 3:25, aber dann bin ich auf dem Ring und bald schon beim Schwarzenbergplatz und dann ist die Sache fast schon gegessen.
Bei der Oper ist noch immer (oder schon wieder eine Riesenstimmung) und mich überwältigen wieder einmal die Emotionen. Jetzt kommt der Teil des Wien-Marathons für den ich trainiere, die Stimmung und die Zuschauer auf dem letzten Kilometer ist einfach unbeschreiblich. Obwohl ich schon ziemlich fertig bin, merke ich gar nicht, dass ich noch beschleunige: 4:20 für km 41 und unfassbare 4:11 :oah: für km 42! Der Menschentunnel vor dem Heldentor, ich beiße, ich stöhne, ich genieße und biege ein auf den Heldenplatz. Rauf auf den blauen Teppich, die Arme ausgebreitet schreie ich meine Freude aus mir raus. Auf der Uhr sehe ich 3:08:28 und weiß noch gar nicht, dass das die Elitezeit ab 8:59 ist. Nach der Ziellinie hab ich gar keine Kraft mehr zum Bremsem, ich lass mich einfach ausrollen wie ein LKW mit defekten Bremsen, bevor ich mich an einem Absperrgitter anhalte, weil ich Angst habe, dass mich meine zitternden Beine nicht tragen. Im Burghof treffe ich noch Peter Gmasz und nach einer Flasche Wasser und Empfang des Finisher-Sackerls wanke ich zum Forumstreffpunkt, wo ich erst meine offizielle Endzeit von unglaublichen 3:07:19 erfahre. Einmal Jubeln geht noch, bevor mir Fredmann mein Finisher-Bier in die Hand drückt. Ach ja: für den zweiten Halbmarathon hab ich 1:32:28 gebraucht, die Taktik hat also scheinbar funktioniert.
Bestzeít um fast 10 Minuten verbessert und trotz "idealen Bedingungen" war es eigentlich ein herrlicher Lauf. Danke Tina für das geniale Training und Danke Andrea und Karoline für die optinmale Unterstützung am Streckenrand.
Unglaublich fett war sie heute, die Ente.
(Sorry, Klemens, aber ich liebe diesen Spruch, vor allem, wenn er sich umsetzen lässt.