UND SIE BEWEGT SICH DOCH oder WO EIN WILLE, DA EINE YLVIE.....
Mein 4. Marathon! Gefinished! Doch um welchen Preis..........
Alles fing damit an, dass das Training –krankheitsbedingt- ziemlich geeiert hatte, somit waren Wickie – mein goldgrundguter Lebensmensch und Coach – und ich, denke ich, beinahe die letzten, die sich zum VCM anmeldeten.
Doch ich wollte es wissen, schließlich waren die letzten Wochen, zumindest in Gedanken, ganz auf Marathon eingestellt.
Dementsprechend nervös trete ich zusammen mit dem gelassenen Wickie an diesem schönen Sonntagmorgen die Fahrt zum Start an. Er wird ja wiederum einen Spaß-Lauf machen, weil er mit mir und nicht in seinem Leistungsbereich läuft. Eingepfercht in der U-Bahn wird mir so richtig klar, dass ich mich auf einer Männerveranstaltung befinde. Spätestens als ich die sich bereits vor den TOIs befindlichen Warteschlangen erblicke, beginne ich die stehend gegen alles Mögliche pinkelnden Männer zu beneiden....Wild entschlossen wird dieses Problem hinter dem nächsten Busch emanzipiert ebenfalls gelöst!
So, jetzt ist es soweit! Es trötet, Walzermusik erklingt und der Pulk von tausenden von LäuferInnen setzt sich schneller als erwartet in Bewegung! Ab über die pfeifenden Matten, genau in deren Mitte die Pulsuhr drücken wegen exakter Zeitnahme, und rauf auf die Reichsbrücke!
Und da waren sie wieder, die Tränen der Rührung! Ja, ich bin – trotzdem – wieder dabei, extra für mich der Walzer und die Autos dürfen auch nicht fahren! Sensationell der Blick auf die Donau und die Stadt! Eigentlich laufe ich den VCM so gerne wegen dieses Startes, und später wegen des letzten Kilometers auf dem Ring. Nur dazwischen ist es ein bisserl haariger.....
Es ist schon ziemlich warm, und die LäuferInnen um uns herum scheinen es nicht so eilig zu haben, mir soll es recht sein, denn ich hab sowieso eine Heidenangst davor, wieder einen Magenkrampf zu bekommen, wie beim Testhalbmarathonlauf in Linz vor zwei Wochen. Jetzt hab ich mühevoll meine Magenprobleme in den Griff bekommen, mir extra eine Digital-Küchenwaage zur grammgenauen Zusammenstellung meines speziellen Elektrolyts (Maltodextrin und NaCl) erworben, und die Eigenversorgungsstellen ausgeklügelt. Ich weiß, dass meine Magentropfen entkrampfend wirken, somit mische ich sie kurz entschlossen in die Eigenversorgung bei KM 5, 25 und 35, und, ich gebe es zu, Bachblüten (für alle, die sich auskennen: Elm, also die „Du schaffst es“-Tropfen) in jedes Eigenversorgungsflascherl. Zwar ernte ich wieder zynische Kommentare von meinem Wickie, aber er hat leicht reden, er macht ja „nur“ einen langsamen Dauerlauf! Er meint immer, es reicht, wenn einer- in dem Fall eine- sich quält...........
Es geht runter von der Brücke, die unglaubliche Menschenmasse bewegt sich über den Praterstern, wo es jetzt schon ziemlich warm ist und es geht in Richtung Prater. Aufatmend genieße ich die angenehm kühle Waldatmosphäre der Hauptallee und beginne mich schon auf die erste Eigenversorgung bei KM 5 zu freuen. Es ist soweit, Versorgung naht, steht geschrieben, zuerst Elite, dann Eigenversorgung.
Doch, was ist jetzt??? Wo sind die extra giftgrünen Flascherln mit Totenkopf und „Finger weg“-Aufdruck??? Weg!!! Wertvolle Sekunden vergehen, weil ich nicht wahrhaben will, dass mir wer meine Spezialmischung gestohlen hat! Unglaublich! Ich bin ernsthaft sauer.
Und es kommt, wie es kommen musste: mein Magen meldet sich! Aber abgesehen davon läuft es rund, wir sind mit durchschnittlich 6:16/km in einem angenehmen Tempo unterwegs, und somit werden die nächsten KM unverdrossen angepeilt .Die Radio Wien – Zone macht Stimmung und ich bin fest davon überzeugt, dass es ab jetzt zu keiner Panne mit der Eigenverpflegung kommen wird. Solchermaßen motiviert steuern wir die Versorgung bei KM 10 an, nur um feststellen zu müssen, dass mein Flascherl wieder weg ist! Wenigstens hat Wickie seines. Jetzt muss ich etwas machen, wovor alle warnen: ich trinke ein Elektrolyt, das ich im Training nicht getestet habe!! Aber ich habe nur die Alternative zwischen Kreislaufkollaps und Bauchzwicken. Ich entscheide mich für Letzteres. Doch ich verdünne es mit viel Wasser und bekomme nur etwas Seitenstechen, was aber auch andere Ursachen haben kann.
