42 KÖLLEmeterMein dritter Marathon beginnt zwei Tage vorher um 4:30 Uhr. Nachdem ich geduscht und mich zum wohl hundersten Mal gefragt habe, ob ich wohl alles eingepackt habe, verlasse ich die noch schlafende Wohnung und fahre mit dem Bus zum Flughafen, wo ich kurz darauf Fredmann und Tschitschi treffe. Wir checken ein und gönnen uns noch einen letzten guten Kaffee bevor wir um 7:00 Uhr mit Austrian Arrows Richtung Köln düsen.
Knapp nach halb neun setzen wir in einer nebeligen Stadt auf und begeben uns zur S-Bahn, die uns in kurzer Zeit zum Deutzer Bahnhof bringen soll. Bevor es soweit ist, spielen wir aber noch eine Runde Bahnsteig-Hopping, da aufgrund des Streiks der deutschen Lokführer offensichtlich nur die Züge angezeigt werden, die gerade NICHT fahren. Schließlich stehen wir aber doch am richtigen Bahnsteig und nach ungefähr einer dreiviertel Stunde kommt sogar ein Zug daher, der uns nach Köln bringt.
Der Bahnhof ist direkt neben dem Startgebiet und unser Hotel ist praktisch in der nächsten Querstraße. Fußweg zwei Minuten und angenehmerweise können wir auch sofort unsere Zimmer beziehen. Mittlerweile ist auch der Nebel verschwunden und der erste von drei herrlichen Herbsttagen bricht an. Wir wandern zu Fuß über die Deutzer Brücke Richtung Dom und stellen schon mal fest, dass eben diese Brücke, die es am Sonntag gleich zweimal zu bezwingen gilt, mit einer saftigen Steigung aufwarten kann. In einer knappen Viertelstunde sind wir beim Dom und bummeln gemütlich durch die Innenstadt, bis wir am frühen Nachmittag mit dem Carbo-Loading beim Italiener um die Eckeb beginnen.
Nach einem ausgiebigen Mittagsschlaf und getrennter Besichtigung treffen wir uns wieder zum Abendessen und finden nach langer Suche in der Innenstadt einen ausgezeichneten Italiener, wo wir bei Kölsch, Nudeln (Überraschung
) und reichlich Rotwein sowie dem besten Grappa seit Menschengedenken den Abend ausklingen lassen.
SamstagDen Samstag verbringe ich mit einer ausgiebigen Streckenbesichtigung per Straßenbahn, da ich mir vor allem die langgezogenen Streckenabschnitte in den Vorstädten anschauen wollte. Zu Mittag finde ich eine sehr italienische Trattoria, in der ich – erraten! – Nudeln esse. Beim Nachhausekommen herrscht bereits emsiger Betrieb im Startbereich und ich fühle eine leichte Nervosität aufkeimen. Nun soll es endlich losgehen, die Ungewissheit und die Vorfreude halten sich noch in etwa die Wage.
Den Abend verbringen wir wieder gemeinsam beim Italiener ums Eck. Es gibt Nudeln. Ich stelle fest, dass ich Nudeln hasse. Ich will Fleisch!! Zwei Kölsch sollten zur Beruhigung reichen. Fredmann hat inzwischen seine Fotostandpunkte gefunden und ich teile meine Streckeneindrücke mit Tschitschi, worauf Fredmann nochmal umdisponiert und uns beim recht öden Kilometer 28 am nördlichsten Punkt der Strecke erwarten wird. Die Vorfreude steigt.
Sonntag – der MarathonRecht ungewöhnlich für einen Marathontag läutet der Wecker erst um 7:30 Uhr und um acht sitzen wir gemütlich beim Frühstück. Um 8:30 Uhr ist der Halbmarathonstart und da wir nur zwei Minuten Wegzeit haben, schauen wir uns das Spektakel zur Einstimmung an. Es ist saukalt, aber die Stimmung ist schon am Kochen. Tausende Läufer werden von einem genialen Moderatorenduo auf den Start eingestimmt und der Blockstart funktioniert vorzüglich. Das könnte gut werden.
Kurz vor dem Erfrierungstod kehren wir ins Hotel zurück und ich kuschle mich noch mal ins Bett und vertreibe mir die Zeit mit Snooker im Fernsehen. Um 11 Uhr treffe ich mich mit Tschitschi zu einer kurzen Aufwärmrunde rund um den Block und eine knappe Viertelstunde vor dem Start schlendern wir gemütlich zum Startbereich. So streßfrei kann ein Marathonmorgen sein. Nach dem einen oder anderen „Vorher“-Foto stehe ich endlich im Startblock, recht weit vorn und kribbelig. Der Startbereich ist zwar irrsinnig lang, aber recht schmal und es sind bis hinten Boxen aufgebaut, so dass man die Moderatoren bis ganz hinten hören kann, und die beiden machen ihre Sache noch immer sehr gut.
Um 11:44 Uhr geht es für mich endlich los. Überrachung: Ich kann ab der Startmatte mein Tempo laufen. Einfach genial, so einen angenehmen Start hab ich noch nie erlebt. Zur Einstimmung geht es gleich mal die Deutzer Brücke hinauf, die noch immer nicht flacher geworden ist und ich will mir jetzt gar nicht vorstellen, wie sich das in 40km anfühlen wird. Ich falle in einen angenehmen Trab, der mir zwar sehr gemütlich vorkommt, aber ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich in etwa in 4:45 unterwegs bin, also genau nach Plan. Ich lasse mich auf der anderen Seite der Brücke hinunterrollen und tauche ein in Köln. „Köln wartet auf euch“, hat uns der Startsprecher versprochen.
Nach einer kleinen Schleife geht es sofort rein in die Innenstadt, auf eine Art Ring und bereits am ersten Teil der Strecke gibt es jede Menge Zuschauer. Ich fühle mich gut und laufe mit relativ niedrigem Puls genau im geplanten Tempo. Die Unsicherheit beginnt zu schwinden und ich denke mir, dass das heute was werden könnte. Knapp nach km 4 kommt mir auf der anderen Straßenseite die Spitzengruppe bei km 11 entgegen. Gut die sind ja auch 14 Minuten vor mir gestartet, also lasse ich mich davon nicht deprimieren.
Nach zwei Kilometern am Ring geht es am Rheinufer entlang nach Süden. Hier beginnt sich die Streckenbesichtigung erstmals auszuzahlen, denn ich weiß, dass jetzt zwei Kilometer recht öde Ausfallsstrße auf mich warten. Allerdings rennen wir in die strahlende Herbstsonne hinein und immer wieder tauchen Zuschauer auf. Am Ring gab es auch die ersten Sambabands. Ich habe sie nicht gezählt und an ein paar bin ich sicher mehrmals vorbeigekommen, aber mehr als zehn Bands waren es an diesem Tag sicher.
Die Strecke führt nun durch eher dünner besiedelte Gebiete und hier mache ich Bekanntschaft mit dem speziellen Flair des Köln-Marathons. Die Leute sind nicht nur einfach zu tausenden an der Strecke, die feiern mit. Gerade in den äußeren Bezirken haben sie Liegestühle und Bierbänke aufgebaut und sitzen dort in Decken gehüllt und trinken Kölsch und schmausen. Viele singen oder haben einfach ihre Stereoanlange ans Fenster gestellt, immer wieder sieht man auch Transparente an den Fenstern, es ist einfach Stimmung. Und obwohl es schon Streckenteile mit weniger Zuschauern gibt, tauchen dann immer wieder einzelne Punkte auf, wo der Bär los ist und da wird man auch immer wieder angefeuert. Ich weiß gar nicht, wieviele Leute mich an diesem Sonntag mit meinem Vornamen angefeuert haben. Das tut einfach gut.
Nach 11km kommt die Strecke wieder auf den Ring zurück, um nach einem weiteren Kilometer in der Luxemburgerstraße wieder nach Südosten abzubiegen. Auch hier wieder tolle Stimmung bis km 14, bevor ein eher langweiliger Teil durchs Universitäts- und Industrieviertel folgt. Mir geht es noch immer blendend, die Kilometerzeiten liegen recht gleichmäßig um die 4:45, die Tafeln stehen übrigens angenehm exakt (wenn man sie vor lauter Leuten denn sieht
. Bei km 19 kommen wir endlich wieder in die Stadt zurück, das letzte Teilstück war doch recht fad, und am Ring ist wieder die Hölle los. Ich komme zum zweiten Mal am Rudolfsplatz vorbei und sehe die riesige Tribüne auf der anderen Straßenseite, die mich bei km 35 erwartet.
Weiter geht es den Ring entlang, Menschen und Sambabands überall. Auch die Karnevalsstaffeln haben ihre Wechselzone meist phantasievoll ausgestaltet, dauernd trifft man auf laufende Bananen, Jungfrauen, Sebamed-Flaschen, Bierfässer usw. Bei Km 17 habe ich übrigens den Pumuckl überholt, der läuft offenbar überall, und es ist ganz angenehm ein bisschen in seiner Nähe zu laufen, weil er eine irre Stimmung provoziert. Den Halbmarathon passiere ich in 1:39:55 inmitten einer riesigen, gutgelaunten Menschenmasse. Kurz danach kommt mir auf der anderen Straßenseite die Spitzengruppe bei km 34 entgegen und der Jubel ist auch beeindruckende, wenn er nicht mir gilt.