Aber eines ist klar: dem/r oder denjenigen, die meine Spezialmischung trinken, wünsche ich von Herzen, dass sie sich anspeiben! Dementsprechend schaue ich nicht sehr entspannt, was wiederum meinen Wickie zu stören beginnt, weil er ja einen Spaß-Lauf haben will. Er meint allen Ernstes, dass ich niemals positiv denke und dass das furchtbar sei! Doch mittlerweile beginnt mich die Hitze schon etwas zu quälen und ich verschiebe diese Grundsatzdiskussion auf irgendwann.
Viel wichtiger ist die Tatsache, dass ein geeigneter Busch nicht zu verachten wäre. Und weil ich die Strecke halbwegs kenne, weiß ich, dass in der Nähe von KM 14 geeignete Pinkelgrünbereiche vorhanden sind. Ich erkenne die Büsche vom Vorjahresmarathon wieder und zweige wohl gelaunt ab, um festzustellen, dass ich an exakt derselben Stelle wieder innegehalten habe wie vor einem Jahr! Tja, das nenn ich Timing....
Dermaßen erleichtert nähern wir uns der nächsten Versorgung bei KM 15. Ich muss wohl nicht mehr erwähnen, dass meine Eigenversorgung auch hier nicht auf mich wartete............
Gott sei Dank hat meine ausgeklügelte Planung auch Powergels vorgesehen, und somit kann ich gravierende Leistungseinbrüche vermeiden, obwohl Richtung Schönbrunn eine „ordentliche“ Steigung zu meistern ist. Hier gesellt sich ein älterer Laufkollege zu uns, dem unser Tempo sehr angenehm ist, er meint, er sei 5 Jahre nichts gelaufen und jetzt versucht er wieder einen Halbmarathon. Er und Wickie unterhalten sich angeregt und tauschen Urlaubserfahrungen aus... Naja, hoffentlich sind wir nicht auch noch Motivation für Krückengeher, die unser Tempo angenehm finden.....Das Tempo lässt tatsächlich langsam, aber stetig nach. Jetzt sind wir bei einem Schnitt von 6:22/km, aber es läuft sich angenehm und ich freue mich auf die bergab gehende Mariahilfer Straße. Unser Mitläufer wünscht uns hier alles Gute und sprintet davon...er hats ja nicht mehr weit.
In der schattigen Einkaufsstraße erkennt Wickie einen Herrn mit riesigem Luftballon und ruft ihm irgendwas zu. Er kennt ja den regen Info-Austausch des Tratschforums 42195 und weiß, dass sich einige für das Video angemeldet haben, das hier aufgenommen werden soll. Damit das klappt, läuft einer von dem Team, der am Rand wartet, eine kurze Strecke mit, damit der Video-Typ auch die Richtigen filmt. Soweit Wickies Erklärung. Plötzlich läuft neben uns ein fescher Bursche mit lila Luftballon und erkennt Wickie als Wickie und mich -verblüff- als Ylvie!!!! Wow, der Luxemburger ist auf Zack! Obwohl wir für das Video nicht angemeldet sind, dürfen wir in die Kamera winken und der Ballon läuft wieder zurück. Später wird Wickie behaupten, dass ich nur wegen dem Luxemburger so Gas gegeben habe (5:57/km), dabei bin ich hinter den beiden gelaufen.........
KM 20 und ich habe endlich meine Eigenversorgung! Die ist aber ganz wichtig, weil da wieder meine Magentropfen drinnen sind. Ich behaupte, dass derjenige, der meine Flascherln genommen hat, dies schon bereut!
KM 21 ist vorbei und jetzt beginnt es ernst zu werden mit dem Marathon. Ich fühle mich gut, habe keine Schmerzen und genieße den Ring. Rauf gehts über die Liechtensteinstraße am Franz Josefs Bahnhof vorbei, es ist schon sehr heiß und Wickie schüttet mit flaschenweise Wasser über den Rücken, den Nacken und die Arme. Normalerweise hätte ich ihn dafür gehasst, doch jetzt bin ich ihm sehr dankbar, dem Goldgrundguten!