Wir laufen weiter den Ring entlang Richtung Norden und biegen bei Km 24 zu einer Vorstadtrunde ab. Allmählich wird es ein bissel mühsam, den 4:45er Schnitt zu halten, die Oberschenkel werden schwerer und ich beginne mich auf km 28 und den Fototermin mit Fredmann zu freuen. Ansonsten im Norden die gleiche Partystimmung wie im Süden, trotzdem beginne ich mich zu plagen. Auf Fredmann ist aber Verlass, er erwartet mich mit der Kamera und sprintet dann plötzlich sogar noch an mir vorbei um noch ein Foto zu schießen. Tadelloser Einsatz.
Nun geht es fast drei Kilometer eine vierspurige Ausfallstraße zurück Richtung Innenstadt. Ich beginne mit Eigenmotivation und freue mich auf km 30. Schließlich wartet dann nur noch meine 12km-Hausstrecke auf micht und die kann doch kein Problem sein, oder?
Den Traum von 3:19, der beim Halbmarathon kurz aufgekeimt ist, begrabe ich und beginne, mich in die letzten Kilometer zu verbeißen. Ich halte den Schnitt unter 5:00, beginne allerdings, bei der Verpflegungsaufnahme zu gehen.
Bei km 33 kommen wir wieder auf den Ring und die Zuschauerzahl steigert sich nochmals. Knapp vor km 35 dann zum dritten Mal der Rudolfsplatz. Hier ist die Stimmung wirklich unbeschreiblich. Es gibt Tribünen und einen Sprecher und Zuschauer ohne Ende. Ich bin schon so oft angefeuert worden, dass ich Fredmanns Ruf fast nicht mehr wahrnehme und erst im letzten Augenblick in die Kamera schaue. Das gibt wieder Kraft für die letzten sechs Kilometer.
Nochmals geht es in einer Schleife nach Süden. Dem Hammermann begegne ich zwar auch in Köln nicht, aber hin und wieder frage ich mich jetzt schon, warum ich das mache. Dann reicht aber ein Blick in die Zuschauer oder eine ausgestreckte Kinderhand zum abklatschen und ich weiß die Antwort. Ein letztes Mal geht es einen Kilometer auf dem Ring und dann zwei Kilometer wieder nach Norden durch die Altstadt (die es dank 2. Weltkrieg eigentlich nicht gibt) zum Dom. Dort wartet noch ein Stimmungshöhepunkt auf mich. In einer Schleife geht es direkt am Dom vorbei, eine imposante Kulisse und wieder wahnsinnig viele Zuschauer.
Zwei Sonderprüfungen trennen mich noch vom Ziel: ein kurzes Stück unangenehmes Kopfsteinpflaster und die schon erwähnte Deutzer Brücke. Aber die Zuschauer peitschen mich die Brücke hoch und ab dem Brückenscheitelpunkt lasse ich mich nur noch ins Ziel rollen. Meine Oberschenkel brennen wie Feuer, aber ich passiere die Ziellinie bei 3:24:12 und bin mehr als zufrieden.
Die Zielverpflegung spielt alle Stückeln: Es gibt von Wasser über Apfelschorle und Cola bis zu Erdinger alkoholfrei und Kölsch alles was das Herz begehrt. Zur Stärkung werden neben Bananen auch Müsliriegel, Bäckereien, Schmalz-, Wurst- und Butterbrote geboten. Nur der Platz ist sehr beengt, denn ich hätte mich wahnsinnig gerne in die Sonne gelegt und in Ruhe darüber nachgedacht, ob ich wohl je wieder gehen werde können.
Auf dem Weg ins Hotel treffe ich Tschitschi und nachdem wir uns restauriert haben, machen wir uns mit Fredmann auf zum Griechen, von dessen Terasse wir in strahlender Abendsonne den nicht abreißen wollenden Strom der Läufer über die Deutzer Brücke beobachten können. Nach dem Essen verzichten wir auf die offizielle After-Run-Party und gehen auf ein paar Achteln Wein wieder mal zum Italiener ums Eck. Dort treffen wir noch auf ein Kärntner Ehepaar und nach einem heroischen Beitrag zur Dezimierung der italienischen Rotweinbestände falle ich todmüde ins Bett.
MontagNach dem Frühstück starte ich mit Fredmann die aktive Regeneration. Erstaunlicherweise kann ich recht schmerzfrei gehen (sogar über Stiegen!) und so durchwandern wir noch halb Köln, nur um festzustellen, dass am Montag offenbar alle Museen geschlossen haben und man den Fernsehturm nicht (mehr) besteigen kann. Wir essen nicht beim Italiener und fliegen um 20:05 Uhr wieder mit Austrian Arrows zurück nach Wien.
Köln kann was. Danke für's Durchhalten.