Bei KM 25 ist meine Eigenversorgung wieder verschwunden, aber mittlerweile bin ich schon etwas paralysiert und denke nicht mehr so viel darüber nach. Viel mehr bin ich erstaunt, was langsam, aber sicher mit meinen Oberschenkel- und Hüftmuskeln zu geschehen beginnt! SCHMERZ!! Jetzt wird es spannend, wie damit zu laufen sein wird. Und es kommt, was kommen musste: schneller als 6:30/km gehts unmöglich!! Aber jetzt sind endlich die versprochenen Wolken da, und machen das Laufen erträglicher.
Auf der Schüttelstraße blicke ich neidvoll auf die entgegenkommenden Läufer/nnen und bewundere deren Kondition. Doch Radio Wien motiviert, denn wir hören plötzlich Frank Sinatra mit „I did it my way“! Wickies Lieblingslied! Das gibt einen Kick, der ungefähr 2 Minuten anhält, dann ist es wieder mühsam.
Doch jetzt geht es endlich in den Prater, dankbar nehme ich meine mir verbliebene Eigenversorgung bei KM 30 und beschließe es zu schaffen (Bachblütenwirkung).
Endlich ist die blöde Kehre beim Stadion vorbei, ich versuche noch mal Gas zu geben, schaffe es ca. 1 km lang, um dann wieder zurückzufallen. Wir biegen in die Hauptallee und plötzlich sehe ich auf der gegenüberliegenden Seite im Gegenlaufbereich bei KM 35 MEINE Eigenversorgung stehen! Wohlwissend, dass noch Massen vor mir sind, stürme ich kurz entschlossen todesmutig zwischen schnaufenden Läufer/nnen hinüber. Der verdutzte Betreuer verspricht auf meine Flasche aufzupassen, deswegen stelle ich sie wieder zurück und versuche erneut ohne gröbere Unfälle zu bauen auf meine Laufseite zu kommen. Etwas weiter vorne steht ein verzweifelter Wickie, der keine Ahnung hat, wo ich plötzlich geblieben bin. Ich habe bei der ganzen Aktion nicht bedacht, dass ich ihn hätte verlieren können, wenn er weiter gelaufen wäre.
Doch jetzt ist wieder alles gut, ich weiß, mein Flascherl mit den Magentropfen wartet sicher auf mich. Außerdem ist die Musik toll, ab ums Lusthaus und wieder zurück. Doch trotz dröhnenden Bässen wird das Laufen immer zäher und ich beginne ernsthaft zu überlegen, wie blöd ich gewesen bin mit so geringem Kilometerumfang (durchschnittlich 36,5 km/Woche) zum Marathon anzutreten.
Ab KM 36 kämpfe ich ums Überleben, nur nicht stehen bleiben, sonst komm ich nie wieder in den Trab, mittlerweile sind wir bei 6:31/km angelangt. Wurscht, Hauptsache ankommen.
Doch bei KM 39 wird es so unglaublich mühsam, dass langsam Tränen in meine Augen steigen. Und ich schwöre, in Zukunft nur mehr einen Marathon zu laufen, wenn ich es auf 50km/Woche im Training geschafft habe! So eine Quälerei tu ich mir NIE WIEDER an!
Unglaublich, aber wahr: KM 40! Jetzt weiß ich, dass ich es schaffen werde, und wenn ich bis ins Ziel gehe! So schlimm wird es dann doch nicht, ich werfe noch einmal ein Powergel ein, und auf geht es zum Ring. Schön finde ich die klassische Musik, dann ist auf einmal Riesenstimmung, wir kommen in so eine Reinpeitschzone, plötzlich klatscht mir ein Mädel in die rechte Hand und meint, dass ich es schaffe! Wow, Superstimmung! Die Zuseher lassen uns nicht mehr viel Platz zum Laufen, so aufgeregt suchen sie ihre Leute. Dann sehe ich es: KM 42!! Während wir darauf loslaufen, beginne ich endgültig zu schluchzen! Was für ein Gefühl den Kampf gegen seinen Körper zu gewinnen und bald erlöst zu sein! Doch jetzt muss ich aufpassen, vor lauter Schluchzen bekomme ich plötzlich keine Luft, ich hechle und höre Wickie bei der KM-Tafel sagen: “Und wie heißts jetzt?“ „God save the Queen!“, japse ich und nehme die letzten 0,195 m in Angriff.
Wickie und ich laufen allein vorbei an den Tribünen, ich lache tatsächlich und weine gleichzeitig, der Einlauf der Sieger, wir reißen die Arme hoch und laufen über die Matten, Pulsuhr drückend, was Wickie immer störend findet, 4:34,53!
Jetzt fällt es mir wieder ein: das ist der zweite Grund – neben dem Start -, weswegen ich es liebe Marathon zu laufen: das Ankommen!
Danke fürs Lesen. Ylvie.